Leserbrief zum Artikel „Zeichen setzen gegen den Antisemitismus“

Leserbrief zum Artikel „Zeichen setzen gegen den Antisemitismus“

Wieder dasselbe oberflächliche Ritual zur Reichsprogromnacht: Betroffenheitsbekundungen, scharfe Verurteilung von Antisemitismus und Rassismus, das jüdische Totengebet, Schülerauftritt und wir alle gehen als die Guten nach Hause.

Dabei wäre es gerade in diesem Jahr so wichtig gewesen, endlich auf die tieferen Ursachen der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der Juden zu sprechen zu kommen. Denn die sind zu einem sehr großen Teil in dem mörderischen Antisemitismus des so pompös gefeierten Jubilars Martin Luther zu finden. An den Progromen des 9.November 1938 zeigt sich dies besonders deutlich. Der Ablauf dieser Gewaltorgie entsprach nämlich genau den menschenverachtenden Forderungen Luthers in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“: Synagogen und Schulen verbrennen, Häuser zerstören, Juden vogelfrei machen, ausplündern, erschlagen…

Anlass war zwar das Attentat eines verzweifelten jüdischen Jugendlichen auf einen deutschen Diplomaten in Paris am 7.11., wonach zunächst ein paar vereinzelte Übergriffe folgten. Doch SA und SS inszenierten dann das Progrom in der Nacht zum 10.11., denn dieses Datum kam sehr gelegen:

„Am 10. November, Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen (…) In dieser Stunde muss die Stimme eines Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet (…) im 16. Jahrhundert der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden“, so begrüßte der thüringische Landesbischof Sasse die Untaten, an denen sich viele, viele Christen beteiligten. Der evangelische Reichsbischof erklärte, Hitler vollende nun, was Luther begonnen habe.

Dieser Hintergrund des Nazi-Antisemitismus wird weithin tabuisiert, vermutlich haben die Schüler nie davon gehört und die lauen Schuldbekenntnisse seitens der Kirche führen in die Irre:

Man habe sich nicht genug gegen die Nazis gewehrt. So als sei der Nationalsozialismus als etwas Fremdes über die deutschen Christen gekommen. Der Wahlforscher Falter hat herausgefunden, dass jeder zweite evangelische Christ 1932 NSDAP gewählt hat. Die “Deutschen Christen“ waren eine Naziorganisation mit Hitlergruss und Hakenkreuz in ihrer Fahne. Nichts Kirchen-“Fremdes“ also, etwas sehr „Eigenes“. Widerstand leisteten nur wenige Einzelne wie Dietrich Bonhoeffer.

Wer diese Wurzeln des Antisemitismus weiterhin nicht wahr haben will und sich immer noch nicht zu seinem Anteil daran bekennt, der macht sich vor der Jugend schuldig. Wie will er denn heute dem Neonazi entgegentreten, der einen Anschlag auf eine Synagoge verübt hat und sich auf den so hoch geehrten Luther beruft ? Der habe es so nicht gemeint?

Es ist auch kein echtes Zeichen gegen Antisemitismus, Partnerschaften mit israelischen Orten zu pflegen, aber hier wie dort zutiefst beschämende historische Wahrheiten zu leugnen oder totzuschweigen. Dabei wären ehrliche Zeichen angesichts des anwachsenden Rassismus und Antisemitismus doch so dringend nötig.

Nachtrag:

Ich hatte zu meinem Leserbrief extra noch ein kleines Anschreiben verfasst, daß ich dem interessierten Leser meines Blogs auch nicht vorenthalten möchte:

Sehr geehrter Herr Klemmer,

im Anhang finden Sie einen Leserbrief, dessen Inhalt Sie vielleicht als problematisch betrachten. Deshalb weise ich darauf hin, dass alle Tatsachenbehauptungen sorgfältig recherchiert und nachprüfbar sind und dass ich aus Platzgründen auf weitere Zitate verzichtet habe.

Wie ich bereits Ihrem Herrn Thies im Gespräch mitgeteilt habe, hätte ich mir auch diesen Leserbrief gern verkniffen, wenn von Seiten Ihrer Redaktion, etwa in einem Kommentar, die bei den Gedenkveranstaltungen unterschlagenen Informationen der Leserschaft zugänglich gemacht worden wären.

Ich gehe jedenfalls davon aus, dass wir darin übereinstimmen, dass ganz besonders die jungen Menschen einen Anspruch auf die ganze Wahrheit haben. Mag sie auch noch so unangenehm sein.

Mit freundlichen Grüssen, Lothar Gothe Eckenhagenerstr. 33,
51702 Bergneustadt 02265 / 7357

Der Brief ist dann – erwartungsgemäß – nicht abgedruckt worden.

Zweiter Nachtrag:

Auf diesen „unveröffentlichten Leserbrief“ hat dann am 29.11.2017 Herr Dechant Christoph Bersch mit einer an mich adressierten Email reagiert. Der daraus entstandene Mailwechsel ist so interessant – und aufschlussreich – daß ich ihn der geneigten Leserschaft nicht vorenthalten möchte. Auch, wenn dieses Vorgehen als „unfein“ empfunden werden könnte. Hier geht es weiter.

 

Lesung, Vortrag, Diskussion „Eine kleine Stadt bei Auschwitz“

EINE KLEINE STADT BEI AUSCHWITZ

So lautet der Titel des Buchs der englischen Historikerin Mary Fulbrook aus dem sie lesen wird. Es befaßt sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Udo Klausa, der von 1954 bis 1975 (der erste) Direktor des Landschaftsverbands Rheinland war und als solcher die schweren Missstände in den Erziehungsheimen und Psychiatrischen Anstalten zu verantworten hatte.

Frau Fulbrook ist ein außergewöhnlich tiefer Einblick in die Persönlichkeitsstruktur eines deutschen Bildungsbürgers gelungen, der dem Dritten Reich in der Verwaltung als Landrat gedient hat, an den Nazi-Verbrechen und dem Holocaust beteiligt war und im Nachkriegsdeutschland davon unbeschadet und unbeirrt als Führungskraft im Rheinland seine Karriere fortsetzen konnte.

Der Historikerin ist deshalb ein so einzigartiger Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Nazivergangenheit gelungen, weil ihr bei diesem Forschungsobjekt nicht nur die wissenschaftlichen Mittel des universitären Elfenbeinturms zur Verfügung standen, sondern auch Erkenntnisse, die aus der persönlichen Beziehung zur Familie Klausa herrühren. Klausas Ehefrau war zeitlebens eine enge Freundin von Fulbrooks Mutter.

Die Geschichte des Udo Klausa ist hochaktuell, weil man an ihr nachvollziehen kann, wie ein humanistisch gebildeter Akademiker in seiner Karriere nach und nach zivilisatorischen Boden verlässt und als Zuarbeiter der rassistischen Barbarei endet. Am Prototyp Klausa hat Mary Fulbrook auch gezeigt, wie die Anfänge aussehen, deren wir uns heute wieder – oder immer noch – erwehren müssen.

In dem Zusammenhang wird Frau Fulbrook auch über ihr neuestes Buch sprechen. Es befasst sich mit den langfristigen Folgen der Beteiligung an Naziverbrechen. Die Nachkriegsjustiz hat die Schuldigen nur sehr unzureichend vor Gericht zur Verantwortung gezogen und private Erzählungen haben die Vergangenheit umgedeutet. Viele Familien – nicht nur die Kinder der Überlebenden, auch die der Täter – müssen die emotionellen Folgen tragen.

(Das Buch erscheint 2018 bei OUP unter dem Titel „Reckonings: Legacies of Nazi Persecution“)

 

Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3, Köln – 6. Dezember 20 Uhr

Unveröffentlichter Leserbrief zu „AfD- Nachlese“

 

Was war das für ein merkwürdiger Hype um den ausgefallenen AfD-Parteitag in Wiehl. Alle Oberberger schienen auf einmal „bunt und nicht braun“ zu sein, Grüne und CDU, Kirchen und Kultur, Erwachsene und Schüler. Die Riesenwelle machte den Eindruck einer kollektiven Teufelsaustreibung: Ein Reinigungsritual, aus dem die Oberberger als mitfühlende Humanisten und Christen hervorgegangen sind und die Demokratie vor den Feinden beschützten.

Das ist aber zu viel der Ehre für den zusammengewürfelten Haufen von AfDlern und ihren Landesparteitag. Dass allein diese zerstrittene – aber nicht verbotene – Partei in der Lage wäre, die Grundfesten des Staates zu gefährden, ist einfach lächerlich.

Die AfD hat außerdem kein Monopol auf Rassismus, Nationalismus,Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, vielmehr sind diese brandgefährlichen rechtsradikalen Geisteshaltungen in der Gesellschaft weit verbreitet, in den andern Parteien, in Kirchen,in Gewerkschaften, im Sport.

Wie weit, das haben wir gerade an unseren österreichischen Schwestern und Brüdern gesehen ,wo die Mehrheit stramm rechts bis rechtsradikal gewählt hat

Wenn es darum geht, unseren ungerechtfertigten Wohlstand gegen die aus dem Süden geflüchteten Opfer zu verteidigen, dann legen Deutschland und die EU längst eine Brutalität bei der Flüchtlingsabschreckung an den Tag, wie sie AfD und Mr.Trump lauthals fordern. Den meisten ist das aber peinlich, deshalb reden wir lieber von unseren „Werten“ und heucheln Mitgefühl, während unser tatsächliches Handeln gegenüber den Fluchtursachen von kalter Gleichgültigkeit geprägt ist. Ob der oberbergische „Aufstand der Anständigen“ daher rührt, dass die AfD so schamlos offen ausspricht, was viele von uns klammheimlich denken?

Es rächt sich jetzt, daß die Nazivergangenheit nie wirklich aufgearbeitet wurde. Besonders in der ehemals braunen Hochburg im Südkreis wurde über den mörderische Nazismus und seine hiesigen Protagonisten geschwiegen, es wurde und wird vertuscht, beschönigt und verharmlost. So konnte der Schoß fruchtbar bleiben, aus dem das jetzt wieder kriecht.

Der 9. November und die Rituale des Progromgedenktags stehen vor der Tür. Zu diesem Anlass hat sich aber immer noch kein einziger Kirchenvertreter ehrlich gemacht und z.B. bekannt, daß die Nazis mit dem Progrom Luthers Geburtstag (10.9.) gefeiert haben. Indem sie seine furchtbare antisemitische Hetze in die Tat umsetzten, die Synagogen niederbrannten und eine Gewaltorgie sondergleichen gegen die Juden entfesselten. Der damalige Reichsbischof erklärte danach, Hitler habe vollendet, was Luther begonnen habe. Es gab also eine kräftige kirchliche Wurzel des Nationalsozialismus. Wer diese weiter unter dem Teppich halten will, aber gegen AfD und Konsorten demonstriert, spielt mit gezinkten Karten.

 

Leserbrief zum AfD-Parteitag

Wenn am kommenden Wochenende die AfD in Wiehl ihren Parteitag abhält, scheinen die Fronten klar zu sein: Drinnen in der Halle tagen die Rechtsradikalen, draußen auf der Straße demonstrieren die vereinigten Demokraten gegen den braunen Ungeist.

Wenn es doch so einfach wäre!

Es sind nämlich längst nicht alle Mitglieder und Wähler der AfD Nazis, aber sie alle geben – wissentlich oder unwissentlich – den Rassisten und dem Nazigeist in ihren Reihen Rückhalt und machen die menschenverachtende Ideologie wieder hoffähig.

Andererseits sind die andauernd beschworenen 87% Nicht-AfD-Wähler keineswegs alle lupenreine Demokraten und Humanisten.

Das zeigt sich am Umgang mit den sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“, zu denen mittlerweile die allermeisten gezählt werden. Ganz im Sinn der AfD gelten sie parteiübergreifend nicht als verfolgt, es wird ihnen das „Recht auf ein besseres Leben in Deutschland“ bestritten und die generelle Abschiebung verlangt.

Dabei sind die Hungerflüchtlinge überwiegend Opfer der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die dort gnadenlos ausbeutet, plündert und Lebensgrundlagen ruiniert, während sie hier Reichtum anhäuft und unseren Wohlstand schafft. Es sei eine „Wirtschaft, die tötet“, so Papst Franziskus. Die kenianischen Hirten z.B., deren Weidegründe in Folge des von uns verursachten Klimawandels verdorrt sind und die deshalb vor dem Hungertod stehen: Die sollten also keine politisch Verfolgten sein!?

Im Gegensatz zu den Sonntagsreden und Wortklaubereien um „Obergrenzen“ werden die radikalen Forderungen aus der rechten Ecke in der Praxis inzwischen parteiübergreifend durchgesetzt: Die Wohlstandsfestung Europa schottet sich rigoros ab, finanziert libysche Verbrecherbanden, um Flüchtlinge zu jagen und in KZ-artigen Horrorlagern zu internieren, macht mit übelsten Diktatoren wie denen von Niger, Tschad und Sudan Geschäfte, damit sie die Grenzen sperren und die Flüchtenden künftig fernab in der Wüste verdursten statt vor unseren Augen im Mittelmeer zu ertrinken.

Statt dagegen anzugehen, nimmt die Mehrheit von uns sich das „Recht“, den SUV -Lebensstil weiter auf die Spitze zu treiben, mag das auch für die Hirten und Millionen andere Elend und Tod bedeuten. Erinnert solche Menschenverachtung nicht an das so sehr verdrängte nationalsozialistische Prinzip von Herrenmenschen und Untermenschen?

Wer achselzuckend für sein Wohlleben diesen Preis zu zahlen bereit ist, ist in meinen Augen ideelles AfD-Mitglied, ginge er am Samstag mit demonstrieren, wäre das die blanke Heuchelei.

Vielleicht liege ich aber völlig falsch und auch die AfD-Rassisten sind in Wahrheit „gutwillige“ und „ehrenwerte“ Mitmenschen, was die Christlich-Jüdische Gesellschaft ja sogar den damaligen Nazi- Mitläufern und Mittätern zugebilligt hat. Dann wäre doch alles wieder in bester Ordnung, oder?

Unser wunderbarer blauer Planet ist gefährdet – was können wir tun?

Am Freitag, dem 15.9. spreche ich auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Derschlag zu dem Thema „Unser wunderbarer blauer Planet ist gefährdet – was können wir tun?“

Freitag, 15.9.2017, 18:00 Uhr – Gemeindezentrum der ev. Kirche in Derschlag, Kirchweg 35, 51645 Gummersbach

Um Anmeldung wird gebeten! Für die ursprünglich falsche Terminangabe bitte ich um Entschuldigung.

Bergischer Landschaftstag

Leserbrief zu den Artikeln über den „Bergischen Landschaftstag“

Jedes Jahr dasselbe Ritual, das sich Landschaftstag nennt: Eine Art Naturschutzkirmes am Schloss Homburg, stark beworben von der Lokalpresse: „Natur, Kultur und Landschaft“, Artenvielfalt und Ackerflächen“, „Entdecken, was die Heimat ausmacht“ und „Mit der Natur im Einklang“, so lauten die Schlagzeilen.

Alle diese Berichte zeichnen im Sinne der Veranstalter Kreis und Biologische Station ein schönes, fast märchenhaftes Bild oberbergischer Natur, das man jedoch in der Realität meist vergeblich sucht.

Da wird immer mehr Landschaft zugebaut und versiegelt und ansonsten dominieren Monokulturen:

Im Wald werden weiterhin neue Nadelholzplantagen angelegt, obwohl sie den Boden versauern und zusätzlich schädigen, da hilft auch kein Kalk. Sie treiben das Artensterben genauso voran wie die Monokulturen der Landwirtschaft, welche fast die gesamte offene Landschaft ausmachen: Zum einen intensiv bewirtschaftete Grünlandflächen, die viermal im Jahr gemäht und viermal mit Gülle gedüngt werden, und deshalb, was die Artenvielfalt betrifft, nicht viel mehr zu bieten haben als grüner Teppichboden. Zum andern hochgedüngte Maisfelder, in denen alle anderen Pflanzen mit Herbiziden vernichtet werden. Bewirtschaftet werden die Flächen in Feld und Wald mit immer größeren und schwereren Maschinen, die den Boden verdichten. Von der ursprünglichen Schönheit und Vielfalt der bäuerlichen oberbergischen Landschaft ist kaum etwas übriggeblieben.

Aber nicht die Bauern sollen hier an den Pranger gestellt werden: Sie müssen halt so wirtschaften, wenn Politik und Verbraucher möglichst billige Lebensmittel haben wollen.

Die Behauptung jedoch, diese Art von Monokultur-Wirtschaft lasse sich mit der Artenvielfalt „vereinen“ oder sie gar als „Einklang mit der Natur“ – also als eine Art Naturschutz – zu verkaufen, die grenzt an Volksverdummung.

Verschärft wird die Naturmisere zunehmend durch die Folgeschäden der Klimaerwärmung wie Trockenphasen, Starkregen und Stürme. Während Bodenlebewesen, Vögel und heimischen Insekten aussterben, treten eingewanderte auf, die neuartige Krankheiten (wie wohl das „Sommerekzem“ bei Schafen) mitbringen.

Der Landschaftstag blendet das alles einfach aus nach der Devise „Allen wohl und niemand weh“: Schäfchen streicheln, Alpakas bewundern, regionale Bioprodukte kaufen, Familienquiz, Schlossbesichtigung, geführte Fahrradtouren usw. usw.

Statt Alarm zu schlagen, sehen die „Naturschutz“bürokratien beim Kreis und in der Biostation ihre Aufgabe offenbar vorrangig darin, von den massiven Bedrohungen der Natur abzulenken, indem sie die minimalen geschützten Flächen als Feigenblätter nutzen, um hinter diesen die beunruhigende Realität zu verbergen. Daher fällt ihnen auch anscheinend nichts Besseres ein, als sich für ein Pressefoto wie ein Werbeteam einer Forstausrüstungsfirma zu präsentieren: Der Landrat hält linkisch eine Motorsäge in die Kamera, während die Mitarbeiter der Biostation lächelnd sog Motorsägen- Skulpturen vorzeigen.

Arme oberbergische Natur!

Geistig-moralische Wende beim Klimaschutz?

Der vollständige Leserbrief zu den Artikeln “Politik gibt grünes Licht für die Schulungsstrecke“:

Der verstorbene Bundeskanzler Kohl hatte einst eine geistig-moralische Wende gefordert, die er allerdings auch selber nicht geschafft hat. Angesichts der zunehmend dramatischer werdenden Folgen des Klimawandels wäre sie heute aber bitter nötig.

Die Fakten: Fast alle Staaten der Welt haben anerkannt, daß die Klimaerwärmung zu einer der größten oder der größten Bedrohung des Lebens auf dem Planeten zu werden droht; daß die Industrieländer die Hauptverursacher sind und dass eine wesentliche Ursache die Verbrennung fossiler Energieträger ist, vor allem auch bei der Mobilität. Feierlich haben sich die Regierungen – Deutschland vorneweg – verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und die bereits existierenden Klimaopfer finanziell zu unterstützen.

Aber tatsächlich ist der deutsche CO2-Ausstoß gestiegen, trotz tausender Windräder und Solaranlagen! Der Grund ist der maßlos verschwenderische Lebensstil, der alle technischen Fortschritte wieder zunichte macht und ein immer größeres Zerstörungspotential in die Welt bringt, Fluchtursachen schafft und Terrorismus fördert. Das will aber kaum einer hören.

Das „goldene Kalb“ dieser (Un)Kultur sind die in geradezu religiöser Inbrunst verehrten Automobile der sog „Premiumklasse“, an deren Spitze tonnenschwere, spritsaufende Geländewagen stehen, sogenannte SUVs. Diese Allradpanzer haben hierzulande keinerlei praktischen Sinn, denn im „Gelände“ dürfen sie gar nicht fahren, weil dort nur land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge zugelassen sind. Das ist natürlich blöd für den infantilen Großverdiener, der folglich die brutalen Kräfte seines obszönen Spielzeugs gar nicht ausprobieren kann.

Da hilft die lukrative Geschäftsidee des cleveren Herr Deselaers vom Stift Ehreshoven: Er richtet im Stiftungswald eine Rallye-Strecke ein, auf der die PS-Freunde endlich mal richtig die Sau raus lassen können. Weil diese sinnentleerte Naturzerstörung bei vielen nicht gut ankommt, flunkert er vor, daß Zoll, Grenzschutz, Feuerwehr oder gar die GSG 9 die Piste zur “Schulung“ bräuchten. Dieser offenkundige Unsinn reicht allerdings bei Kreis und Gemeinderat als Begründung aus, um die Piste abzusegnen.

Das Signal ist gesellschaftspolitisch verheerend: Im Augenblick hungern in Ostafrika 60 Millionen Menschen, 20 Millionen droht in Kürze der Hungertod. Grund sind die Ernteausfälle durch eine seit Jahren schlimmer werdende Dürre. Es besteht kein Zweifel, dass diese eine Folge des Klimawandels ist, für den wir im Westen hauptverantwortlich sind. Die Spaßpiste verschärft daher unbestreitbar auch das Elend dieser Klimaopfer und zeigt dieselbe schamlose Rücksichtslosigkeit, die ein gewisser Donald Trump zum Entsetzen fast der ganzen Welt mit „America first“ an den Tag legt: Zuerst kommen wir und unsere Konsumbedürfnisse, die Folgen für andere spielen keine Rolle.

Dräger, CDU, ist für die Piste, weil sie Menschen nach Engelskirchen „lockt“, „die Geld hier lassen“ (so läßt sich auch ein Bordell oder eine illegale Spielhölle begründen). Schuchard, SPD, ist dafür, weil der Klimaschaden im Vergleich zu Kreuzfahrten gering sei. (so könnte man auch Körperverletzung rechtfertigen, weil Mord ja noch schlimmer ist)

Auf diesem argumentativen Primitiv-Niveau wird Klimaschutz beerdigt, koste es andere, was es wolle. Statt der nötigen „Wende“ ein geistig-moralischer Offenbarungseid. Gute Fahrt!

Dreimal Versagen beim Klimaschutz

Maul halten, Klimaschützer!

Wer ernsthaft besorgt ist wegen des Ausbleibens von wirksamem Klimaschutz und diesen immer wieder anmahnt, der wird sich in Zukunft wohl auf heftige Anfeindungen und Maulkörbe einstellen müssen.

Dies kann man dem Bericht über die Engelskirchener Ratssitzung entnehmen, in welcher CDU/SPD die SUV-Rallyepiste im Wald abgesegnet haben. Die Aufforderung des Grünen Helmut Schäfer, auf die Gegenargumente endlich mal inhaltlich einzugehen, beantwortete der CDU-Chef Dräger mit der denkwürdigen Antwort: „Wir sagen uns: Wir haben hier die Mehrheit, also lassen wir ihn mal reden.“

Da muss er bei der parlamentarischen Demokratie etwas falsch verstanden haben: Nach Dräger darf eine Mehrheit offenbar alles durchsetzen was sie will, ohne Begründung, ohne auf Gegenargumente einzugehen, ohne Diskussion. Deshalb erscheint es ihm anscheinend schon als Zumutung, den unliebsamen Grünen überhaupt „reden zu lassen“. Dass dies aber dessen verfassungsmäßiges Recht ist, scheint für den Christdemokraten ein lästiges Ärgernis zu sein.

Klimaschutz ist für die CDU irrelevant, weil die Rallyefans Geld hier lassen. „Davon profitiert das Zimmermädchen im Hotel, die Bäckereifachverkäuferin und die Werkstatt in Loope.“

Das erinnert mich an Mr. Trump, dem auch die Jobs der Arbeiterklasse so sehr am Herzen liegen, dass er die Umweltauflagen für Kohle und Stahl beiseite räumen will, zumal ja der Klimawandel sowieso eine Erfindung der Chinesen sei.

Dazu paßt auch die Aggressivität, mit der Dräger unter die Gürtellinie losschlägt. Er kenne Grüne aus dem Ortsverband, „deren alte Diesel mehr CO2ausstoßen als moderne SUVs“. Selbst, wenn das stimmen würde: Was hat das mit der Piste im Wald zu tun? Auch Frau Schuchardt, SPD, kann das Klima/ Umweltschutz-Gelaber wohl nicht mehr hören: „Wir haben das Thema hier immer wieder bis zum Erbrechen diskutiert. Die Diskussionsdauer steht in keinem Verhältnis zu der geringen Menge an CO2 Ausstoß, um die es hier geht“.

Daß dieser „einfach lächerlich“ ist, hat sie herausgekriegt, indem sie die Emissionen der Waldrallyes mit denen von 1,2 Millionen deutscher Kreuzfahrten ins Verhältnis gesetzt hat. Daran gemessen ist natürlich sogar der CO2-Ausstoß eines Braunkohlekraftwerks „lächerlich gering“, weshalb die NRW-SPD diese ja auch weiter betreiben will.

Frau Schuchardt zeigt sich hier als Paradebeispiel dafür, wie der konsumistische Spießbürger sich aus der persönlichen Verantwortung pfuscht: Da der jeweilige Anteil an der weltweiten Vergiftung der Atmossphäre so winzig ist, spielt er für ihn keine Rolle. Weil aber viele Millionen andere konsumgeile Mitbürger genauso verfahren, bringen sie zwar gemeinsam das Klima zum Kippen, aber ohne das geringste schlechte Gewissen.

Schlossbeleuchter

Im oberbergischen Naturschutzbeirat hat der Förderverein von Schloss Homburg seinen neuen, abgespeckten Beleuchtungsplan vorgestellt. Der Zeitungsbericht ist ein Lehrbeispiel dafür, wie durch Wortwahl die Realität gestaltet und verändert werden kann.

Das geplante aufwendige und teure Anstrahlen des Schlosses mitten im naturgeschützten Wald war auch wegen der klimaschädlichen Energieverschwendung auf Kritik gestoßen. Nun wird eine abgespeckte Version vorgestellt, die in so schwärmerisch-poetischer Weise präsentiert wird, dass keinerlei negative Gefühle mehr Platz greifen können.

Schlagzeile: „Schloss Homburg soll behutsam beleuchtet werden“. Darunter: „Mit insektenfreundlichem LED-Licht soll die Anlage nur wenige Male pro Monat dezent illuminiert werden“. Der Kreisdirektor will die Baudenkmäler „in sehr behutsamer Weise“ in Wert setzen.“

Ja, wer kann denn gegen solch liebevollen, zärtlichen Umgang mit Licht, Schloss und Insekten da noch was Böses erkennen? Dass es klimaschädlicher Lichtsmog mitten im Naturschutz-Wald und teure Energieverschwendung ist und dass Insekten in der Nacht Dunkelheit brauchen und es somit überhaupt keine „insektenfreundliche“ Beleuchtung gibt, diese ungute Realität verschwindet hinter der märchenhaften Wörterkulisse.

Auf solch hintergründige Art lässt sich augenscheinlich auch Politik machen.

Bergneustädter Lichter

Im Februar habe ich eine Einwohneranregung an den Bergneustädter Rat gerichtet, in welcher ich ihn aufgefordert habe, sinn- und nutzlose Straßenlampen auszuschalten, von denen es im Stadtgebiet zahlreiche gibt.

Jetzt erhielt ich folgende Antwort:

„Nunmehr muss ich Ihnen mitteilen, dass der Planungs-, Bau- und Umweltausschuss in seiner Sitzung am 26.06.2017 Ihre Einwohneranregung betr. Überprüfung der Straßenbeleuchtung einstimmig abgelehnt hat.“

Man hielt es nicht für nötig, mich zu der Sitzung einzuladen, wie es sonst bei Kommunen üblich ist. Verächtlicher kann man kaum mit Einwohneranregungen umgehen, deutlicher kaum zeigen, daß einem „einstimmig“ der Klimaschutz vollkommen am Arsch vorbei geht, indem man sogar die „Überprüfung“ ablehnt.

Was tun?

Die Situation ist zum Verzweifeln. Immer erschreckendere Fernsehbilder von schmelzendem Eis an den Polen, von Dürren, Regenfluten, großflächigen Bränden und leidenden Menschen. Wissenschaftler, Umweltorganisationen, einige Journalisten, einzelne Klimaschützer warnen immer lauter, reden sich die Münder fusselig und schreiben sich die Finger wund : Alles prallt an den stumpfsinnigen Verteidigern des herrschenden Lebensstils ab, die sich gegen die Realität mit einer Mauer der Verdrängung abschotten.

Wie soll denn die Zwei-Grad-Grenze – die uns von der globalen Katastrophe trennt – eingehalten werden, wenn wir nicht einmal bereit sind, auf solche unsinnigen Verbräuche zu verzichten?

Keiner kann bestreiten, daß die überflüssigen Bergneustädter Straßenlampen, die Scheinwerfer am drittklassigen Baudenkmal oder die SUV-Rallyes ihren Teil zum Klimawandel beitragen. Keiner kann behaupten, daß wir auch nur eines der drei Beispiele für ein gutes Leben brauchen. Schon gar nicht das Umpflügen des Waldes mit irrwitzig übermotorisierten Geländemonstern, die längst verboten gehören, statt sie zu fördern. Ist es denn nicht ein Zeichen geistig moralischen Verfalls,wenn wir sogar an diesen Auswüchsen von Verschwendung unbeirrbar festhalten?

Die internationalen Klimaabkommen, ob mit oder ohne USA, die Absichtserklärungen in Politik, Wirtschaft, Kirchen, Gewerkschaften usw., bringen nicht die Rettung. Sie haben keinerlei Auswirkungen auf die Klimaerwärmung, solange der Klimaschutz nicht in unserer Lebenswirklichkeit umgesetzt wird und unser alltäglicher Wahnsinn weiter als akzeptable Normalität begriffen wird. Wenn es so bleibt, wie es ist, wenn wir so bleiben, wie wir sind, wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird die Katastrophe mit Sicherheit für die heutigen Kinder unausweichlich.

Dabei lieben wir sie doch so sehr! Oder etwa doch nicht?

Vielleicht ist uns aber auch mit der Ruhe, der Schönheit, der Zufriedenheit und dem Mitgefühl im grellen Kunstlicht und beim Dröhnen der Motoren die Liebe ganz abhanden gekommen, versunken im grauen Meer einer unendlichen trostlosen Gleichgültigkeit.

Netzwerk gegen Rechts?

Dem Aufruf von „Oberberg ist bunt, nicht braun“ zur Teilnahme an der Veranstaltung des „Netzwerks gegen Rechts“ bin ich gefolgt und erwartete die angekündigte „spannende Diskussion“ zu den „Grundwerten einer „zivilisierten Gesellschaft“.

Es gab aber keine Diskussion und schon gar keine spannende. Stattdessen klopften sich Vertreter der (54 !) Mitgliedsorganisationen und der 13 Kommunen verbal auf die Schultern und beklatschten sich gegenseitig, als wäre allein das bloße formale Bestehen des Netzwerks bereits ein Erfolg im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Die Podiumsteilnehmer wurden vom moderierenden Theologen und aus dem Publikum reihum abgefragt und so erfuhren wir, daß die Streetworkerin mit den Problemfällen im Gespräch bleibt, das Gymnasium die Schüler zu respektvollen Bürgern erzieht, der Blogger gegen Haßmails anschreibt, in Bergneustadt trotz 4000 Türken „die Straße nicht brennt“ und der Kampfsportler „im Sport noch nie Rassismus erlebt hat“.

Also offenbar eine ziemlich heile oberbergisch/deutsche Politwelt, in der Grundwerte gelten und die daher von ein paar Rechtsextremen oder der AfD nicht erschüttert werden kann.

Diese Darbietung erschien mir so oberflächlich und so selbstgefällig, dass ich mich zu einem kritischen Einwand habe hinreißen lassen: Denn im Augenblick werden ja in unserem Namen und mit unserem Geld von der Frontex im „failed state“ Lybien kriminelle Banden mit Uniformen, Waffen und Schnellbooten ausgestattet, damit sie als „Küstenwache“ afrikanische Armutsflüchtlinge jagen und abfangen, um sie in – laut Amnesty – „KZ-artigen Lagern“ zu internieren, in denen brutale Gewalt, Vergewaltigung und Sklavenarbeit an der Tagesordnung sind. Das dient offensichtlich der Abschreckung und der Abschottung unserer Wohlstandsfestung Europa.

Zweifellos wird hier der absolut oberste unserer Grundwerte mit Füßen getreten: Die unantastbare Würde des Menschen. Aber diese Menschenrechtsverletzungen nehmen wir achselzuckend hin und auch das Netzwerk gegen Rechts wollte sich wohl die Feierstimmung nicht vermiesen lassen und blieb stumm gegenüber der Frage, ob diese Gleichgültigkeit vielleicht Ausdruck eines unausgesprochenen, weit verbreiteten rassistischen Menschenbilds (Herrenmensch/Untermensch) sei.

Im Gegensatz zu diesem bleiernen (Ver)schweigen stauchte mich der Vize-Landrat aber lauthals zusammen, weil ich es gewagt hatte, einen bedenklichen Satz aus seiner Ansprache zu kritisieren: „Wir haben in der Vergangenheit bittere Erfahrungen mit dem Extremismus machen müssen“. Das klingt, als wären auch wir Deutsche Opfer des Nazismus geworden, während doch in Wahrheit andere Völker, Juden, Roma, Schwule „bittere Erfahrungen“ mit unserem Extremismus machen mußten.

Solche autoritäre Unterdrückung von Kritik, solche Unfähigkeit zu demokratischem Diskurs und das Ersticken einer lebendigen Diskussion habe ich bisher für ein Markenzeichen von rechten (oder stalinistischen) Organisationen gehalten. Aber man lernt ja nie aus.