Mein Freund Robert Naumann

In der Ausstellung zu 68 in Köln machen sich einige Mitläufer als große Revoluzzer breit, während andere unter den Tisch fallen, die damals sehr engagiert waren und viel riskiert haben. Einer von denen, die der heutige „Mainstream“ vergessen hat, ist der Kölner 68er Robert Naumann. Im Begleitband wird er nur einmal (im Zusammenhang mit dem Politischen Nachtgebet) erwähnt, und zwar unter dem falschen Namen Peter Neumann.

Robert hieß tatsächlich eigentlich Peter, aber alle nannten ihn Robert, ich weiß nicht warum. Ich habe ihn 67 an der Uni kennengelernt, wo er auch Germanistik studierte. Er war ein außergewöhnlich sensibler Mensch mit einem großen Herzen für alle, die am Rande lebten, geächtet waren, ausgestoßen, kaputt. Wenn wir uns die antiautoritäre Kölner „Revolte“ als eine Person vorstellen, wäre Robert ihre Seele gewesen.

67 bezog ich mit ihm und meiner Schwester eine Altbauwohnung in der Gravenreuthstrasse im damals noch heruntergekommenen, schmutzigen Arbeiterviertel Ehrenfeld. Mit ein paar Möbeln und Matratzen vom Sperrmüll, einer Kochplatte, einem alten Kühlschrank war er zufrieden, dazu seine Bücher, ein Tonbandgerät und sicher über hundert Tonbänder mit hauptsächlich klassischer Musik. Im späteren Leben kam noch ein alter Opel dazu, viel mehr brauchte er nie. Robert beteiligte sich an allen politischen Aktionen ganz konsequent.

Als die verbarrikadierte Kölner Uni in der Tagesschau gezeigt wurde, erkannte ihn sein Staatsanwalts-Vater und Robert bekam heftigen Ärger.

69 zogen wir in die größere Wohngemeinschaft Salierring 41, lebten teils von Jobs, teils vom Verkauf selbst gefertigten Silberschmucks auf der Schildergasse. Robert machte mit bei unserem „Politischen Nachtgebet“ über Erziehungsheime und obdachlose Jugendliche („Trautes Heim“) und den Anfängen des SSK.

Natürlich roch es in der WG öfters nach Haschisch und auch härtere Drogen wurden getestet. Unter den Besuchern der WG fielen aber zunehmend welche mit problematischem Konsum auf. Für diese Süchtigen gab es damals keinerlei Hilfe in der Stadt, nur Verfolgung und Knast.

Deshalb mietete Robert auf eigene Faust und mit finanzieller Unterstützung einer oder mehrer wohlhabender und wohltätiger Damen eine Wohnung in der Görresstrasse und nahm dort Fixer und Drogenabhängige auf. Für jeden „vernünftigen“ Menschen von vorn herein eine „Wahnsinnstat“, wie sich auch bald zeigen sollte. Schnell wurde die Görresstrasse ein „Hotspot“ der illegalen Drogenszene, in der Wohnung breiteten sich unvermeidlich chaotische Zustände aus, es kam zu Gewalt, nächtlichem Krach, Beschwerden, Polizeieinsätzen und endlich zu einer spektakulären Räumung.

Robert hatte immer wieder mal Stoff besorgt, hauptsächlich für Fixer, die auf Entzug zu kollabieren drohten. Aber einige Male blieb auch er nicht beim Joint und ließ sich einen Schuss setzen, um seinen Mitbewohnern nahe zu sein. Für Robert ein Ausdruck brüderlicher Liebe.

Die Justiz sah das anders und klagte ihn als Drogendealer an, es drohte Knast. Sein Vater hat sich bei dem Staatsanwalts-Kollegen für ihn eingesetzt und ihn vor einer Gefängnisstrafe bewahren können. Allerdings zu einem hohen Preis: Zwei Jahre Psychiatrie.

Robert rappelte sich danach wieder hoch, arbeitete im Straßenbau, kaufte ein winziges altes Häuschen in Wiesloch für sich und seine Bücher. Später nahm er sein Studium wieder auf und begann sogar eine Doktorarbeit, die nie fertig wurde;

Robert ergatterte einen relativ bescheidenen Job im Stuttgarter Archiv des SWR, der seiner Kinoleidenschaft sehr entgegen kam und ihm ermöglichte, hunderte Filme zu kopieren. Die Berliner Filmfestspiele waren jährlicher Pflichttermin.

Vor mehr als 20 Jahren nahm er wieder Verbindung mit mir auf. Seitdem kam er in jedem Herbst für eine Woche auf unseren Hof und besuchte am Todestag seiner Mutter zu ihrer Sterbestunde gegen 22 Uhr ihr Grab auf dem Siegburger Friedhof.

Robert blieb immer politisch aktiv, zuletzt als „Parkschützer“ gegen den Stuttgarter Tiefbahnhof oder Anti-AKW-Demonstrant. Er half auch mit, den Kölner Landschaftsverband wegen der Menschenrechtsverletzungen in seinen Psychiatrien und seiner Nachkriegs-Nazi-Kontinuität unter Druck zu setzen.

In seinen letzten Lebensjahren diskutierten wir oft den Plan, gemeinsam nach Polen zu fahren. Ich wollte einmal Auschwitz besuchen, Robert hatte vor, in Archiven nach Spuren seines Vaters forschen, der dort im Krieg als Staatsanwalt tätig gewesen war.

Doch er schob den Plan immer wieder auf, er befürchtete wohl (wie unser Genosse Kurt Holl), in einen familiären Abgrund blicken zu müssen.

Aus einer Hepatitis, wahrscheinlich einem Andenken an die Drogen-WG, entwickelte sich 2010 ein Krebs, eine Lebertransplantation führte dann 2011 zu einem elenden Ende in der Heidelberger Krebsklinik.

Robert hat mehr als 10 000 Seiten Tagebuch geschrieben, die er veröffentlichen wollte, sicher eine einzigartige zeitgeschichtliche Fundgrube. Bei seinen jährlichen Besuchen brachte er jedes Mal ein paar Seiten über bestimmte Ereignisse oder Personen aus unserer gemeinsamen Vergangenheit mit.

Roberts Biografie ist nach alledem ein Beispiel für ein konsequentes, ethikorientiertes, „ehrenhaftes“ 68er Leben. Wie wohltuend unterscheidet es sich von den erfolgreich im Konsumkapitalismus angekommenen, großmäuligen ehemaligen „Weltrevolutionären“, die sich heute so selbstgefällig auch in den Medien breit machen.

Imma Harms hat einen sehr liebevollen und sehr lesenswerten Nachruf auf Robert geschrieben: „Mein Freund Robert ist tot“ Er ist sicher im Netz zu finden.