Zur SSK-Geschichte und der Abspaltung des SSM

Zur SSK-Geschichte, der Abspaltung des SSM, zu Erfolgen und Niederlagen, zum Konflikt zwischen ehemaligen Freunden und zur Rolle von SSK und SSM in der heutigen Zeitenwende

Der Text ist etwas länger geraten – man kann ihn hier als PDF herunterladen.

Jubiläumsdaten – ein kurzer Rückblick ( ausführlicher in Gothe/Kippe, Aufbruch ,Köln 1975)

Im Herbst 1969 wurde der Verein Sozialpädagogische Sondermassnahmen Köln, SSK, gegründet. Fünf städtische Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter sowie ein Mann der Kirche gehörten zu den Gründern, ein einziger ehemaliger „ Heimzögling“ , Paul Woods, war auch dabei. Mit dem instinkt- losen, politisch belasteten Begriff „Sondermassnahmen“ ( 25 Jahre zuvor wurden damit z.B. Gräuel-taten der SS bezeichnet) war gemeint, dass man mit einigen „Zöglingen“ aus den Erziehungsheimen ein sozial fortschrittliches Experiment machen wollte: Eine betreute Wohngemeinschaft außerhalb der Heime. Man beantragte beim für die „Fürsorgeerziehung“ zuständigen Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Genehmigung und Finanzierung und stieß auf Ablehnung. Dort herrschten noch weitgehend Nazigeist und Nazi-Personal: An der Spitze der schwer belastete Klausa, an leitender Stelle im Landesjugendamt Dr. Marta Beurmann, die vor 45 rassisch „minderwertige“, jüdische oder Romakinder in die Jugend-KZ´s hatte deportieren lassen.

Rudi May vom SSK versuchte daraufhin, diesen Entscheidungsträgern das Projekt wie folgt schmackhaft zu machen: Er wies daraufhin, dass ja im Zuge der Studentenrevolte das Gewaltsystem der Fürsorgeerziehung angegriffen wurde- in Frankfurt hatte es schon (Befreiungs-) Aktionen mit Ulrike Meinhof gegeben – und dass diese linke Heimkampagne sicher auch den LVR erreichen werde. Diese Angriffe könne der LVR viel besser abwehren, wenn er eine solche Wohngemeinschaft vorwei-sen könne.

Er bot also den Verein und das Ausnahmeprojekt Wohngemeinschaft als PR-Feigenblatt an, hinter dem der LVR die totalitäre Heimerziehung weiter umso besser aufrechterhalten könne. Dies darf man wohl als Verrat an den Interessen der vielen Heiminsassen betrachten.

Zur gleichen Zeit entstand am Salierring 41 unsere Wohngemeinschaft von linken Studenten aus dem radikalen Sozialistischen deutschen Studentenbund SDS. Mit anderen gründeten wir die Alternativ-zeitung ANA BELA. In den ersten Ausgaben veröffentlichten wir Berichte von Jungen, die aus dem Don Bosco Heim in der Großen Telegrafenstraße geflohen und am Salierring aufgenommen worden waren: Prügel, Erniedrigung, sexueller Missbrauch, Zwangsarbeit, eine Art Gulag mitten in der Stadt.

Kurz: Es entstand eine Kölner „Heimkampagne“, es flohen immer mehr Heimkinder, die „illegal“ untergebracht wurden. Wir waren mit dem Verein SSK in Kontakt gekommen und richteten die vom LVR abgelehnte Wohngemeinschaft einfach „illegal“ ein. Der Verein kritischer Christen vom politischen Nachtgebet hatte uns seinen Vereinstreffpunkt „ Etage“ zur Verfügung gestellt, der bald auch mit „Illegalen“ belegt war. Wegen der christlichen Promis sah sich der LVR nun zu Verhandlungen mit dem Verein SSK gezwungen und in einer Vollversammlung wollten wir die Verhandlungs-Delegation bestimmen. Als ich vorgeschlagen wurde, erklärte Karl-Otto Hentze vom SSK, er habe interne Informationen aus dem LVR, dass die Verhandlungen sofort angebrochen würden, wenn ich zur Delegation gehören würde. Nun wurde ich (ich glaube auf Antrag von Walter Herrmann) erst recht gewählt und unmittelbar nach dieser Abstimmung erklärten die SSK-Gründer (bis auf Paul Woods) den Austritt aus ihrem SSK, gründeten den neuen Verein ASA (Arbeitsgemeinschaft soziale Arbeit) und bekamen die Wohngemeinschaft daraufhin „geschenkt“.

Wir entwickelten ein neues Projekt, das „Kontaktzentrum für obdachlose Jugendliche“. Das Heimerziehungssystem war darauf angewiesen, dass es für die Zöglinge draußen keine legale Überlebenschance gab. Das Kontaktzentrum durchlöcherte diese totalitäre Macht und war insofern neben der Hilfe für einzelnen auch ein Hebel dafür, die Grundrechte für alle Heiminsassen durchzusetzen.

Mit der Abstimmung in der „Etage“ und dem Austritt der Sozialpädagogen wurde der Verein SSK somit um 180 Grad „ auf links“ gedreht.

Dieser Tag ist für mich deshalb das eigentliche Gründungsdatum des kämpferischen SSK, der in den Folgejahren große sozial-politische Veränderungen erreichte und der seinen sozialrevolutionären Cha-rakter später auch in dem neuen Namen Sozialistische Selbsthilfe zum Ausdruck brachte.

Dessen 50jähriges Jubiläum wäre demnach erst im Herbst 2020 fällig.

Der Weg zur „Sozialistischen Selbsthilfe“

Als das Kontaktzentrum durchgesetzt und realisiert war, bekamen die Heimzöglinge erstmals draußen Rechte. Der einsetzende Massenansturm von Jugendlichen stellte binnen Monaten das ganze System der auf Gewalt beruhenden Heimerziehung in Frage. Um es zu erhalten, war die Zwangsschließung unvermeidlich, ansonsten hätten in den Heimen radikale, auf Freiwilligkeit beruhende Reformen durchgeführt werden müssen.

Auf den „Trümmern“ des sozialpädagogischen entstand der neue, noch nicht klar ausgerichtete Selbsthilfe-SSK („Wir packen an“) – anfangs eigentlich nur der Versuch, das nackte Überleben der Gruppe zu organisieren. Für die meisten war klar, dass wir uns nicht mehr von dem staatlichen Sozial-system abhängig machen wollten. Deshalb lehnten wir auch den Vorschlag vom Sozialdezernenten Körner ab, unter anderem Namen, quasi „undercover“, in seinem „Körner-Modell“ in bezahlten Jobs weiter zu machen. Daraufhin bezeichnete er wutentbrannt sowohl unseren Selbsthilfeplan als auch mich persönlich als „irre“.

Dabei hatte er aus seiner Sicht durchaus nicht unrecht. Unser Plan war „gegen alle Vernunft“ und im Grunde chancenlos angesichts der im Alltag so übermächtigen kapitalistischen Realität: Ein zusammengewürfelter Haufen von Menschen aus Heimen, Knast und Psychiatrien, von der Straße, abgebrochene Studenten, am Bürgertum Gescheiterte: Die sollten aus eigener Kraft existieren können? Und dabei eine Gemeinschaft von Gleichen bilden, in welcher Klassenschranken und gesellschaftliche Hierarchien möglichst aufgehoben werden? In der keiner Chef und keiner Untergebener ist, keiner Betreuer und keiner Betreuter? Unterschiede wie gebildet – ungebildet, „normal“ – behindert, deutsch – ausländisch, alt – jung, weiblich – männlich für die Bewertung und die Rechte des Einzelnen keine Rolle spielen dürfen?

Als völlig übergeschnappt musste mit Recht der Anspruch erscheinen, zudem noch gegen staatliche Unterdrückungs-Einrichtungen anzugehen, um unsere und die Freiheit anderer zu erkämpfen und unsere und die Würde anderer zu verteidigen.

Rückblickend könnte man vielleicht sagen, es war der Versuch, eine Utopie, einen uralten Traum in unsere Realität zu holen, der in der Menschheit von den Urchristen über Müntzers Bauern bis zu den Zapatisten immer wieder aufs Neue wach wurde. (Die Münchner Räterepublik mag auch in diese Reihe gehören, ein Buch darüber trägt den Titel „Träumer“).

Das sahen natürlich viele als totale Spinnerei und blanke Illusion an, nicht nur Körner.

Heute vermute ich: Rainer auch. Er war nach der Trennung von seiner Frau Helga (Anfang 1974) im Salierring 41 eingezogen. Dort hatten wir einige leere Wohnungen (wie auch die Lagerräume im Hinterhof) besetzt, welche eine Spekulantenfirma auf Grund einer Abrissgenehmigung hatte räumen lassen. Später zog er mit Ranne ins Hinterhaus des dann ebenfalls besetzten Hauses Nr. 37.

Rainer hatte mit seiner Frau bis dahin ein Leben in einem geordneten Lehrerhaushalt geführt und die frühere „68er“ Wohngemeinschaft nur als Besucher mit erlebt. Nun sah er sich dem „Chaos“, dem „Dreck“, der Unordnung und den oft spontanen und unberechenbaren Abläufen und Aktionen ausgesetzt. Dem konnte er ersichtlich gar nichts Gutes abgewinnen und zog sich mehr und mehr zurück. Sicher auch wegen der Probleme mit Rannes Schwangerschaft und kleinen Kindern, aber nicht nur. Ich glaube, das deshalb beurteilen zu können, weil ich selbst bereits seit einigen Jahren in ähnlicher Situation mit kleinen Kindern war.

Bald nach der Gründung der Mülheimer Gruppe zeigte sich zunehmend, dass diese bzw. Rainer sich immer mehr vom SSK absonderte und andere Wege ging. Einerseits verfolgte die Gruppe eigene Projekte, die sie aber nicht zuvor im SSK diskutierte, sondern nur vorstellte, so z.B. ein Landbauprojekt in Erp, (welches allerdings trotz kräftigem Sponsoring nach ein paar Jahren sang- und klanglos wieder eingestellt wurde). Andererseits klinkte sie sich nach und nach aus gemeinsamen Projekten und Kämpfen der anderen SSK-Gruppen aus und kündigte ihnen insofern die Solidarität auf. Es verfestigte sich der Eindruck, dass hinter den einzelnen „Abweichungen“ ein anderes Konzept steckte als das des ursozialistischen SSK. Dieses wurde aber nicht offen als Alternative vorgetragen, sondern Schritt für Schritt in der Praxis umgesetzt.

Dabei griffen sie zunächst durchaus berechtigte Anliegen auf: Vor allem familiengerechte Verhältnisse zu schaffen, die im „chaotischen“ SSK kaum oder gar nicht gewährleistet waren. Das erforderte aber eine Eindämmung der sonst unausweichlichen Fluktuation und diese wiederum die Abweisung von Hilfesuchenden, wenn die nun weitgehend geschlossene Gruppe „voll“ und ausgelastet war: Also Ausstieg aus der Verteilung von „Neuaufnahmen“.

Sodann beschränkte die Mülheimer Gruppe die politische Arbeit auf das Stadtviertel und die unmittelbare Nachbarschaft und stieg folgerichtig aus den Kämpfen gegen die Menschenrechtsverletzungen in Psychiatrien und Heimen aus, ebenso wie aus denen gegen Wohnraumvernichtung und Sanierungsvertreibungen, sofern diese nicht unmittelbar vor ihrer Türe stattfanden.

Das führte zu den teilweise großen Aggressionen und ständigen Streitereien auf den Ratssitzungen, die von Rainer und anderen damals wie heute andauernd so lauthals beklagt werden. Im SSK spürten die Leute, dass mehr hinter den Mülheimer „Extrawürsten“ und Solidaritäts-Verweigerungen stand. Sie kriegten den verborgenen Kern des Übels aber nicht zu packen: Ein verdeckt verfolgtes, in jeweils einzelnen Schritten vorangetriebenes Gegenkonzept, welches mit den sozialistischen Zielen des SSK jedenfalls teilweise unvereinbar war. Die sozialistische Form wurde aufrechterhalten, während in der Praxis Grundregeln geändert oder ganz abgeschafft wurden. Erst 20 Jahre später stellte Rainer in der Jubiläumsbroschüre zum 20jährigen Bestehen des SSM sein offensichtlich schon damals insgeheim verfolgtes Alternativkonzept offen vor.

Der Mülheimer “Gegen-SSK“

In dieser SSM-Broschüre heißt es, in Auszügen aus Rainers Doktorarbeit:

Die damalige Sichtweise des SSK-Mülheim – aber auch die heutige des SSM – orientiert sich an vergangenen Gesellschaftsmodellen, wie man sie eher bei Konservativen vermutet, als bei Sozialisten… Es bräuchte „ein Gegenmodell, welches ökonomisch ähnlich wirkungsvoll ist, wie es die Großfamilie war, aber nicht auf Blutsbanden….beruht, sondern auf freien Zusammenschluss“.

Eine Familienstruktur, sei sie von terroristischer oder harmonisch-liebevoller Natur, ist natürlich in keiner denkbaren Ausformung eine basisdemokratische, sozialistische, sondern auf jeden Fall eine mehr oder weniger autoritäre Hierarchie.

Es versteht sich von selbst, dass es der Papa (oder Quasi-Papa) ist, der am Ende sagt, wo es lang geht, dass er mehr zu sagen hat als eigene oder adoptierte Kinder, Oma oder Onkel. Diese unterschiedlichen Machtpositionen sind vorgegeben und unabänderlich, den Papa kann die Familie nicht abwählen. Eine solche „ konservative“ Familienstruktur erfordert natürlich eine weitgehend geschlossene, feste Gruppe. Politische Aktivitäten, die über das Stadtviertel oder die Nachbarschaft hinausgehen, gehören nicht zu ihren originären Aufgaben. Wohl aber soziales Engagement für Arme und Behinderte.

Mein Antrag, den SSK von dem Namen „Sozialpädagogische Sondermassnahme“ zu befreien und in „Sozialistische Selbsthilfe“ umzubenennen, fand daher nach meiner Erinnerung auch nicht Rainers Unterstützung.

Natürlich hätten Rainer und andere SSK-Mitglieder das Recht gehabt, ein solches Gegenkonzept für den SSK vorzutragen, eine entsprechende Richtungsänderung zu verlangen und eine Entscheidung zwischen den beiden, teils unvereinbaren Wegen herbeizuführen. Das hätte auch zu intensiven, harten Diskussionen geführt, aber nicht zu diesen endlosen, zermürbenden, untergründigen Spannungen. Am Ende hätte es eine Entscheidung geben müssen und es wäre geklärt worden, was der SSK-Weg ist und was nicht.

Vermutlich hat Rainer keine Chance gesehen, sich mit seinen Vorstellungen im damaligen SSK durchzusetzen. Deshalb hat er sich wohl darauf verlegt, sie quasi hinter den Kulissen Schritt für Schritt um zusetzen und einen offenen „Schlagabtausch“ zu vermeiden. Das erinnert mich an eine Strategie der trotzkistischen Kommunisten der vierten Internationale, der Rainer in den 60ern angehörte. Sie wird „Entrismus“ genannt und bezeichnet eine Methode, verdeckt in die SPD einzutreten, um sie so von innen her nach und nach auf die „richtige“ Linie zu bringen.

SSK als Großfamilie

Stellen wir uns einmal vor, der SSK hätte sich damals insgesamt für diesen „Mülheimer Weg“ entschieden und wäre entsprechend umstrukturiert worden: Alle (politischen) Aktivitäten außerhalb des Stadtteils wären eingestellt worden: Der Kampf gegen die staatlichen Gewaltstrukturen wie die Psychiatrie, die Beschwerdezentren, die „Unbequemen Nachrichten“ ebenso wie die Unterstützung der Sanierungsopfer von Pulheim oder Bergneustadt. Den Zug mit der verstrahlten Molke hätten wir nicht gestürmt, das Künstlerhaus Rolandstraße nicht gerettet.

Zugunsten der Familien ähnlichen festen Gruppenstruktur hätten wir die meisten Hilfesuchenden abweisen oder auf eine Warteliste setzen müssen. Wie hätten wir Psychiatrieopfern wie etwa Karl-Heinz Bauer oder Josef Burgold erklären sollen, dass wir uns fortan leider nicht länger um sie kümmern können?

Das Porzer Projekt hätte es nicht gegeben: Es kam ja nur unter dem Druck zustande, dass wir in der Notsituation der großen Romagruppe die Häuser am Salierring und in Ehrenfeld durch ihre spontane Aufnahme völlig überfüllt hatten.

Den Traum einer Gemeinschaft von Gleichen hätten wir beerdigen und die Gruppen wie der SSM in „Behinderte“ und „Nicht-Behinderte“ aufteilen müssen. Weil es im SSK diese Unterscheidung nicht gab, hätten wir erst einmal festlegen müssen, was im SSK als „behindert“ gelten soll und was nicht und wer fortan also „Behinderter“ ist und wer nicht. Wer von uns hätte das entscheiden dürfen? Und wollen?

Zwei extreme Beispiele zeigen, dass dies für uns eine kaum lösbare Aufgabe gewesen wäre: Mein Freund Peter Bettelmann z.B. (der langjährige Vorzeigebehinderte beim SSM), leidet an Sprachstörungen, ist deshalb aber noch lange nicht nur „behindert“. Bei meinem Baby Nele hat er sich als vollwertiger Babysitter erwiesen, zuverlässig bis nachts um zwei. Er hatte beim Spielen sogar einen besonderen Zugang zu kleinen Kindern und wäre in jedem Kita-Team eine Bereicherung gewesen.. Ich hingegen kann bekanntlich drauflos labern, leide aber ansonsten für einige Experten eindeutig an einer chronischen Form der „Anpassungsstörung“.

Der SSK hätte den „Bewegungscharakter“, wie Rainer das abfällig nennt, verloren und den gemeinsamen Einsatz für die Menschenrechte des unterdrücktesten Teils der Bevölkerung faktisch einstellen müssen.

Doch eben dieser politische Kampf war und ist neben der „anarchistischen“ Gemeinschaft für mich das Kernstück der besonderen sozialistischen SSK-Identität und die Grundlage seines Strebens nach Freiheit. Und vor allem er bestimmt bis heute das Bild des SSK in der Öffentlichkeit und steht für die Verdienste, welche dem SSK von Historikern heute zugerechnet werden.

Rainers Ausschluss und die Abspaltung des SSM

Der „zentristische“ Nervenkrieg setzte dem gesamten SSK zu und mehr und mehr zermürbte und lähmte er die Gruppen. Möglicherweise für Rainer ein nicht unerwünschter Effekt, um den geschwächten SSK in seinem Sinne zu verändern. (Eine böse Unterstellung, zugegeben)

Aber dann trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein: Auf der Ratssitzung erschien Klaus Gabrielli, ein Mitglied der Mülheimer Gruppe, und erhob schwere Beschuldigungen gegen Rainer, für die er jeweils konkrete Vorkommnisse anführte: Rainer führe ein autoritäres Regime, nehme sich Vorrechte heraus und mache Kritiker nieder. Er sei wegen seiner Kritik an Rainer rausgeschmissen worden. Den SSK-Regeln entsprechend wurde Rainer zur Stellungnahme aufgefordert. Weil er dies aber bei zwei langen Sitzungen strikt und arrogant ablehnte, wurde er schließlich – auf meinen Antrag hin – aus dem SSK ausgeschlossen, um so die Rest-Autorität der Ratssitzung zu retten.

Dieses starrsinnige, uneinsichtige Verhalten gegenüber dem offensichtlichen Verstoß gegen das demokratische Grundgebot „Gleiches Recht für alle“ war mir/uns seinerzeit ein Rätsel. Wenn man allerdings den Maßstab des Großfamiliensystems anlegt, erscheint es logisch und konsequent: Der Vater muss sich nicht gegenüber den Kindern oder anderen Familienmitgliedern rechtfertigen, für ihn gelten andere Regeln. Der aufsässige Gabrielli hatte die wahre Struktur (Familie) der Gruppe offenbar nicht stillschweigend akzeptiert, sondern die Messlatte der vorgegebenen (sozialistisch) angelegt und damit den verborgenen Widerspruch offengelegt.

Rainer und seine Gruppe haben sich sofort lauthals als arme unschuldige Opfer knallharter SSK-Politaktivisten hingestellt. Zu diesem Zweck erfand er die Legende, „der Mülheim-feindliche Mehrheitsblock“ des SSK habe die „Gelegenheit“ genutzt, sich in die „inneren Verhältnisse in Mülheim einzumischen“ und „über alles zu bestimmen, wie es ihr in den Kopf kommt.“ Er sei ausgeschlossen worden, weil er die „Autonomie“ der Gruppe verteidigt habe. Das empörte natürlich die meisten bürgerlichen Unterstützer, denen der radikale SSK ohnehin nicht geheuer war. Und mit Hilfe dieser Fake News, die ich ihm bis heute übel nehme, konnten Rainer und der SSM seinen Rausschmiss langfristig gewinnbringend vermarkten.

20 Jahre später kommt er in der erwähnten Doktorarbeit der Wahrheit schon näher:

Die Gruppe Mülheim erlebte die Trennung als Befreiung. Sie war es leid, ewig gegängelt zu werden und sich für jeden Schritt rechtfertigen zu müssen… Es schmerzte die meisten auch nicht, als der SSK bald darauf mit der Forderung kam, auf den Namen zu verzichten. Für sie war es ein willkommener Anlass, mit dem Namen auch die ganze SSK-Politik abzustreifen.“

Die „ganze SSK-Politik“ war es also, die Rainer und der SSM „ abstreifen“ mussten. Hätte er doch nur 20 Jahre früher solche Klarheit geschaffen! Wie viel Stress, Frust und Aggression wäre vermieden worden! Wir hätten uns viel friedlicher und sauberer trennen und die jeweils unterschiedlichen Wege gehen können. Jedes SSK-Mitglied hätte sich für den einen oder anderen Weg entscheiden können.

Es stellt sich auch die Frage, warum die Mülheimer Gruppe diese „Befreiung“ nicht längst selbst voll-zogen hatte, um sich dann „von einem alten, überlebten Konzept zu einem neuen hin zu bewegen“.

Im Gegensatz zum SSM sei der SSK vollkommen gescheitert, so trommelt Rainer seit mehr als einem Jahr ununterbrochen, so als wäre der SSM die erfolgreiche Fortsetzung des früheren SSK und nicht ein völlig anderes Projekt.

Zur „ganzen SSK-Politik“ gehörte neben der Hilfe für die einzelnen Opfer untrennbar der Kampf gegen die totalitären Unterdrückungsinstitutionen, in welchen Geist und Personal des Nazirassismus noch lebendig waren (und in chemisch modernisierter Form womöglich wieder werden).

Beim LVR haben wir diesen Zusammenhang über Jahrzehnte hin offengelegt. Sogenannte Behinderte waren ja die dritte Menschengruppe neben Juden und Roma, welche von den Nazifaschisten als Unter-menschen, „unnütze Esser“ oder Lebensunwerte ausgesondert und vernichtet wurden. Für mich und sicher auch für andere war der SSK deshalb immer auch ein antirassistisches und antifaschistisches Projekt. Als solches wäre dieser SSK heute angesichts des bedrohlich anwachsenden neu/alten Nazirassismus nötiger denn je; zählen doch neben Ausländern und Juden längst auch schon wieder „Asoziale“ und Behinderte zu den Opfern, die als „Spastis“ verprügelt oder angezündet werden.

Diese „ganze SSK-Politik“ ist aber keineswegs gescheitert, vielmehr hat hier der SSK außergewöhnliche, nachhaltige Erfolge erzielt, die inzwischen auch von Historikern vielfach gewürdigt werden. Der SSM hatte sich aber auch davon „befreit“ und stand bei der Psychiatriekampagne seit Ende der 70er vollkommen „abseits“, wie Rainer damals schrieb.

Der Kampf für die Menschenrechte in Heimen und Psychiatrien

Die heutigen Mitglieder des SSM oder auch der SSK-Gruppen vom Salierring und Ehrenfeld haben vermutlich keine Vorstellung von dem SSK der 70er und 80er, nicht von seiner inneren Verfassung und nicht von seinen Kämpfen gegen staatliche Gewaltstrukturen.

Eine Ahnung davon können sie aber bekommen, indem sie das frühere Haus 5 in der Dürener Psychiatrie besuchen. Dieser ehemals schlimmste Psychiatrieknast in NRW ist als Museum erhalten worden und es wird dort von Sozialpsychiatern ein Dokumentationszentrum zur Geschichte der Psychiatrie aufgebaut.

Jahrelang sind wir auch gegen diese berüchtigte Forensik mit Flugblättern und Protestaktionen vorgegangen, haben Insassen befreit (z.B. Karl-Heinz Bauer und Josef Burgold) und uns Strafanzeigen und Hausverbote eingehandelt. Zwei der Insassen, die sich dem SSK als Zeugen zur Verfügung gestellt hatten, sind in ihren Zellen auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen, auch das ging bundesweit durch die Medien.

Heute hängt im Eingangssaal ein stark vergrößertes SSK-Flugblatt an der Wand, auf einem Tischchen liegt eine unserer Broschüren aus mit dem Nazizitat des LVR-Bosses Klausa als Titel : „Die Aussonderung der Entarteten“; in einer der Zellen hängt noch ein weiteres SSK-Flugblatt an der Wand, wohl von einem früheren Häftling angeklebt und im Gang vor dem berüchtigten „Bärenkäfig“ steht die Skulptur „Mausoleum für Lebende“ als Mahnmal für die Menschenrechtsverletzungen in den LVR-Einrichtungen. Der Braunschweiger Bildhauer Denis Stuart Rose hat sie geschaffen, inspiriert von Veröffentlichungen des SSK.

Das große Flugblatt ist unterzeichnet von Klaus Breidenbach, das in der Zelle von Ulla Goebel und Katharina Kaecke, es gab vier Ausgaben der Broschüre „ Aussonderung der Entarteten“, jeweils mit den Verantwortlichen Andrea Schäfer, J. Genske und A. Arnold. Es gibt auch ein Flugblatt von L. Gothe. Und viele andere haben den Kampf mitgetragen, deren Namen nicht in einem Impressum auftauchen.

Daran erkennt man zunächst, dass SSK und Beschwerdezentrum echte Kollektive waren und dass es eben keinen „Führer“ gab, weder J. Genske noch L. Gothe.

Zum andern zeigt auch dieses Museum, dass der „David“ SSK der nahezu absoluten Macht des „Goliaths“ LVR Schranken setzen konnte, was dessen körperliche, seelische und medizinische Gewalt-anwendung betrifft; dass den Erniedrigungen und Demütigungen („Menschenmaterial zweiter Klasse“) durch uns klare Grenzen gezogen werden konnten. Auch, indem wir ständigen Druck ausübten, die ideologischen und personellen Wurzeln im Nationalsozialismus freizulegen. Letztlich haben wir mit unseren Aktionen, Veröffentlichungen und unseren Gemeinschaften durchsetzen können, dass das Grundgesetz mit großer Verspätung Einzug in diese damaligen „Gulags“ hielt.

Der Kampf des SSK gegen das totalitäre Psychiatriesystem nahm zwischenzeitlich tatsächlich einen „Bewegungscharakter“ an, von dem Rainer und die Mühlheimer Gruppe sich ja schon „befreit“ hatten, als sie noch im SSK waren.

Die Auswirkungen zeigten sich bundesweit:

Einmal sorgten dafür über Jahre die Berichte in überregionalen Medien wie Stern, Spiegel, WDR etc. Es verbreiteten sich auch die SSK Publikationen wie die „Unbequemen Nachrichten“ und die Broschüren sowohl unter den Opfern und Patientenorganisationen als auch in sozialen Institutionen. Das Beschwerdezentrum fand Ableger in anderen Regionen. Amnesty International hat in einem Jahres-bericht Anfang der 80er die Bundesrepublik wegen der Menschenrechtsverletzungen in seinen Psychiatrien gerügt, hauptsächlich auf der Grundlage von SSK-Material.

Zum andern hatte unser Gegner LVR großen Einfluss auf die Entwicklung der Psychiatrie. Er ist nicht nur der größte deutsche Sozialverband, sondern er war mit Kulenkampff an der Spitze maßgeblich an der bundesdeutschen Psychiatriereform beteiligt. Kulenkampff war auch der Vorsitzende der Enquetekommission der Bundesregierung zur Lage der Psychiatrie. Was beim LVR geschah oder nicht geschah, was dort aufgedeckt wurde oder nicht, hatte Einfluss bundesweit.

In einem Brief vom März 97 schreibt Kulenkampff zur Rolle des SSK (dem er eine satte Geldstrafe verdankt):

… Sie wissen, dass Sie mir eine ganze Menge Ungemach bereitet haben. Aber zurückblickend möchte ich sagen, dass unsere beiden Positionen gleichsam historisch objektiv für den Verdauungsprozess der Reform notwendig waren. Ihr Schmerz bereitender Verdienst war es mit Ihren Leuten den Dreck hoch gespült und sichtbar gemacht zu haben. Erst so konnte er politisch relevant d.h. eine starke Provokation für politisches Handeln werden…“

Als der SSK nach Brauweiler und Düren auch in Bonn schwere Misstände mit Toten und Verletzten aufgedeckt hatte, und der LVR das wieder auf „Einzelfälle“,“bauliche Defizite“ etc, schob, fragte ich in einer Pressekonferenz Kulenkampff, warum immer der SSK diese Zustände aufdecke und nie die Aufsicht oder das Parlament des LVR, da kam er erstmals zum Kern des Übels;

Wir sind in einem System drin, gefangen, …das sich nicht einfach so von heute auf morgen verändern lässt. Das ist ein System, das aus dem vorigen Jahrhundert stammt, nicht etwa von gestern ist.“

In diesem „System“ haben Psychiater schon vor den Nazis „Lebensunwerte“ getötet, um das Erbgut des deutschen Volkes vor ihren minderwertigen Genen zu schützen. Diese Mörderpsychiatrie begrüßte freudig das Nazi-Rassenhygiene- Programm und organisierte die Aussonderung und Vernichtung der „Entarteten“.

Um die Frage Einzelfälle oder System ging es auch in dem großen Gerichtsverfahren, mit dem der LVR uns das Maul stopfen wollte. Wir hatten in einem Flugblatt geschrieben, dass in Brauweiler „Menschen wie Vieh gehalten werden können, mit Dämpfungsmitteln vollgestopft ,wer bei diesem Drogenmissbrauch stirbt, wird sang-und klanglos unter die Erde geschafft.“

Das Landgericht erlaubte nach zahlreichen Zeugenaussagen diese Beschuldigung, verbot aber die weitergehende:

Dieser Mißstand hat System. Und das wird vom LVR bestimmt und aufrechterhalten… Die Schreibtischtäter sitzen im LVR … und sorgen dafür, dass das alte System so weiter bestehen bleibt.“

Der LVR sah darin den Vorwurf, er würde die Euthanasie fortsetzen. Diese Äußerung, so das Gericht sei nur dann zulässig, wenn wir Zustände wie in Brauweiler für alle Landeskrankenhäuser des LVR nachweisen könnten.

Mit einem einmaligen Kraftakt, in großem Zusammenhalt und mit wachsender Unterstützung Außen-stehender wuchs die SSK-Gemeinschaft über sich hinaus, das Beschwerdezentrum wurde gegründet und zahlreiche Beweise und Zeugen kamen zusammen; Es gelang innerhalb von 2 Jahren das Unmög-liche: Das OLG erlaubte diesen ungeheuerlichen Vorwurf, der die LVR-Psychiatrie als verfassungswidrige Organisation dastehen ließ und sie fortan enorm unter Druck setzte.

In den 90ern haben auch die SSK-Gruppen die „Psychiatriekampagne“ aufgegeben, seit 2007 habe ich sie mit ehemaligen SSKlern und außenstehenden Unterstützern wieder ins Leben gerufen und wir haben immer wieder vom LVR verlangt, die Aufarbeitung seiner Naziwurzeln und der Menschenrechtsverletzungen in seinen Anstalten endlich anzugehen.

Nachdem der LVR noch 2010 seinen braunen Gründungsdirektor Klausa in skandalöser Weise mit einer Ausstellung zum 100sten Geburtstag posthum geehrt hatte, erschien ein Jahr später das Buch der englischen Historikerin Mary Fulbrook über seine Tätigkeit als Nazilandrat im annektierten Polen.

In Deutsch: Eine kleine Stadt bei Auschwitz“- Gewöhnliche Nazis und der Holocaust, Essen 2015.

Die Abwehrfront des LVR brach zusammen. Peter Kleinert veröffentlichte unsere Briefe und Flug-blätter in der NRhZ, auch die preisgekrönte Arbeit des Geschichtsprojekts des Pulheimer Gymna-siums über das LKH Braueiler. Als die Eunthanasieaustellung zum LVR kam, organisierten wir eine Demo und dann musste das „ NS-Tabu“ auch von der LVR-Spitze gebrochen werden; es wurden, auch unter unserem Druck, Forschungen in Auftrag gegeben: Über Klausas Nachkriegskarriere und auch SSK-Widerstand:

Uwe Kaminsky/ Thomas Roth; „Verwaltungsdienst, Gesellschaftspolitik und Vergangenheitsbewältigung – Udo Klausa, Direktor des Landschaftsverbands Rheinland ( 1954 bis 1975)“. Essen 2016

Über die Verhältnisse in den LVR-Anstalten: menschenverachtende, teils grausame Zustände und Praktiken kamen ans Tageslicht.:

Andrea zur Nieden, Karina Korecky, „Psychiatrischer Alltag – Zwang und Reform in den Anstalten des Landschaftsverbands Rheinland ( 1970 bis 1990), Berlin 2018“

Frank Sparing,“ Zwischen Verwahrung und Therapie – Psychiatrische Unterbringung und Behandlung im Bereich des Landschaftsverbands Rheinland von 1945 bis 1970“, Berlin 2018

Man beließ aber Klausa die Ehrenbürgerschaft der Uni Bonn und den Ehrendoktor der Uni Düsseldorf. Um diesen unerträglichen Zustand zu beenden, habe ich 2018 eine Gedenkveranstaltung der Uni Bonn für ihre NS Opfer wegen Klausa gestört, den Altrektor Borchardt als Mitkämpfer gewonnen und mit einer Unterschriftenliste die Uni Düsseldorf unter Druck gesetzt. Inzwischen distanzieren sich beide Unis von dem Geehrten.

Es geht nicht einfach um Vergangenheitsbewältigung. Die Psychiatrie ist die staatliche Instituion, die wie keine sonst über Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen verfügen kann. Weil sie keine exakte Wissenschaft ist, kann sie leicht von politischen Machthabern mißbraucht werden; zum Verschwindenlassen politischer Gegner wie in der Sowjetunion oder zur Vernichtung „Lebensunwerter“ wie im NS.

Seit kurzem scheint ein bisher unvorstellbares politisches Szenario nicht mehr völlig unmöglich: Eine AfD/CDU-Regierung unter einem rassistischen und faschistischen Bundeskanzler Höcke. Dazu brauchen vielleicht nur schwere Klimawandelschäden und eine Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit zusammen zu treffen. Auch deshalb müssen wir auf jeden Fall die Psychiatrie sehr scharf im Auge behalten.

Auf diesen Teilbereich der „ganzen SSK-Politik“ können also wir uneingeschränkt stolz sein.

Das gilt auch für einen anderen, nämlich den Kampf gegen die Verletzung der Grundrechte der armen Bevölkerungsgruppen in den Sanierungsgebieten mit ihrem „Besatzungs-“ Sonderrecht „Städtebauförderungsgesetz“ (Auf die zahlreichen Hausbesetzungen zur Erhaltung billigen Wohnraums, die wir durchgeführt oder unterstützt haben, will ich hier nicht weiter eingehen).

In engem Kontakt mit den Sanierungs-Opfern ist es uns zweimal gelungen, die staatlich organisierten Vertreibungen als Grundrechtsverletzungen vor Gericht und zu Fall zu bringen: In Pulheim und auch in der Arbeitersiedlung Dreiort in Bergneustadt wurden mit Hilfe des SSK große Sanierungen auf Grund ärztlicher Atteste für nichtig erklärt, weil sie Gesundheit und Leben der Betroffenen bedrohten. (und übrigens auch „Zulieferer“ für die Psychiatrie waren).

Auch hierbei stand der SSM „abseits“

Ein hoher Preis

In diese harten politischen Auseinandersetzungen, an denen der SSM sich nicht beteiligt hat, ist aber viel Kraft, Zeit und Geld geflossen. So wie sie auf der einen Seite Begeisterung hervorrufen konnten und den Zusammenhalt stärken, trugen sie auf der anderen Seite dazu bei, dass die Gruppen immer wieder am Rande der wirtschaftlichen Existenz vorbei schrammten. Und dass viele von uns nach Jahren erschöpft waren und manche nicht mehr weiter machen konnten. Das traf verstärkt dann zu, wenn Kinder kamen. Insofern hat der SSM mit der Feststellung Recht, dass das Leben im damaligen SSK aufreibend und jedenfalls nicht familiengerecht war.

Eine Lösung dieses Problems schien nicht möglich, so lange wir das Ziel nicht aufgeben wollten, weiterhin so konsequent und unversöhnlich für die Interessen der armen und unterdrückten Teile der Bevölkerung einzutreten. War das doch zwangsläufig mit immer wieder neuen Herausforderungen, Hilfeleistungen, Widerstandsaktionen, Gerichtsverfahren und auch daraus resultierendem Geldmangel verbunden.

Wegen unserer radikalen Haltung war es auch schwer, wie beim SSM Unterstützer aus der wohlsituierten bürgerlichen Szene zu finden. Denn viele Mittelklasse-Angehörige sahen ihre Interessen immer mal wieder durch uns bedroht.

Der Interessengegensatz zeigte sich z.B. an der Südstadtsanierung: Gegen die ursprünglich vorgesehenen Massenabrisse alter Häuser gingen wir gemeinsam mit den bürgerlichen Mitgliedern der BISA vor. Als die Stadt umschwenkte und das Ziel „des qualitativen Austauschs der Bevölkerung“ nunmehr durch Luxus-Modernisierung verwirklichte, waren die meisten Architekten, Journalisten, Lehrer, Rechtsanwälte etc. damit zufrieden und mieteten oder kauften sich in die teuren Wohnungen ein. Für uns und die armen Leute kam es aber auf dieselbe Vertreibung hinaus.

Oder: Es gab auf einer DGSP-Veranstaltung einen Streit mit dem Reformpsychiater Dörner, der uns angriff, weil durch unsere Strafanzeigen in Brauweiler Ärzte und Pfleger wegen Überdosierung und Körperverletzung verurteilt worden waren. Das schlechte psychiatrische System müsse man angreifen, nicht die handelnden Personen. Er sah durch unsere Strafanzeigen offenbar auch seinesgleichen, die „Pschiatriereformer“ bedroht.

Auch mit unserer gelebten und oft scharf geäußerten Konsumkritik („Die Gnade der Verdrängung“, „Ausstieg aus der Verschwendung“) traten wir für diese gut betuchte Schicht als nicht gerade förderungswürdige „Spaßbremsen“ in Erscheinung.

Der Versuch, „Charity“-Veranstaltungen á la Lions Club auf die Beine zu stellen, wie der SSM das sehr erfolgreich schafft, wäre daher für uns verlorene Liebesmüh gewesen. Dabei geht es allerdings auch nicht darum, die Rechte einer unterdrückten Klasse durchzusetzen, sondern letztlich um Wohltätigkeit für Einzelne, bei der die Spender sich gut fühlen können, ohne ihre privilegierte Existenz in Frage stellen zu müssen.

Für diesen Erfolg muss der SSM auch einen Preis zahlen, allerdings einen politischen. Um es mit Pestalozzi auszudrücken:

„Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade“.

Die verhasste Ratssitzung oder Der verborgene Herrschaftsanspruch der Bürgerlichen Unterstützer

Im SSK hatte sich eine basisdemokratische Struktur herausgebildet: Er bestand aus einzelnen Gruppen, die im Rahmen der Ziele und Strategien des Gesamt-SSK autonom waren. Diese Ziele sowie auch andere übergeordnete Angelegenheiten wie etwa Finanzierungsfragen wurden in der gemein-samen wöchentlichen Ratssitzung diskutiert und beschlossen. Im Sinne der direkten Demokratie hatte dort jedes Mitglied eine Stimme; wenn kein Konsens zu erzielen war, entschied die Mehrheit. Ob die Sitzungen chaotisch verliefen oder strukturiert, laut oder leise, lahm oder spannend, desinteressiert oder konzentriert: Ein anderes Entscheidungsgremium hatten wir nicht.

Diese Ratssitzung geriet aber zum absoluten Hassobjekt der Mühlheimer Gruppe. Sie beanspruchte unausgesprochen absolute Autonomie, weshalb sie sich immer weniger den Beschlüssen der Ratssitzung („Gängelung“ Rainer 2006) unterwarf und sich von Fall zu Fall der gemeinsamen Solidarität verweigerte. Auch Rainers arrogant-verächtliche Auftritte waren dazu angetan, die Legitimität der Ratssitzung zu untergraben und sie trugen zu dem beklagten „ätzenden“ Charakter vieler Sitzungen erheblich bei.

Im Zusammenhang mit Rainers Ausschluss (siehe oben) zeigte sich, dass er der Ratssitzung jede Legitimität absprach, über Angelegenheiten der Gruppe Mühlheim und insbesondere über sein persönliches Verhalten zu entscheiden. Hätte er sich durchgesetzt, wäre die Ratssitzung endgültig delegitimiert und paralysiert worden und der SSK ohne diese inhaltliche und organisatorische Klammer schon früher in Einzelteile zerfallen.

Die Gründe für diese Haltung ließ er damals im Dunkeln. Erst in der besagten Broschüre treten sie zu Tage und sie zeigen sich auch besonders deutlich in den „Hassmails“ des letzten Jahres:

Es sind die Teilnehmer der Ratssitzungen oder zumindest ein großer Teil davon, die er für verächtlich hält und unfähig oder unwürdig, um richtige, kompetente Entscheidungen treffen zu können. Das kommt deutlich zum Ausdruck in Titulierungen wie „Schwatzköppe“oder „arme Leutchen“ (die ich „führerlos“ zurückgelassen hätte)..Wer sonst sollte damit gemeint sein als SSK-Mitglieder aus der „Unterschicht“, aus prekären, „bildungsfernen“ Verhältnissen? Durch derartig abfällige Formulierungen werden alle diese Menschen entmündigt.

Tatsächlich hat er deren Mitwirkung bei der Entscheidung zu seinem Ausschluss bis heute nicht akzeptiert. Denn der Ausschluss war klar begründet, mit Mehrheit getroffen, es gab keine Vorabsprachen, keine Manipulationen, keine demokratischen Defizite.

Dennoch haben sich fast alle bürgerlichen Unterstützer, vor allem die Stankowski-Brüder und Rolf Stärk, Rainers Haltung angeschlossen und sich über die SSK-Entscheidung einfach hinweggesetzt. Im Volksblatt wurde, wie gesagt, der verlogene „Hilferuf“ der inzwischen ausgetretenen Mülheimer Gruppe als „SSK-Verfolgte“ abgedruckt. Darin wurde der Grund für Rainers Ausschluss verschwiegen, der SSK wurde nicht um eine Stellungnahme gebeten. Rolf ignorierte den SSK-Beschluss, indem er als Vorsitzender des Unterstützervereins „Helft dem SSK“ auch gegen dessen Willen weiter Spendengelder nach Mülheim geben wollte.

Auf welches Recht sie sich bei dieser faktischen „Entmündigung“ des SSK berufen, ist unklar. Aber ihr Herrschaftsanspruch, (mit)entscheiden zu dürfen, was SSK ist und was nicht, hält bis heute an.

So tun sie alles, um beim SSK-Jubiläum den SSM und Rainer als die einzig legitimen Nachfolger des alten „ruhmreichen“ SSK zu präsentieren und ihnen sogar die Erfolge in den Bereichen anzuheften, mit denen Rainer und der SSM nichts zu tun haben wollten und nichts zu tun hatten. Sie formen den SSK nach ihren bürgerlichen Bedürfnissen um und versuchen, ihn auf diese Weise rückwirkend zu „domestizieren“ und ihn zu einem Vorläufer des SSM zu machen.

In dieses Horn stößt auch der linke professorale Heißluftballon Leggewie in seinem Buch über „68“, wenn er den SSM und den SSK als „alternative Wohlfahrtsökonomie“ bezeichnet, also als eine Art Caritas der urbanen, grün-alternativen Wohlstandsblase. Darin kann man sich in seiner bürgerlichen Existenz gut aufgehoben fühlen und muss sich nicht durch sozial-revolutionäre Bestrebungen und radikale „Schwatzköppe“ bedroht fühlen.

Echten Reichtum (nicht „Oma ihr klein Häuschen“) kann es in einer gerechten, sozialistischen Ge-sellschaft nicht geben, weil der immer mit unkontrollierter Macht verbunden und der siamesische Zwilling der Armut ist. Beim SSM-Sozialismus scheint der aber kein gesellschaftspolitisches Problem, da Rainer im Zusammenhang mit Rolf Stärk erklärt, es komme nicht darauf an, wieviel Geld einer habe, sondern was er damit mache: Für Reiche eine sehr angenehme „Sozialismus“-Variante.

Es wäre völlig in Ordnung, wenn Jochen und Martin Stankowski, Rolf Stärk und die anderen damals wie heute sich vom SSK abgewendet hätten und Rainer als einem der ihren zur Seite stehen, seine Partei ergreifen und sein tatsächlich verdienstvolles Sozialprojekt SSM begrüßen und nach Kräften fördern.

Dabei aber SSM und SSK bitte auseinander halten und die jeweils eigenständige Existenz jeder Seite anerkennen sowie deren jeweilige Erfolge und Niederlagen richtig zuordnen. Dann könnten die einen dieses feiern und die anderen jenes, die einen müssen mit dieser Niederlage leben, die andern mit jener. Indem sie aber beides vermengen, berauben sie den SSK seiner Identität und seiner Erfolge und schieben diese ihrem politisch pflegeleichten Freund in die Schuhe.

Das führt dann zu Auftritten wie dem mit dem LVR-Oberen Wilhelm. Aus SSK Sicht ist Wilhelm ein Hauptverantwortlicher für jahrzehntelange Vertuschung von Mißständen und Nazikontinuität des LVR; Sein maßgeblicher Anteil an der ungeheuerlichen Ehrung des schwer belasteten Klausa noch 2010 disqualifiziert ihn für alle öffentlichen Ämter, also kann eine SSK-Forderung nur lauten, dass er den Professorentitel der ebenfalls braun befleckten Uni Düsseldorf und sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben sollte. Statt ihn damit zu konfrontieren, erteilt ihm Rainer in seiner Unwissenheit über diese Hintergründe als SSK-Vertreter mit dem small talk über Psychiatriereform aber eine Art „SSK-Absolution“ und fällt unserem Jahrzehnte langem Kampf in den Rücken. Martin assistiert bei dieser Anmaßung und spielt mit seiner Medienwirksamkeit und seinem Image als scheinbar objektiver Historiker dabei eine unsaubere Schlüsselrolle.

Dazu passt, dass er bei der mit Rolfs etwas flachen „Laster“ Witzchen angekündigten Kaffeefahrt zum Salierring und nach Porz auf mich als Zeitzeugen lieber verzichtet, vermutlich weiß ich zu wenig oder halt das Falsche (Verletzte Eitelkeit?!?).

In meinen Augen zeigt sich hier die Schamlosigkeit, mit der die „Bourgeoisie“ ihren Herrschaftsanspruch auch in ihrer alternativen Ausformung zur Geltung bringt..

SSK, Klimakrise, Subsistenzperspektive.

Am 20. September haben wir an der Fridays for Future Demo in Gummersbach teilgenommen: 1200 Demonstranten in der Kleinstadt! Rundum auf den Bergen das Fanal: Abgestorbene Fichtenplantagen und sterbender Laubwald als Hinterlassenschaft der größten oberbergischen Dürre seit Menschengedenken.

Den meisten – vor allem auch Schülern – war klar, dass wir alle so nicht mehr weitermachen können. Weder mit dem fossilen Wachstumswirtschaft noch mit dem maßlosen Konsum.

Viele sehen auch, dass wir viel zu spät dran sind mit wirksamem Klimaschutz und dass weitere schwerwiegende Folgen bereits nicht mehr abgewendet werden können. Auch und vor allem soziale und politische: Es sind die Armen und Ausgegrenzten, welche es am härtesten treffen wird, also genau die Menschen, an deren Seite sich der SSK von Beginn gestellt hat. Die unschuldigen „globalen“ Armen bezahlen schon längst mit Hunger, Elend, Terror und Gewalt und werden an den Außengrenzen der „Festung Europa“ mit Nazi-Brutalität abgeschreckt und zurückgejagt. Ein westlicher „Wohlstandsverteidigungsfaschismus“ nimmt immer deutlichere Konturen an.

Es gehe inzwischen, so auch der UNO-Generalsekretär, um nichts weniger als das Überleben der Menschheit! Das Überleben der Menschheit!

Genau darum ging es aber auch schon Ende der 70er und in den 80ern. Die erste Klimakonferenz war 1979 in Genf, 1972 hatte der Club of Rome schon eindringlich davor gewarnt, die Grenzen des Wachstums zu überschreiten. Exakt dieselben Diskussionen, die heute vor allem durch die Schülerproteste angefeuert werden, gab es damals bereits, auch im SSK und mit seinem Umfeld haben wir sie geführt. Eben auf die dramatischen Folgen, die heute eintreten, wollten auch wir im SSK Antworten finden. Nicht nur theoretisch.

Gerade der SSK schien prädestiniert, Auswege aus dieser Bedrohung zu finden: Als sozialistische Gemeinschaft war die Ursache der lebensgefährlichen Erderwärmung, der neoliberale Kapitalismus, ja ohnehin unser Gegner, der bekämpft und überwunden werden muss. Und dessen Gier getriebenes Konkurrenzprinzip wollten wir unter uns durch „Teilen“ ersetzen. Wer länger als ein paar Monate im „armen“ SSK aushielt, hatte zudem gezeigt, dass er nicht wie die große Mehrheit der Mitmenschen konsumabhängig war, sondern höhere Lebensziele verfolgte.

Gerade weil wir freiwillig „arm“ waren und in der Gemeinschaft stark und mutig, waren wir innerlich frei und nach außen unabhängig genug, um gegen die heraufziehende „Menschheitsbedrohung“ (Merkel, neuerdings) neue Wege suchen und durchsetzen zu können. Unsere Erfolge im ursprünglich auch aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die totalitären Machtstrukturen in der Psychiatrie stärkten uns dabei den Rücken.

Es ging also nicht um einen „neuen SSK“, wie Rainer behauptet, sondern um die SSK-Antwort auf die neuen ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen durch Umweltzerstörung und Klimawandel. Anders ausgedrückt: Um unseren spezifischen Beitrag für das „Überleben der Menschheit“.

So ökologisch wertvoll, weil Energie sparend, unsere materiell bescheidene Lebensweise und die Gebrauchtmöbelgeschäfte auch waren und sind: Die „Rettung“ müsste auch am Anfang der Produktionskette erfolgen, nicht nur an deren Ende, dem Abfall. Die Kompostprojekte und später der Subsistenzhof haben jahrelang unter Beweis gestellt, dass klimaneutrale Produktion sogar gegen den Widerstand mächtiger kapitalistischer Gegner möglich ist und funktionieren kann. Beim Kompost-projekt war/ist es die Abfallwirtschaft, beim Landbauprojekt die Vorherrschaft der industriellen Land-wirtschaft.

Die Kompostanlage wurde nach langen Jahren zum Aufgeben gezwungen, ein Grund war eine Fliegenplage durch die warmen Winter, der andere eine gegen die Abfallindustrie verlorene Ausschreibung. Den Subsistenzhof kann ich aus Altersgründen nur noch rudimentär betreiben, aber gescheitert sind beide Projekte keineswegs. Vielmehr können sie heute als seltene Vorbilder für wirklich Klima neutrales Wirtschaften dienen. Denn der alles entscheidende Maßstab dafür ist eine positive Energiebilanz. Im Unterschied zu industriellen Kompostanlagen und beim „Höfchen“ auch zur Bio-Landwirtschaft war diese bei beiden Projekten oberste Richtschnur. Tschernobyl und die Energiefrage waren ja Auslöser.

Das führe ich an andrer Stelle näher aus und stelle es auf die Homepage. Hier nur soviel:

Die Abfallindustrie hat mit den langen Transportwegen und den groß-technischen Industrieanlagen eine verheerende Energiebilanz und ist vor allem nicht in der Lage, sauberen, für den Nahrungsmittelanbau geeigneten, fremdstofffreien Kompost herzustellen. Der wird aber dringend gebraucht, wenn nach dem notwendigen Ende der Massentierhaltung organischer Dünger benötigt wird und besonders das weltweit zur Neige gehende Phosphor in den Bioabfällen erhalten werden muss.

Die Grünland/Milch-Wirtschaft hat seit 50 Jahren gewaltige Produktionssteigerungen erreicht, indem Stallmist und Jauche durch Boden – „giftige“- Gülle ersetzt wurden, Heu und Grummet durch 4 bis 5 Silageschnitte und robuste Rinderrassen durch „Hochleistungskühe“, die ohne Millionen Tonnen Soja aus Übersee nicht leben können. Für den Einsatz von Großtechnik wurde die Landschaft ausgeräumt und in riesige „Grasäcker“ umgewandelt mit der Folge des dramatischen Insektensterbens, weil dort nichts mehr zum Blühen kommt. Wir haben dagegen die alten arbeitsintensiven Bewirtschaftungsweisen (einschließlich „Konsumverzicht“) wieder belebt: Stallmist statt Gülle, alles am Hof verarbeitet (z.B. Getreide zu Brot, Milch zu Butter etc.), es lokal verkauft und mit moderner Technik kombiniert (Solarstrom, Holzgasheizung)

Die Dürre 2018 und die Hitze 2019 haben gezeigt, dass das industrielle System der Grünland/Milchwirtschaft mit den rasierten und gegüllten Böden an den Klimawandelfolgen kollabieren wird; der Schock dringt erst langsam ins Bewusstsein der Bauern und noch langsamer in das der Konsumenten. Dabei zeigen die absterbenden Wälder unübersehbar, dass die seit 100 Jahren so erfolgreiche profitable Forstwirtschaft mit ihren Nadelholzmonokulturen binnen eines Jahres irreversibel zusammengebrochen ist. Ein ganzer Wirtschaftszweig mit mehr Arbeitsplätzen als bei der Kohle kann nur noch abgewickelt werden.

Aus heutiger Sicht waren wir damit der Zeit leider weit voraus. Nicht nur im SSK, auch allgemein gerieten all die vielen „Öko/Klima-Projekte“ seit den 90ern immer mehr ins Hintertreffen, weil der Siegeszug des aufkommenden neoliberalen Kapitalismus (Thatcher, Blair, Schröder, Fischer ) und der damit verbundene global anschwellende Konsumrausch auch über sie hinwegrollte.

Solche wie unsere und andere Projekte einer aus sich selbst heraus existierenden Subsistenzwirtschaft werden aber bald als eine Art Rettungsinseln gerade für die Armen und Ausgesonderten gebraucht werden, wenn durch Ressourcenverknappung und Klimawandelschäden auch hier Not und Elend einziehen. Landbesetzungen und Aneignung der lebensnotwendigen Produktionsmittel werden die sozia-len Kämpfe der Zukunft sein. Der SSK hatte in meinen Augen die Fähigkeit, dabei ein Vorreiter zu werden.

Das ist tatsächlich gescheitert. Manche sagen, dafür sei die Not noch nicht groß genug. Ich muss zugeben, dass ich wohl von anderen und auch von mir zu viel verlangt habe. Dabei spielt vermutlich meine problematische Charaktereigenschaft eine Rolle, dass ich ein einmal erkanntes Ziel so hartnäckig verfolge, dass ich leicht mein Umfeld aus dem Blick verliere.

Aber das bedeutet nicht, dass sowohl die Analyse der Verhältnisse als auch die Projekte als praktische Antwort falsch gewesen wären. Auf jeden Fall ist es aber kein Ausweg, die Augen vor den aufziehenden Gefahren zu verschließen und den Kopf in den Sand des Weiter-So zu stecken.

Nun haben sich Rainer Kippe und Kathi Kaecke des Langen und Breiten über die Broschüren „Ausstieg aus der Verschwendung“ und „Land in Sicht“ ausgelassen und eimerweise Spott über ihnen ausgegossen. („Höfchen“, „Blümchen züchten“, Verpissen in die „Idylle“ usw.) Es stimmt natürlich, dass insbesondere ich selbst mit sehr starken Worten und Bildern geschockt habe. Doch heute kommen solche Schocker von Wissenschaftlern und Schulkindern!

Die Häme fällt daher auf sie selbst zurück. Sie stellen tatsächlich damit nur unter Beweis, dass sie als Teil der großen Masse ingnoranter Mitbürger ebenfalls aus der Zeit gefallen sind.

Denn gerade in ihren radikalsten Aussagen müssen beide Schriften heute wohl eher als visionär betrachtet werden, weil es in den Texten ja bereits um das Überleben der Menschheit gegenüber den Gefahren des Klimawandels geht. Das Kapitel „Jetzt wird es langsam ernst“ beschreibt bis in die Einzelheiten genau die Situation, vor der wir heute stehen und zeigt Lösungswege auf, die jetzt erst (zu spät) diskutiert und gefordert werden. Und dass die schrankenlosen Verschwendungorgien des Konsumismus zum „allgemeinen Tod“ führen müssen, bestreitet außer den diversen „Trumps“ und der AfD mittlerweile kaum noch jemand.

Es ist aber zu befürchten, dass heute der Zeitpunkt zum Umsteuern verpasst ist, um gravierende ökologische Zusammenbrüche und deren zwangsläufig brutale soziale und politische Folgen zu vermeiden. Die Chance zu einem langsamen Umsteuern wurde vertan, jetzt läuft die Zeit davon.

Das Total-Versagen der Wachstumswirtschaft-hörigen Politik hinsichtlich des Klimaschutzes wird einen „Wohlstandverteidigungsfaschismus“ notwendig machen, wenn das Konsumniveau für die (obere) Mittelschicht gehalten werden soll. Dazu wird das Nazi-Gesellschaftsmodell von Herrenmenschen und Untermenschen wieder offen verfolgt werden müssen, faktisch wird es ja längst global praktiziert. Andererseits wird es bei den vielen Verlierern zwangsläufig zu gewaltsamen Aufständen und anwachsendem Terrorismus führen.

Beider Vorläufer sind schon in unserer Realität angekommen.

Ich kann nicht erkennen, dass der heutige SSK, der SSM oder die Porzer Selbsthilfe auf diesen mit Macht heran kommenden globalen „Tsunami“ irgendeine Antwort hätten oder auch nur danach suchen. Vielmehr scheinen auch sie wie die meisten Bundesbürger im Meer der Verdrängung mit zu schwimmen, indem auch sie unbeirrt an ihrem jeweiligen seit Jahrzehnten geübten „business as usual“ festhalten.

Ist es nicht eigentlich eine Schande für SSK/SSM/PSH, dass es heute ein schwedisches Mädchen und Schüler sind und nicht wir, welche in einfacher Sprache die Mächtigen radikal herausfordern ?

Dass der SSM-Sozialist Kippe meint, Greta und die andern sollten lieber zur Schule gehen?

Dass heute nicht wir, sondern „Ende Gelände“ oder „Extinction Rebellion“ die mutigen Widerstands-aktionen gegen die Zerstörungsorgien des Konsum-Kapitalismus durchführen?

Gescheitert sind unsere Subsistenzprojekte also nicht an ihrer Verbindung von wirksamem Klimaschutz und weltweiter sozialer Gerechtigkeit, beide Anforderungen haben sie erfüllt. Und wir konnten zudem in der „Idylle“ noch Kraft und Freiraum für soziale Kämpfe aufbringen, z.B. mit attac ein 200 Millionen Dollar cross-border-leasing-Geschäft mit Kläranlagen verhindern oder das Netzwerk Gentechnikfreies Oberberg“ mit aufbauen. (Mit dem haben wir z.B gegen die Internationale Gentech-Konferenz abic in der Kölner Messe demonstriert, zusammen mit Greenpeace, Attac, Maria Mies u.a. und Leuten vom SSK-Salierring – lange her)

Gescheitert sind wir allerdings daran, diese Projekte als SSK-Gruppen durchzuführen und darunter leide ich. Aber es liegt eben nicht (nur) an unserem/meinem Unvermögen, an fehlendem Engagement, oder gar an einer Hinwendung zum Konsumkapitalismus, Mein Lebenstil hat sich seit SSK Zeiten ebensowenig verändert wie die soziale Zusammensetzung der Besucher in meiner Küche ( wo nach Rainers Feststellungen am Salierring das „geheime Zentralkomitee des SSK“ angesiedelt war).

Gescheitert“ sind wir also gerade auch an der Verdrängung der „Menschheitsgefahren“, welche in den SSK/ SSM Gruppen um sich gegriffen hatte und die in Rainers und Kathis unsäglichen Verächt-lichmachungen des „Höfchens“ gipfeln.

Das dramatische Artensterben wird von der Wissenschaft längst wie die Erderwärmung als Bedrohung für das Überleben der Menschheit gesehen. Nun wird uns von Biologen sehr erfolgreicher Arten-chutz im „ Düster Gründchen“ attestiert, was übrigens mit viel Arbeit und sehr wenig Geld verbunden war. Wenn das heute noch von SSK/SSM -Leuten wie Rainer und Kathi als „Blümchen züchten“ abgewertet und verhöhnt wird statt es zu würdigen, dann stellen sie sich selbst ins Abseits. Offenbar ist ihnen nicht bewußt, dass sie damit ins Horn derer tuten, die sich hauptsächlich im Milieu der meist gut situierten, oft auch rechten „Weiter -So -Fanatiker“ tummeln.

Weder die beiden noch irgendwer sonst aus dem Umfeld haben jedenfalls eine Position, die es ihnen erlauben würde, die oberbergischen Projekte und Meggies und meine Arbeit, Kämpfe, Gedanken und Lebensführung, sei es in Köln oder hier, in der Weise verächtlich zu machen und herab zu würdigen, wie es ein Jahr lang geschehen ist.

Die Zeiten ändern sich rapide und immer mehr und immer schneller wird der Klimawandel auch hier die sozialen und politischen Verhältnisse bestimmen. Wer sich nicht diesen neuen Herausforderungen stellt und statt Widerstand zu organisieren im Gewohnten verharrt, wird mit dem Mainstream von Chaos oder neuem Faschismus überrollt werden. Für eine gerechte, massvolle, sozialistische Welt-und Wirtschaftsordnung zu kämpfen und schon jetzt nach ihr zu leben, ist heute nötiger denn je.

Wäre es nicht ein trauriges Ende, wenn die frühere sozial-politische Avantgarde SSK abgeschlagen hinter den neuen Widerstandsbewegungen her läuft oder ihnen gar selbstgefällig im Wege steht?

Aber für Einsicht, Umkehr und Widerstand ist es ja nie zu spät.

11000 Wissenschaftler haben soeben das Sterben von Millionen Menschen und Elend für noch viel mehr durch den Klimawandel vorausgesagt. Jetzt ist es also ernst geworden.

Deshalb will ich zum Abschluss noch als Provokation aus einem Flugblatt zitieren, das ich kürzlich verteilt habe:

Die Menschheit führt einen Krieg gegen das Klima, so einige Forscher. Was aber können wir gegen die kapitalkräftigen Kriegsherren tun, die freiwillig ihre Riesenprofite aus Öl, Gas und Kohle kaum aufgeben werden?

Bringt es was, gemeinschaftlich den „Konsumdienst“ zu verweigern ?

Dürfen oder müssen wir Sabotage betreiben an den „Klimakriegswaffen“wie „SUV-Panzern“, „Kreuzfahrt-Schlachtschiffen“oder „Luftkampf-Ferienfliegern“ ?

Gibt es ein Naturrecht, kaputt zu machen, was uns alle kaputt zu machen droht ?

Solche Fragen stehen an.“

Ich hoffe, „verletzte Eitelkeiten“ und „Hahnenkampf“ haben sich einigermaßen in Grenzen gehalten.

Lothar Gothe, 6.Nov. 2019