Antwort auf die Stellungnahme von Gerhard Pomykaj auf meinen offenen Brief an Herrn Klemmer

Hallo Herr Pomykaj,

Nachdem ich Ihre Stellungnahme gelesen habe, ist mir zunächst aufgefallen, dass wir die Verhältnisse im Hinblick auf den alten und neuen NS aus sehr unterschiedlichem Blickwinkel betrachten und bewerten. Sie tun das als als Historiker, der mit wissenschaftlicher Distanz Fakten ermittelt und einordnet, möglichst „objektiv“ und möglichst wenig emotional. Ich hingegen kämpfe nunmehr seit 50 Jahren an der Seite von Opfern dieser Verhältnisse für ihre mit Füßen getretenen Menschenrechte und bin von daher auch emotional eingebunden und verhehle nicht, dass ich in dieser Auseinandersetzung eindeutig parteiisch bin.

Mein offener Brief war ursprünglich viel zu lang geraten, einige der weggelassenen Passagen füge ich aber zur Erläuterung meiner Thesen im Anhang bei.

Es liegt mir fern, Ihre wissenschaftliche Qualifikation und Ihr wissenschaftliches Ethos „masssiv in Frage zu stellen“. Dazu weiß ich – wie Sie zu Recht vermuten – viel zu wenig von Ihnen und kenne die allermeisten Ihrer Arbeiten nicht, kann mir also kein Urteil über den Historiker Pomykaj erlauben.

Beurteilen kann ich aber sehr wohl Ihr Verhalten in meiner Auseinandersetzung mit der oberbergischen Politik im Hinblick auf die bislang sträflich versäumte ehrliche und wahrhaftige Aufarbeitung des Nazirassismus und Antisemitismus. Da allerdings bieten Sie in meinen Augen gerade auch als Historiker Anlaß zu deutlicher Kritik.

Ich hatte seinerzeit beim Kreistag angeregt, dem Beispiel des LVR zu folgen und die nationalsozialistischen Ver-strickungen von Kreis und oberbergischen Kommunen vor und nach 45 von unabhängigen Historikern erforschen und aufarbeiten zu lassen, sowohl was Personal als auch was die Ideologie betrifft. Die umfangreichen Forschungen zu dem bis 1975 autoritär regierenden Gründungsdirektor Klausa (insbesondere das „Opus magnum“ von Kaminsky/Roth) haben neben der Beteiligung dieses Altnazis am Holocaust aufgedeckt, dass bis in die 70er schwerste Menschenrechtsverletzungen in Psychiatrien und Heimen an der Tagesordnung waren. Fortwirkender Nazigeist war eine offensichtliche Ursache und vor allem auch ein Führungspersonal, welches in der einen oder anderen Position an der Judenvernichtung und den Krankenmorden beteiligt war. In den Forschungsprojekten geriet auch das Oberbergische ins Visier, vor allem durch die auch im LVR mächtige Figur Goldenbogen, ein ebenso autokratischer und NS belasteter Herrscher wie Klausa.

Der Kreisausschuss beschloss, meiner Anregung zu folgen. Es zeigte sich aber, dass die Verwaltung den Beschluss nicht wie beim LVR umsetzte. Es wurde nicht ein unabhängiger Historiker beauftragt, sondern Sie als der beim Kreis abhängig beschäftigte Historiker. Sodann – so erfahre ich jetzt von Ihnen- war Ihr Auftrag gar kein zielgerichtetes Forschungsprojekt, eine wissenschaftliche Studie, sondern lediglich ein Vortrag auf der Grundlage von Kenntnissen, die Sie über Jahre in anderen NS Zusammenhängen erlangt hatten.

Darin sehe ich bereits eine Manipulation seitens Ihrer Vorgesetzten mit dem Ziel, tiefer gehendes Schürfen in den besonders tiefen Abgründen des oberbergischen Nazismus zu vermeiden. Der Auftrag war in meinen Augen eine Zumutung, Sie hätten ihn als unethisch ablehnen können oder müssen. Denn es ist ja völlig klar, dass es Druck auf Sie ausübt, wenn Ihr Arbeitgeber, die Kreistagsmehrheit und die Verwaltungsspitze, durch zu genaues Hinsehen schwerwiegende Imageschäden zu befürchten hat, was ja hier der Fall ist. Deshalb gilt ja gerade die Unabhängigkeit des Forschenden als unverzichtbare Voraussetzung für objektive Forschung.

Entsprechend lückenhaft und verharmlosend fiel ihr Vortrag aus. Im Interview mit Herrn Klemmer äußern Sie sich heute deutlich kritischer sowohl zur Einstellung der Bevölkerung als auch zu den Netzwerken der Nazibonzen, die Sie nach meiner Erinnerung damals gar nicht erwähnt haben. Erwähnt haben Sie den Einsatz der Brüchermühler für Leys Mitarbeiter Marenbach, einen großen Bogen haben Sie aber gemacht um den absoluten Nazi-Hotspot Nümbrecht, der jetzt wieder im Rampenlicht steht (siehe Anhang „Nümbrecht“).

Meine „Fixierung auf Goldenbogen“ ? Was für eine Frage! Er hat als autoritärer Machtpolitiker 30 Jahre lang Oberberg autokratisch beherrscht (GM= Goldenbogens Machtbereich) und so einen demokratischen Neuanfang nach 1945 blockiert. (Eine „Kostprobe“ im Anhang). Darin war er seinem Hauptmannkollegen und NSDAP- und SA- Genossen Klausa beim LVR, sehr ähnlich, der sich ebenfalls „schwer tat mit der Demokratie“. Beide haben im LVR eine NS Aufarbeitung verhindert, Klausa als Landesdirektor und Goldenbogen als mächtiger Chef des zuständigen Kulturausschusses (Goldenbogens Betätigung in der SA haben Sie übrigens im Vortrag nicht erwähnt). Die Naziverseuchung des mächtigen Verbandes und somit die fortgesetzte Be- und Mißhandlung von Kranken und Heimkindern als „Minderwertige“ und “Untermenschen“ bis in die 80er gehen somit zu großen Teilen auf beider Konto.

In den letzten Jahren habe ich immer wieder versucht, eine NS Aufarbeitung in Gang zu bringen oder Ver-tuschungen aufzudecken, oft in Leserbriefen. Dabei habe ich keinerlei Unterstützung erfahren, weder von Ihnen, Herr Pomykaj, noch von Gerhard Jenders und „Oberberg ist bunt, nicht braun“.

Gerhard Jenders weiß, dass ich ihn dafür achte, dass er beharrlich die alte Friedensbewegung lebendig gehalten hat. Mittlerweile muss ich jedoch leider feststellen, dass auch er und seine Mitstreiter kein Interesse an einer echten NS-Aufarbeitung erkennen lassen, jedenfalls dann nicht, wenn sie einigen mächtigen „Bündnispartnern gegen Rechts“ weh tut. Beispiele:

Jeder Historiker und jeder Nazigegner hätte aufschreien müssen bei der unsäglichen Geschichtsklitterung, welche auf der Hompage der Christlich-Jüdischen Gesellschaft jahrelang zu lesen war, dass nämlich die „Mitläufer und Mittäter“ der Nazis „ehrenwerte und gutwillige“ Mitmenschen gewesen seien. Doch alle schwiegen dazu, auch Sie. Erst auf Grund meiner Proteste wurde diese skandalöse Aussage entfernt und durch ein leider auch wieder problematisches Zitat von August Dresbach von 1947 ersetzt. „ … Aber ich bin nicht geneigt, über all die politisch ungeschulten Menschen den Stab zu brechen, die damals glaubten, es sei eine neuere und bessere Welt entstanden.“ Welchen Schulabschluss, fragt man sich, musste man denn haben, um den Naziterror als solchen erkennen zu können? Millionen „Ungeschulte“ erkannten ihn durchaus und sei es am eigenen Leibe.

Oberberg ist bunt, nicht braun“ “ ruft jährlich zur Teilnahme am Nümbrechter Gedenken zum Pogromtag auf und ignoriert ebenfalls bis heute die aktive Beteiligung des Mitveranstalters Evangelische Kirche an diesem Auftakt der systematischen Judenvernichtung: Fand es doch gezielt zu Luthers Geburtstag am 10.11. statt, die brennenden Synagogen bejubelt von Bischöfen und Pfarrern, wobei die mörderische antisemitische Hetzschrift „Wider die Juden und ihre Lügen“ des hoch geehrten „Deutschen Helden“ das Drehbuch lieferte. Vermutlich spielte diese in der Entwicklung von Robert Leys zu dem extremen Judenhetzer eine prägende Rolle. Durch das beständige allgemeine Verschweigen dieses historischen Hintergrunds, sehr gut dokumentiert in der Ausstellung „Überall Luthers Worte“ von „Topografie des Terrors“, gerät das Gedenken vor allem im Hinblick auf die Evangelische Kirche in meinen Augen Jahr für Jahr erneut zu abstoßender Heuchelei. Wäre es denn nicht angebracht, am Gedenktag mal Zitate aus Luthers Hetzschrift und den abscheulichen kirchlichen Kommentaren zum Pogrom vorzutragen („Hitler vollendet, was Luther begonnen hat“)?

Das sogenannte Bündnis gegen Rechts tritt im Wesentlichen mit oberflächlichen Lippenbekenntnissen und wohlfeilen allgemeinen Verurteilungen von AfD und Rechtsradikalismus in Erscheinung, die niemandem weh tun und nichts erklären. So wie z. B. ein Protest oder eine Menschenkette gegen die rassistischen Morde von Hanau. Weil ja sowieso so gut wie alle dagegen sind, handelt es sich um wirkungslosen „Gratismut“ (Enzensberger). Warum aber ist es in diesem erlauchten Kreis von Honoratioren aus Politik und Zivilgesellschaft kein Thema, dass CDU und FDP in Thüringen kein Problem damit hatten, nicht nur mit der AfD, sondern ausgerechnet mit dem AfD-Faschisten Höcke zusammenzuarbeiten? Kein Gesprächsbedarf?

Welch absurdes Theater in diesem Scheinbündnis möglich ist, erlebte ich fassungslos bei einer Versammlung, als der Vizelandrat Wilke die von Rechten und Rechtsradikalen verbreitete Kriegsschuld-Relativierung zum Besten gab: Dass wir Deutschen auch Opfer des Krieges seien, als wäre der als eine Art Naturkatastrophe über Polen, Deutsche etc. hereingebrochen. Als niemand widersprach, habe ich das getan und wurde von Wilke von oben herab wutentbrannt „zur Sau gemacht“. Alle duckten sich weg, nix mit „Arsch huh, Zäng useinander“, nur die Künstlerin Christine Bretz wagte es, vor ihrem Auftritt auf die peinliche allgemeine Feigheit hinzuweisen.

Ein solches „Bündnis mit Rechten gegen Rechts“ kann doch nur vernebeln und nicht aufarbeiten.

Und da ich schon mal beim „ Abrechnen“ bin, hier noch ein „frisches“ Beispiel für die partielle Blindheit der Lokalpresse gegenüber dem heimatlichen NS:

Ende letzten Jahres erschien ein Forschungsergebnis des Historikers Alexander Friedman als Buch: „ Der Direktor des Landschaftsverbands Rheinland Udo Klausa (1910-1998) im Spiegel von Weggefährten und Kritikern“, Metropol-Verlag. In Interviews mit rheinischen Führungskräften aus Politik und Verwaltung werden die psychischen Verdrängungsmechanismen im Umgang mit der NS-Belastung am Beispiel Klausa offen gelegt und vorgeführt, in welch bedrückender Art und Weise sie in der Lage waren, allen „Nazischmutz“ von sich oder der Kollegen abzuspalten und sich als „anständig“ geblieben dastehen zulassen. Da auch Goldenbogen eine Rolle spielt, habe ich das Buch der OVZ Mitarbeiterin Siegfried-Hagenow gegeben, in der Hoffnung, dass durch einen Bericht darüber Oberbergs NS und die Rolle Goldenbogens zum Thema wird. Ich bekam das Buch aber zurück mit der Bemerkung, für einen Bericht fehle „der lokale Bezug“. Diese fast lächerliche Ausrede geht vermutlich auf Herrn Klemmer zurück: Oberberg nicht Teil vom LVR? Goldenbogen dort keine mächtige Figur? Wurden keine Oberberger in Psychiatrien und Heimen mißhandelt? Da ansonsten „lokale Bezüge“ notfalls an den Haaren herbeigezogen werden, scheint bei NS/Goldenbogen also immer noch ein Tabu wirksam zu sein. Vielleicht störte zusätzlich noch, dass der Einsatz vom „linksradikalen“ SSK und auch mir persönlich sehr positiv gewürdigt wird.

Was Ihre Ausführungen zu meinem Vater betrifft, Herr Pomykaj, haben Sie Recht, was seine Beteiligung als Offizier an den Verbrechen der Wehrmacht beim Vernichtungskrieg im Osten betrifft. Unrecht haben Sie jedoch mit der Unterstellung, ich habe mich damit nicht auseinandergesetzt. Da haben Sie nicht genügend recherchiert.

Allerdings habe ich bis zur „Wehrmachtsausstellung“ auch an die Legende geglaubt, die Verbrechen seien im Wesentlichen allein auf das Konto von SS und Einsatzgruppen gegangen. Danach erst konnte ich mir das Schicksal meines Vaters erklären, der im bürgerlichen Leben am Ende gescheitert und als Alkoholiker geendet ist. Auch er hat über die Kriegszeit geschwiegen, sich aber Zeit seines Lebens für soziale Projkte eingesetzt (und sein kleines Steuerberaterbüro sehr vernachlässigt). Auch im Rat der Gemeinde Lieberhausen, zuerst für die CDU. Weil die und die Katholische Kirchengemeinde Belmicke sein Siedlungsprojekt für (meist evangelische) Flüchtlinge nicht unterstützte, trat er aus, wurde fortan direkt gewählt und verwirklichte die Siedlung (gemäß der „Bodenreformer“-Bewegung) im evangelischen Neuenothe. Mit seinem sozialen Einsatz hat er offenbar (natürlich vergeblich) versucht, seine Traumatisierung durch die Beteiligung an den Verbrechen loszuwerden, zusammen mit einigen Fehlschlägen bei seinen Projekten führte das wohl in den verzweifelten Alkoholismus.

Als die englische Historikerin Fulbrook in einem Vortrag ihre Erkenntnisse über den LVR- Gründungsdirektor vorstellte, habe ich ihr in einem Brief, der auch veröffentlicht wurde, von meinem Vater berichtet, wie Klausa katholisch und Wehrmachtsoffizier (siehe Anhang).

Während sich Klausa und Goldenbogen ohne jede Spur von Reue und Einsicht wieder in Machtpositionen festsetzten, achte ich heute meinem Vater gerade wegen seines Scheiterns, weil es ja zeigt, dass er immerhin noch ein Gewissen hatte, welches ihn quälte.

Weil er Militär und Uniformen ablehnte und in einer geheimen Untersuchung im Oberbergischen des Soziologieprofessors Scheuch für die Bundeswehr im Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen als möglicher „Widerständler“ aufgeführt war, konnte ich mich mit ihm auch ehrlich versöhnen.

In dem erwähnten Buch des Historikers Alexander Friedman gehe ich in einem Interview auch auf meinen Vater und seine Kriegsschuld ein. Ich glaube daher nicht, dass ich ihm gegenüber noch Nachholbedarf habe.

Sie haben aber Recht damit, dass ich mich in meinen jahrelangen Auseinandersetzungen um den NS auch und gerade hier im Oberbergischen hätte auch an Sie wenden sollen, weil wir ja im Kampf gegen alten und neuen NS sicher auf derselben Seite der „Barrikade“ stehen. Vielleicht ist es dafür ja nicht zu spät.

In der Diskussion mit Freunden über „Kaufmann/Schild“ist die Idee entstanden, einen Gesprächskreis von Interessierten einzurichten, der sich mit der Erforschung der Wurzeln des NS hier vor Ort und den konkreten Einflußfaktoren beschäftigt, welche die Mitmenschen zu Rassisten und Antisemiten werden ließen und lassen.

Freundlicher Gruß,
Lothar Gothe

 

Anhänge:
Brief an Mary Fullbrook
Anmerkungen_zu_Goldenbogen