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Leserbrief zum Artikel „Braune Wiesen, trockene Brunnen“ vom 24.7.18

Jetzt haben wir also auch im Oberbergischen eine extreme Dürre, also eine der extremen Wetterlagen, die durch den Klimawandel hervorgerufen und in Zukunft immer stärker werden. Dass dies eintreten wird, sagen uns die Wissenschaftler seit mindestens 20 Jahren voraus. Aber ihre Mahnung, den Ausstoß von Klimagasen deutlich zu reduzieren, indem die Verschwendungswirtschaft und der masslose Konsum herunter gefahren werden, verhallte ungehört. Sowohl bei Wirtschaftsführern und Politikern als auch beim einzelnen Verbraucher.

Seit Jahren nehmen neben Stürmen und Starkregen auch die Dürren weltweit zu, in der Sahelzone z.B. hungern die Rinderbauern, deren Tiere verdurstet sind, obwohl sie zur Klimaerwärmung nichts beigetragen haben. Doch Gnade ihnen Gott, wenn sie versuchen sollten, als „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Asyltouristen“ zu uns zu kommen.

Solange aber nur die Menschen in den armen Ländern den Preis bezahlen, juckt es hier keinen. Im Gegenteil: Bis vor kurzem freute man sich an dem „Gute Laune Sommer“, die Schlagzeile auf der Frontseite der OVZ vor 2 Wochen: „Wohlfühlsommer“!

Jetzt aber trifft es unsere Bauern wie ein Schock: „die psychische Belastung hält uns auch nachts manchmal wach“. Ja, haben sie denn geglaubt, die vorausgesagten Klimawandelfolgen machten einen Bogen um Deutschland und das Oberbergische? Man könne mit gewaltigem Hightech-gespicktem Maschinenpark, Melkkarussel und Soja aus anderen Kontinenten die Naturgesetze überwinden?

Auf der braunen Wiese bringt der 250 PS Trecker mit Mähwerken breit wie ein Segelflieger plötzlich nicht mehr als ein Mann mit einer Sense.

Die Bauern sind Opfer und Täter, die Landwirtschaft ist verantwortlich für ein Viertel der Klimagase und müsste ebenfalls dringend umstellen; auch die Biobauern nutzen dieselbe Großtechnik, auch für sie gibt es keine Begrenzung beim Energieverbrauch, keine Verpflichtung für regionale Kreisläufe.

Jetzt fehlt das Winterfutter, aber man wird das wohl den Polen wegkaufen. Das Jammern wegen der finanziellen Verluste hat jedenfalls angesichts der Armut auch hierzulande ein Geschmäckle, wenn man über Land, Gebäude und einen Maschinen- park im Wert von Millionen verfügt und die nicht unbeträchtlichen Prämienzahlungen der EU bezieht.

Hätten wir rechtzeitig reagiert, es wäre nicht so weit gekommen. „Wir können es ja nicht ändern“, so das fatalistische Resümee des Biobauern. Aber wir können es immer weiter immer noch schlimmer machen. Also Leute, postet ein Foto aus der Karibik, von der Kreuzfahrt oder vom neuen SUV, wie ihr ihn durch den Ehreshovener Wald prügelt, lasst „die Zylinder krachen“ beim Waldbröler Motorrad-Gottesdienst und alle zusammen freuen wir uns nach diesem Supersommer auf das nächste Bergneustädter Wintermärchen.

Europa: Bald vereinigt im Faschismus?

Über den blinden Fleck bei den links-alternativen Protesten gegen die AfD

Überall, wo die AfD auftritt, gibt es z.T. heftige Demonstrationen gegen gegen deren rechte, fremdenfeindliche und teils rassistische Politik, so auch vor kurzem in Gummersbach. Hier wird der Protest von einer Vereinigung organisiert, die sich „Oberberg ist bunt, nicht braun“ nennt.

Meine nachfolgende Kritik bezieht sich auf deren Demonstration, gilt aber sicherlich auch für die allermeisten anderen.

Nachdem ich die Berichte dazu und die Redebeiträge gelesen habe, hat sich ein sehr ungutes Gefühl bei mir eingestellt. Es verfestigt sich mein Eindruck, dass wir nämlich den Rechtsradikalismus der AfD lauthals anprangern, aber von eigenen Anteilen an rechten Geisteshaltungen und Verhaltensweisen oder denen der eigenen Partei schweigen; alles Rechte und Rechtsradikale der AfD aufladen um dann drauf zu dreschen und sie somit auch zum Sündenbock zu machen. Dabei tritt dann ein simples, manichäisches Weltbild zu Tage, welches mit der Realität in diesem Land fast nichts zu tun hat: WIR hier, DIE dort. Hier die Guten, da die Bösen. Aus der Rundmail von „Oberberg ist bunt, nicht braun“:

„Wir: 200 – die: 80. Wir: gute Stimmung, Musik, kreative Ideen – die: steife Reden, Selbstbeweihräucherung“.

Auf dieser flachen Ebene von Multikulti-Klischees bewegen sich alle Redebeiträge, bis auf den von Jürgen, der tiefer schürft. Doch die Zeit ist über diese Art links-alternativer, ebenfalls selbstbeweihräuchernder Rituale (z.T auch steifer Reden) hinweg gegangen. Längst sind globale Verteilungskämpfe um die schwindenden Ressourcen und Lebensgrundlagen entbrannt, wobei die egomanische, gewalttätige Verteidigung der westlichen Privilegien und des Wohlstands kein Alleinstellungsmerkmal der AfD ist, sondern parteiübergreifend stattfindet.

Als eine Person, die der „bunten“ oberbergischen Szene zugerechnet wird, schäme ich mich deshalb für diesen selbstgefälligen Auftritt fremd. Zu den Gründen einige Anmerkungen:

Die nationalistische, teils völkisch-rassistische AfD ist angetreten, um die deutsche Wohlstandszone (an der nicht alle gleichermaßen teilhaben) radikal zu verteidigen. Sie will zu diesem Zweck die deutschen Grenzen dicht machen und mit (militärischer) Gewalt gegen alle Eindringlinge vorgehen. Zum Teil liegt dem das NS-Menschenbild vom Herrenmenschen und Untermenschen zugrunde.

Nach innen verfolgt die AfD ein Staatsmodell, das unter Aufrechterhaltung einer demokratischen Fassade autoritäre bis faschistische Strukturen herausbildet, Erdogan läßt grüßen.

Deshalb wird zu Recht gegen die AfD demonstriert.

Die Politik der Bundesregierung und die der EU ist es, die EU-Außengrenzen radikal abzuschotten, um die europäische Wohlstandszone zu schützen (an der allerdings auch nicht alle Europäern gleichermaßen teilhaben). Dabei bedient man sich des türkischen Diktators sowie nordafrikanischer Despoten und Warlordbanden, die für Geld mit Mord, Folter, Vergewaltigung und Versklavung gegen die Flüchtenden vorgehen und andere dadurch abschrecken. Zu diesem Zweck lassen die EU und die Bundesregierung auch seit Jahren zu, dass tausende Geflüchtete auf Lesbos wie Tiere im Freien dahinvegetieren.

Macron und Merkel haben organisiert, dass quer durch Nordafrika eine Grenzsperre errichtet wird, vor der die vor Krieg und Hunger Flüchtenden in den Wüsten verdursten, fernab unserer Blicke und Kameras. Gerade wurde im TV berichtet, dass Algerien seit Jahren unzählige Geflüchtete mit Bussen bis weit hinaus in die Wüste karren läßt und sie dort aussetzt, Zehntausende sollen schon gestorben sein.

Wer dennoch diese Sperre überwindet, soll in Lagern wie denen in Libyen interniert werden und dort – welch widerlicher Zynismus – „Asyl“ in der EU beantragen dürfen.

Diese Abschottungspolitik ist sehr erfolgreich, denn die Flüchtlingszahlen gehen anhaltend stark zurück, obwohl ja die Fluchtursachen Armut, Elend, Ausbeutung, (kriegerische) Gewalt zunehmen.

Nach innen wird der Polizeistaat ausgebaut, in Bayern ist eine Vorbeugehaft eingeführt, die an die „Schutzhaft“ der Nazis erinnert. Sogar psychisch Kranke will man in Bayern wie im NS polizeilich „erfassen“.

Hiergegen rühren sich aber keine Proteste auf der Straße, obwohl doch das AfD-Programm in die Tat umgesetzt wird: Demos gegen die, welche das „Böse“ bislang nur fordern können, aber Schweigen gegenüber denen, die dieses „Böse“ tun, ist da denn nicht etwas total aus den Fugen geraten ?

Kann man denn in dieser Lage „böse“ (AfD) und „gut“ (alle andern im Parteienspektrum) wirklich so sauber unterscheiden?

Die abgehalfterte SPD-Abgeordnete Engelmeier kann das anscheinend und geißelt die böse AfD. Aber wenn ich mich nicht irre, ist ihre Partei seit Jahren an der Regierung und somit auch verantwortlich für die oben beschriebenen schweren Menschenrechtsverletzungen und Brutalitäten.

Auch zwei Grüne blasen vor Empörung über die rechten Rassisten die Backen auf, obwohl ihre Oberen bereit waren und sind, fast alle humanitären und ökologischen Grundsätze zu opfern, um endlich ebenfalls an Merkels Kabinettstisch Platz nehmen zu dürfen. Obwohl ein Innenminister Boris Palmer an Fremdenfeindlichkeit und Abschiebungseifer sich von einem Seehofer nicht übertreffen ließe, obwohl ihr Idol Kretschmann ein Elendsland nach dem anderen als „sicheren Drittstaat“ ( z.B. auch Algerien) anerkennt, um schnelle Abschiebungen zu ermöglichen.

Wer die unmenschliche Flüchtlingspolitik der AfD anprangert, aber zu den unmenschlichen Vorgehensweisen der eigenen Partei schweigt, muss man den denn nicht Heuchler nennen? Ist dann der ausschließliche Protest gegen die AfD nicht billig, „Gratismut“ (Enzensberger)?

Die Selbstgerechtigkeit solcher Anti-AfD Kämpfer wird aber besonders unangenehm, wenn es um die Fluchtursachen geht. Fluchtursachen bekämpfen, das fordern ja alle einschließlich der AfD unentwegt und leiern dieses Mantra ab wie das Vaterunser im Gottesdienst.

Wir wissen genau, was die Fluchtursachen sind und dass sie alle in der millionenfachen Folter namens Hunger enden. Wir alle verurteilen das immer wieder aufs Allerschärfste, bleiben dabei aber stets hübsch im Allgemeinen.

Wohlweislich, denn die Fluchtursachen haben identifizierbare Verursacher. Schaut man etwas zu genau hin, dann müssen wir im Hintergrund des Bildes – oh Schreck! – uns selbst erkennen, nämlich als Nutznießer des Konsumkapitalismus, der mit seinen globalen Raubzügen, Umweltzerstörungen, mit Ausbeutung und Klimawandel, letztlich hinter all dem Elend hervortritt und der die extreme Ungleichheit hervorruft.

Und eine Welt geschaffen hat, in der Milliarden Menschen für unseren Mindeststundenlohn z.B. als Näherin oder in der Kaukauplantage eine ganze Woche lang schuften müssen, wovon sie nicht satt werden können. Wir hingegen können uns von den Scheiß-9Euro drei T Shirts kaufen und nach zweimaligem Gebrauch wegschmeißen oder 15 Tafeln Schokolade futtern.

Das ist eine grausame Welt, beherrscht von einer Wirtschaft , die tötet und auch aus Mitmenschen Müll und Abfall macht, so die Analyse von Papst Franziskus. Im Blick auf uns sagt er in Wim Wenders sehenswertem Film, dass „wir alle etwas ärmer werden müssen“, um diesen Menschheitsskandal zu beenden. Natürlich muss die Weltherrschaft der Bankster, Spekulanten und Finanzverbrecher gestürzt werden, die Macht der globalen Konzerne gebrochen, aber ohne ein deutliches Runterfahren unserer Verbräuche, ohne Konsumverzicht hier wird für die Armen dort so oder so nicht genug zum Leben übrigbleiben können. Wie wir es auch drehen und wenden: Entweder werden wir deutlich „ärmer“ , oder es gibt keine humane Lösung.

Wer aber die extrem ungleiche Verteilung akzeptiert und die konsumistischen Privilegien als sein Recht ansieht, sich ganz selbstverständlich ihrer bedient und vom Staat erwartet, dass der diese auf jeden Fall absichert: Gehört der im Kern nicht selbst zu den Ausbeutern, Menschenverachtern und vielleicht sogar zu den Rassisten, egal ob er nun AfD oder CDUSPDFDPGRÜNELINKE wählt ?

Der Rechtsradikale, der eine Kreuzfahrt auf den Spuren der Wikinger macht, erzeugt genauso Klimaschäden und damit weitere Fluchtursachen wie der liberale Studienrat mit seiner Bildungsreise nach Fernost , der Linke mit dem Flug nach Kuba oder der Sextourist mit dem nach Thailand.

Dafür und für unsere gesamte Verschwendungs- und Vermüllungskultur lassen wir alle vornehmlich andere bezahlen, als Arbeitssklaven, Klimaflüchtlinge, als Hungerleider, als Kriegsopfer.

Die sogenannte Flüchtlingswelle von 2015 ist durch das blutige Kriegschaos im Nahen Osten verursacht worden, in welchem Syrien zerfetzt wird. Wurde diese Gewaltorgie denn nicht dadurch ausgelöst, dass im Irak ein Krieg um Öl geführt wurde mit dem Ziel, den Ölpreis niedrig zu halten, so dass wir unsere übermotorisierten Spritfresser weiterhin kostengünstig volltanken können ?

Die kapitalistische Wachstumswirtschaft und unser Lebensstil kommen bei Millionen unschuldiger Mitmenschen jeden Tag als strukturelle Gewalt an und als militärische, wenn sie sich nicht in ihr Schicksal fügen.

Weil wir so reich leben wollen, müssen sie so arm sein und bleiben.

Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass diese Verhältnisse längst nicht nur AfD-Leute beibehalten und abgesichert haben wollen, sondern vermutlich die Mehrheit unserer Bevölkerung. Das zeigt sich auch an der beschämenden Tatsache, dass abertausende Wähler auch von der Linken ruckzuck zur AfD überwechseln, sobald sie das Gefühl haben, durch Flüchtlinge würde ihnen was genommen (was ja bei den hiesigen Armen leider stimmt, bei der Mittelklasse aber gar nicht)

Wie hohl klingen dem allen gegenüber in der Gummersbacher Rede der Grünen die sattsam bekannten grün-alternativen Textbausteine , in denen die Würde des Menschen beschworen wird und Geflüchtete in eine Reihe gestellt werden mit Alleinerziehenden, Demenzkranken, Hartz 4- Beziehern, Pflegebedürftigen, Behinderten, Schwulen und Lesben.

Soweit es sich um Deutsche handelt, wird die AfD wie andere Neoliberale wohl kaum gegen kleine Verbesserungen sein, aber darauf verweisen können, dass andere (z.B. die Grünen) für deren prekäres Leben verantwortlich sind; was Homosexuelle angeht, zeigt die AfD eine geradezu vorbildliche Toleranz: Hat sie doch eine bekennende Lesbe zur Vorsitzenden der Bundestagsfraktion gewählt; auch der stramm rechte Unionsminister Spahn fühlt sich in seinem politischen Umfeld als Schwuler offensichtlich wohl. Unsere diesbezüglichen alten Sprüche laufen also voll an der AfD vorbei ins Leere. Einige Rosinen aus der „grün-versifften“ 68er Revolte hat sie sich freudig heraus gepickt.

Welch ein Rohrkrepierer, wenn der grüne Redner der AfD vorwirft, es sei „diesen Leuten vollkommen egal, was aus Menschen wird, die in Not sind“. Sie würden sich oft „auf christliche Traditionen und Werte berufen“, um dann fortzufahren: “Was sind denn das für Werte, wenn man tausende Menschen in Konzentrationslagern – die verschämt Ankerzentren genannt werden – zusammenfasst und ihnen die Würde nimmt oder sie gleich im Mittelmeer ertrinken läßt“.

Offensichtlich ist dem Redner gar nicht klar, dass seine zutreffende Beschreibung mit AfD falsch adressiert ist, weil diese ja (noch) keinerlei Entscheidungsmacht besitzt um z.B. „Konzentrationslager“ einzurichten. „Diese Leute“ sind also in Wahrheit die Spitzenkräfte der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD, wobei auch die von FDP, Grünen und teilweise auch Linken hinter der „Sicherung“ der nach Afrika verschobenen EU-Außengrenzen stehen.

Um die Verwirrung weiter zu steigern: Die oberbergischen Ableger dieser Parteien, „dieser Leute“, haben sich allesamt in einem „Bündnis gegen Rechts“ vereinigt, zusammen mit Kirchen, Gewerkschaften, ca 80 weiteren Organisationen wie auch „Oberberg ist bunt, nicht braun“ . Im Ranking verlogener Veranstaltungen stehen diejenigen dieses Bündnisses ganz weit oben.

Als ich es einmal wagte, dort eine unsäglich verharmlosende Äußerung vom Vizelandrat Prof. Wilke (FDP) zum 2. Weltkrieg zu kritisieren, in der er die Deutschen zu Opfern erklärte, da machte er mich in einer primitiven Schimpfkanonade nieder, als hätte ich eine Majestätsbeleidigung begangen. Keiner trat diesem autoritären „rechten“ Ausfall entgegen, auch die „bunten Oberberger“ duckten sich feige weg, allein die Künstlerin Christine Bretz hatte den Mut, dagegen und gegen das Schweigen der andern zu protestieren.

Zum endgültigen „Erfolg“ fehlt diesem Bündnis nur noch, dass auch die AfD beitritt, um sich von der noch weiter rechts stehenden NPD abzugrenzen: Allen wohl und niemand weh, Karneval beim MCC.

Auch Gerhards Versuch, in den Biografien der AfD-Mandatsträger das „Böse“ heraus zu destillieren, gerät beim Abgeordneten Espendiller zu einer Peinlichkeit: Weil sich offenbar nichts greifbar Rechtsradikales finden läßt (den früheren Vorwurf einer Krimreise muss G. zurück nehmen), behilft sich Gerhard mit psychologisierenden Vermutungen über die Gründe von dessen AfD-Mitgliedschaft, die man genauso auch für tausende Mandatsträger anderer Parteien anstellen könnte. Bringt uns das irgendwie weiter?

Ich meine nach alledem, es wäre Zeit inne zuhalten und die alten links-alternativen Rituale auf ihre Tauglichkeit in der politischen Gegenwart zu überprüfen. Und es scheint ebenfalls notwendig zu sein , angesichts der Zeitenwende und des Grundkonflikts dieses Jahrhunderts die politischen Fronten neu zu sortieren: Vor uns der immer härter werdende Kampf um schwindende Ressourcen und Lebensgrundlagen bei gleichzeitig enorm anwachsender Weltbevölkerung.

Carl Amery hat den Nazifaschismus und Auschwitz nicht als Rückfall ins Mittelalter gesehen, sondern als Vorläufer, quasi als teuflische Generalprobe für diesen unausweichlichen Überlebenskampf aller gegen alle im 21. Jahrhundert. („Hitler als Vorläufer – Auschwitz- Beginn des 21. Jahrhunderts?“ , Luchterhand Verlag)

Die ungebremst fortgesetzte Natur- und Klimazerstörung im Verein mit der rasanten Ausbreitung faschistischer und faschistoider Ideologien und Handlungsweisen im gesamten Parteienspektrum und den Mainstream-Medien scheint für seine düstere Vision zu sprechen.

Leben wir hier denn nicht wie “Herrenmenschen“, während unsere Arbeitssklaven in den Ländern des Südens unter denselben Lebensbedingungen leiden, welche die SS für die slawischen „Untermenschen“ vorgesehen hatte ?

Seit 3 Jahren zerbomben und zertrümmern die Saudis mit ihren Kumpanen den armseligen Jemen mit Waffen, an denen Rheinmetall fette Profite macht. (deren Ausfuhrgenehmigung übrigens auch nicht die AfD erteilt hat). Zu den ständig neuen Toten und Verletzten tritt eine wachsende Hungersnot hinzu und eine Cholera-Epedemie. In dieser Situation blockieren die Saudis den einzigen Hafen und verhindern Hilfe von außen. Für mich ist das Völkermord.

Wer hätte denn vor kurzem noch für möglich gehalten, dass private Schiffsbesatzungen, die Menschen vor dem Ertrinken retten müssen, weil die Staaten das unterlassen, nicht etwa belobigt, sondern als kriminelle „Schlepper“ verfolgt werden ?

Bin ich eigentlich völlig abgedreht, wenn mich die eiskalte Gleichgültigkeit, mit der unser „humanitärer“ Westen das achselzuckend hinnimmt, an dieselbe abscheuliche Gleichgültigkeit erinnert, mit der die viele tausende Akteure im „Dritten Reich“ Behinderte als „Lebensunwerte“ oder „unnütze Esser“ töteten oder verhungern ließen?

Wenn wir es unterlassen, uns über diesen Zustand unserer Welt zu verständigen, werden wir blind für die wirkliche Gefahr und wir bemerken vielleicht gar nicht mehr, dass wir von den Mächtigen instrumentalisiert werden. Vielleicht präsentieren sie uns ja die AfD, damit wir uns an ihr abarbeiten, während sie hinter den Kulissen in aller Ruhe eine neue faschistische Weltordnung organisieren. Trump ist dabei schon weit fort-geschritten, aber die EU holt kräftig auf.

Es müsste ja tatsächlich wieder das Naziprinzip Herrenmensch/Untermensch gelten und mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden, wenn der relativ kleine Teil der Menschheit on the sunny side of the street seine von Gier dominierte Lebensweise mit obzönen Verbräuchen und katastrophalen Schäden fortsetzen will. Den Wesenskern dieser Art zu leben bringt ein perverser Werbespruch kurz und knackig auf den Punkt: „Shoppen. Immer. Überall. Kaufhof“ – Dasselbe von der andern Seite betrachtet: „Vergiften/Vermüllen/Versklaven/Vernichten. Immer. Überall. Konsumkapitalismus.“

Nun meine ich, es wäre Zeit, über die Kernfrage der Zukunft zu diskutieren und zu streiten bis die Köpfe rauchen. Dies hier soll ja auch ein Versuch sein, das anzustoßen.

Ich befürchte aber, dass in Zeiten von Facebook, Twitter & Co sich der Unfähigkeit zu trauern die Unfähigkeit zu offener und lebendiger Diskussion hinzugesellt hat. Dass wir in unseren jeweiligen Blasen bald nur noch oberflächliche Statements und Tweets austauschen können, Fotos vom Urlaub, dem Abendessen oder der Demo posten, Smileys verteilen und blind dafür werden, dass rundherum die „Wirtschaft, die tötet“ mehr und mehr einen mörderischen Faschismus des 21. Jahrhunderts gebiert.

Damit wäre dann das Ende von Demokratie, Freiheit und Menschenwürde eingeleitet sowie der physische und kulturelle Ruin unseres immer noch wunderbar schönen blauen Planeten.

Gestörte Kindheiten

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“ (R.v. Weizsäcker)

Anmerkungen zum LVR Forschungsprojekt

Gestörte Kindheiten

Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen in psychiatrichen Einrichtungen des Landschaftsverbands Rheinland (1945 bis 1975)

 

Es ist sicher ein Verdienst der Studie,die menschenverachtenden Lebensbedingungen und die brutalen, teils sadistischen Behandlungsmethoden an Kindern und Jugendlichen in den LVR-Einrichtungen bis in die 70er ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben. Und es war längst überfällig, dass sich die Direktorin Lubek für dieses „düstere Kapitel“ bei den Betroffenen im Namen des LVR entschuldigt hat .

Erneut bleibt aber die Frage offen, warum die unglaubliche „medizinische Gewalt“, welche das Forschungsprojekt aufdeckt, noch 3o Jahre nach dem Dritten Reich unter staatlicher Aufsicht ausgeübt werden konnte. Ein Zusammenhang mit dem rassistischen Menschenbild des Nationalsozialismus wird zwar nicht geleugnet, aber es bleibt diesbezüglich bei ein paar allgemeinen Bemerkungen:

„In den psychiatrischen Anstalten wurden zahlreiche Ärzte weiter beschäftigt, die schon im Nationalsozialismus praktiziert hatten und nicht wenige von ihnen waren an der Vorbereitung und Durchführung der Krankenmordaktionen beteiligt gewesen.“

Dann wird noch ein „prägnantes Beispiel“ aufgeführt, nämlich Dr. Hans Aloys Schmitz, der von 1935 bis 1964 an der Bonner Klinik als leitender Arzt tätig war. Schmitz hat sich als T 4 Gutachter betätigt, bei „ der Kindereuthanasie eine verhängnisvolle Rolle gespielt“ und mindestens 160 Kinder aus der Bonner Klinik zum Töten freigegeben.

Damit ist in der Studie die „Vergangenheitsbewältigung“ im Wesentlichen abgeschlossen. Dass ein Naziverbrecher wie Schmitz und zahlreiche Naziärzte weiter beschäftigt wurden, ist schlimm genug. Solche Einzelfälle, seien sie auch zahlreich, können aber nicht erklären, warum jahrzehntelang Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung waren, ohne dass Vorgesetzte, übergeordnete Behörden oder die Staatsanwalt-schaft eingeschritten wäre, obwohl sie doch keineswegs heimlich geschahen, sondern Teil des „normalen“ Klinikalltags waren.

An zwei Beispielen lässt sich zeigen, dass nicht einzelne „braune“ Schafe für die Verhältnisse in den Einrichtungen des LVR (oder unter seiner Aufsicht stehenden) verantwortlich sein können, sondern dass auch der LVR als Institution seine Schutzbefohlenen als Menschen minderen Werts angesehen und behandelt hat.

Das erste Beispiel ist der beschämende Tatbestand, dass an unzähligen Kindern im Bonner LKH bis in die 70er sog. „Gehirndurchleuchtungen“ (Pneumanzephalografie) vorgenommen wurden. Bei diesem äußerst schmerzhaften Eingriff wird dem Gehirn Flüssigkeit entnommen und Luft hineingepumpt. Neben den teils lang andauernden Qualen riskiert man bei dem massiven Eingriff Gesundheitsschäden „ bis hin zu tödlichen Verläufen“. Ein möglicher diagnostischer Nutzen kann dazu in keinem angemessenen Verhältnis stehen, eine Rechtfertigung wäre nur dann gegeben, wenn es dabei um einen lebensrettenden Eingriff ginge, es ist aber eher das Gegenteil der Fall. Deshalb handelt es sich aus rechtsstaatlicher Sicht um eine permanent begangene schwere Körperverletzung. Zahlreiche Kinder mussten diese Tortur sogar noch in den 70ern erleiden, als längst schon die schmerzfreie Computertomografie zur Verfügung stand. Viele Kinder wurden auch mit Elektroschocks malträtiert, manche sogar mit beiden (Sieg)-“Heil-Behandlungen“.

Zu den erforderlichen Einwilligungen der Eltern: Mir ist ein Fall von 1970 bekannt, da wurde in Bonn die Einwilligung für Elektroschocks an einer jungen Frau dadurch erpresst, dass der Arzt der Mutter versicherte, ohne diese werde ihre Tochter sterben.

Die „Gehirndurchleuchtung“ hatte im NS Hochkonjunktur und diente dem rassistischen Wahn, an den Gehirnformen Herren- und Untermenschen unterscheiden zu können oder z.B. Kriminelle daran zu identifizieren. Ein ähnliches Menschenbild muss also im LVR noch lebendig gewesen sein, das zeigt ja auch der offensichtliche Mangel an Empathie bei allen Beteiligten dem „Krankengut“ gegenüber.

Bis Ende der 60er waren zudem erbbiologisch begründete Diagnosen und „eugenische Denktraditionen“ die Regel: so wurden als „schwachsinnig“ oder „charakterlich abartig“ diagnostizierte Kinder nur verwahrt, mit Psychodrogen vollgepumpt und ruhiggestellt. Deren Krankheit wurde demnach immer noch als Gendefekt betrachtet, folglich war Heilung nicht möglich und Förderung somit unsinnig..

Das zweite Beispiel für „Nazikontinuität“ sind die Vorgänge um den Medikamentenversuch an 40 Kindern der evangelischen Düsselthaler Anstalten – Graf von der Recke-Stiftung. Der diesbezügliche Antrag des Heimleiters beim LVR – unterstützt vom LVR Psychiater Baucke – stieß zunächst bei Landesverwaltungsdirektorin Beuermann auf Bedenken, die wohl weniger auf Mitgefühl mit den Opfern beruhten, sondern vielmehr auf möglichem Widerstand von Angehörigen und weil solche Massnahmen „gegen Missdeutungen von Angehörigen abgeschirmt werden müssen“.

Doch es schaltete sich der Direktor des LKH Grafenberg und Lehrstuhlinhaber an der Uni Düsseldorf, Panse ein und erreichte in einem „längeren Gespäch“ mit Landesrat Jans die Genehmigung. Die Kinder wurden den schwerwiegenden „Neben“wirkungen und Schädigungen des Präparats ausgesetzt, wobei die Höchstdosis nicht wie üblich durch langsame Steigerung der Dosis ermittelt wurde, sondern umgekehrt: Man begann mit starker Überdosierung.

Dr. Martha Beurmann war eine glühende Nationalsozialistin.Von 1939 bis 45 setzte sie im Landesjugendamt die NS Rassenlehre durch, u.a. als „Sachbearbeiterin“ für die Einweisung in die Jugendkonzentrationslager und sie war gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten Hecker verantwortlich für die im September 44 erfolgten Deportationen von rheinischen Anstaltsinsassen in die Jugend-KZ. Beide wurden 45 verhaftet, fanden aber nach der Entlassung Jobs bei der Inneren Mission (wie so viele Nazis) und durften bei der Gründung des LVR die alten Posten wieder einnehmen.

Friedrich Panse, der letztlich den abscheulichen Menschenversuch an Kindern durchsetzte, war ab 37 Dozent für „Rassehygiene“ und ab 1940 als T4-Gutachter ein NS Schreibtischmörder an behinderten Menschen. Traumatisierte Frontsoldaten, sog „Kriegsneurotiker,“ mißhandelte er mit hoch dosiertem galvanischen Strom. Die Stimmung unter den T4-Kollegen beschrieb er als „eine berauschende Gehobenheit“. Er wurde vom LG Düsseldorf aber 1950 freigesprochen und später vom LVR als Leiter des LKH Grafenberg und Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie an der Uni Düsseldorf eingestellt. Diese Position konnte er 1966 nutzen, seinem obersten Chef beim LVR, Klausa, als Quasi-Doktorvater zum Ehrendoktor in Medizin zu verhelfen.

Udo Klausa, Landesdirektor bis 1975, war für die Zustände in Heimen und Psychiatrien der Hauptverantwortliche, zumal er den LVR sehr autokratisch regierte. Er wird in der Studie auch erwähnt, jedoch ohne den geringsten Hinweis auf seine Nazivergangenheit in der SA, als NS-Landrat nahe bei Auschwitz und als Verfasser einer rassistischen Schrift, in welcher er forderte, Behinderte als „Entartete auszusondern“.

Während wie bei Beuermann und Panse auch Klausas Nazibelastung verschwiegen wird, tritt er hier als Wohltäter für Behinderte in Erscheinung (S. 118), weil er den Verein “Lebenshilfe“ unterstützte, der sich seit Mitte der 60er für die Förderung geistig Behinderter anstelle der bloßen Verwahrung einsetzte. Klausas Ehefrau Alexandra hat die NRW-Abteilung dieses Vereins mitgegründet; das Engagement des Ehepaars rührte daher, dass der jüngste Sohn auf Grund einer frühkindlichen Hirnentzündung „verhaltensauffällig“ war.

Dieses Engagement rechtfertigt aber nicht, in einer historischen Studie seine Nazibelastung zu verschweigen. Schon gar nicht, wenn es wie in diesem Fall um unmenschliche Behandlung von Kindern in ihm unterstellten Einrichtungen geht, welche deutliche Anklänge an Nazimethoden aufweisen.

Dass noch 1965 ein solch folterähnlicher Mißbrauch von schutzbefohlenen Kindern als medizinische Versuchskaninchen in staatlichen Einrichtungen überhaupt möglich war, schreit doch nach einer Erklärung. Da die hierfür verantwortlichen Entscheider allesamt im NS in hervorgehobenen Positionen an der „Aussonderung“ und Ermordung der „Entarteten“ beteiligt waren, liegt doch die Vermutung nahe, dass eben immer noch ihre früheren Weltbilder als geistiger Hintergrund Regie geführt haben.

Dass die Studie diese Zusammenhänge nicht weiter verfolgt, sondern z.T sogar verschweigt, halte ich angesichts des anwachsenden Rechtsradikalismus für ein schwerwiegendes Versäumnis. Wie sollen denn junge Menschen über die mörderische Folgen des NS-Rassismus aufgeklärt werden, wenn im Dunkeln bleibt, dass dessen schreckliche Folgen bis in die Gegenwart reichen?

Dürfen Historiker dem LVR eigentlich immer noch nicht die Peinlichkeit zumuten, die darin besteht, dass er seine NS-belasteten Führungskräfte bis vor wenigen Jahren nicht nur beschäftigt und geschützt hat, sondern auch über die Maßen geehrt? Wie 2010 Klausa posthum zu seinem hundertsten Geburtstag mit der devoten Ausstellung „Dirigent eines großen Orchesters“ (Er ist immer noch Ehrenbürger der Uni Bonn und Ehrendoktor der Uni Düsseldorf!)

Oder 1973 Panse in der Todesanzeige von LVR und Uni Düsseldorf: „Ein Leben der Arbeit im Dienst leidender Mitmenschen… ist vollendet.“

Vielleicht ist die Aufdeckung solch konkreter personeller und ideologischer NS-Kontinuitäten bei staatlichen Institutionen wie dem LVR aber auch aus einem anderen Grund unerwünscht: Wirft sie doch ein Schlaglicht darauf, dass die bundesrepulikanische Demokratie von Beginn an dadurch geistig verseucht wurde, dass sich die Nazieliten nach kurzem Abtauchen auf breiter Front in den Führungsetagen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wieder festsetzen konnten.

Mit gefährlichen Folgen für Demokratie und Rechtsstaat, wie sich heute immer deutlicher zeigt.

Erleben wir denn etwa nicht das Zurückdrängen der sozialpsychiatrischen Denkschulen und Einrichtungen zugunsten einer Pharma-zentrierten, mit der man kostengünstiger einer steigenden Zahl angeblich oder tatsächlich psychisch Kranker Herr werden kann? Weniger mit dem Ziel „Heilung“, sondern eher mit dem von Ruhigstellung: In akuter Situation eine oder zwei Wochen stationär zur Einstellung auf das passende Präparat, und ab dann Depotspritze und Begleitmedikation beim niedergelassenen Psychiater oder beim Hausarzt.

Jeder vierte zwischen 18 und 28 leide inzwischen an der einen oder anderen Form psychischer Erkrankung, wurde kürzlich gemeldet. Als Folge der Digitalisierung erwartet man den Wegfall sehr vieler Jobs, eine erhebliche Ausweitung der krank machenden prekären Lebensverhältnisse wäre damit verbunden.

Eine solche Form von Chemo-Psychiatrie könnte bei dieser politischen Herausforderung hilfreich sein, indem sie Millionen betroffene Mitmenschen ruhig und in Schach hält. Der Fall Gustl Mollath hat ja exemplarisch vorgeführt, dass die (geschlossene) Psychiatrie immer noch ein totalitäres System ist, dass leicht politisch missbraucht werden kann.

Dazu fällt mir ein, dass in den 70ern ein Psychiater (ich glaube er hieß Leibfried o.ä.) eine neue „Geisteskrankheit“ entdeckt hatte, die er „politische Querulanz“ nannte. Diese lag dann vor, wenn jemand „mit übertriebenen Mitteln gegen vermeintliches oder wirkliches Unrecht“ vorgeht. Wenn der Amtspsychiater definieren darf, was „übertrieben“ ist, dann kann er demnach auch jeden einlochen, der z. B. gegen eine Diktatur aufbegehrt. Schöne Aussichten!

Deshalb müssen alle Demokraten höchst alarmiert zur Kenntnis nehmen, dass Bayern ja bereits ein Gesetz in der Mache hat, welches die polizeiliche „Erfassung“ aller psychisch Kranken und Auffälligen möglich macht. Gleichzeitig sollen per Gesetz die Polizeibefugnisse so weitgehend ausgeweitet werden, dass eine Art Vorbeugeinhaftierung möglich wird, im Dritten Reich als „Schutzhaft“ bekannt und gefürchtet.

Die lückenlose Erfassung war damals die Voraussetzung und die Grundlage für die Verfolgung und letztlich für die Vernichtung kranker, „lebensunwerter“ Mitmenschen.

Insofern ist es unverzeihlich, dass die Hintergründe der erforschten, teils grausamen Lebensverhältnisse der Kinder in LVR-Einrichtungen nicht im Hinblick auf den NS weiter untersucht, sondern dass offensichtliche Kontinuitäten verschwiegen wurden; obwohl diese doch heute wieder im sich rundum ausbreitenden Rechtsradikalismus und dem Rechtsruck des gesamten Parteienspektrums eine erschreckende Wirksamkeit entfalten. Wer hätte denn vor kurzen noch für möglich gehalten, dass im Bundestag über die zynische Äußerung eines Abgeordneten diskutiert werden muss, welche den verheerenden Weltkrieg der Nazis, den Holocaust und die Krankenmorde als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte unsäglich bagatellisiert?

Leserbrief zum Artikel „Neustart in schlechter Stimmung“

Zur Kommunalwahl 1994 hatte sich in Bergneustadt eine bunte Truppe engagierter Leute (wenige Parteimitglieder) zusammengetan, um Grüne in den Stadtrat zu bringen. Mit Erfolg: Stefan Heitmann und Meggie Lück (beide keine Parteimitglieder) wurden gewählt.

Wir hatten ein konkretes , öko-soziales Programm z.B. im Abfall- und Energiebereich aufgestellt, verwendeten eigene fantasievolle Plakate statt der üblichen Werbeagenturprodukte und zwar in Schwarz-Weiss statt im teurem, umweltschädlichen Vierfarbdruck. Da gab es eine hoffnungsvolle, gute Stimmung und es entstanden nur sehr geringe Wahlkampfkosten.

Damals aber hatten die Bundesgrünen noch nicht ihre ursprünglichen Ziele der blanken Machtpolitik geopfert, Fischer sie noch nicht in den völkerrechtswidrigen Krieg in Serbien geführt, ihre Bundespolitiker sich noch nicht der neoliberalen Hartz 4-Wachststumswirtschaft ergeben; es gab noch keine „Mercedes-Kretschmanns“, keine egomanischen Wirtschaftslobbyisten wie BMW-Fischer, keine Boris Palmers, welche die CSU beim Flüchtlingsabschieben rechts überholen, keine NRW-Grünen, welche SPD-Krafts verheerende RWE-Braunkohlepolitik brav umsetzen. Damals waren die Grünen gesellschaftlich auch noch nicht auf die Interessenvertretung einer urbanen konsumstarken Mittelschicht fokussiert.

Wozu sollte sich für eine solche Partei angesichts dieses inhaltlichen und moralischen Desasters noch einer engagieren, der es ehrlich meint mit der dringend nötigen ökologischen und sozialen Umkehr? Also wenden diese Menschen sich ab, wie auch Meggie und ich vor Jahren, und die Lücken werden aufgefüllt mit Wendehälsen und den üblichen Parteikarrieristen, die ohne Skrupel für den sog. Wahlkampf allein in Oberberg 80 000 Euro verballern.

Und wenn du denkst, tiefer fallen geht nicht mehr, dann kommt die Sprecherin der Marienheider Grünen und erklärt gemeinsam mit Ölindustrie, Trump und AFD den menschengemachten Klimawandel zu Fake News* und die neue Parteispitze grinst dazu in die Kamera. Diese Botschaft heißt: No Future!

 

*Zitat aus der OVZ vom 23.4. von Kirsten Zander-Wörner : „Wir haben eine globale Klimaveränderung. Ich bestreite allerdings sehr, dass diese etwas mit den CO2-Emissionen zu tun hat.“

Nachtrag:

Der Brief ist von der OVZ nicht veröffentlicht worden. Ich habe dann mal nachgefragt:


Betreff:     Leserbrief
Datum:     Fri, 11 May 2018 10:48:19 +0200
Von:     Lothar Gothe
An:     ovz@kr-redaktion.de

Werter Herr Thies,

offenbar sagt Ihnen und/oder Herrn Klemmer mein Leserbrief zu Ihrem
Artikel bzw. Kommentar zur leicht desolaten Lage der Grünen nicht zu.
Obwohl er doch versucht, eine Antwort auf die offen gebliebene Frage
nach den Gründen zu geben.

Da m.E. alle angeführten Fakten stimmen, dürfte eine gewisse Schärfe der
Meinungsäußerung doch kein Grund für die Ablehnung sein, zumal sie auch
aus einer persönlichen Betroffenheit resultiert; auch eine bloße
Schmähkritik ist nicht zu erkennen.

Also was ist es, das Sie stört?

In Erwartung einer Antwort grüßt   
Lothar Gothe


Auch auf meine Nachfrage gab es keine Antwort.

 

Das Ende der Eiszeit

Leserbrief zum Artikel „Ende der Eiszeit“ in der OVZ vom 7.2.18

Das Bergneustädter „Wintermärchen“ ist zu Ende und es hat extrem viel Energie fürs Eis und die „gut beheizten“ Zelte verbraucht und entsprechend stark zum Klimawandel beigetragen.

Dachte ich bisher. Denn es hat auch überraschend positive Erkenntnisse zum Umweltschutz hervorgebracht, welche der Veranstalter verkünden konnte: So sei der hohe Energieverbrauch keine Verschwendung, weil „ganz Bergneustadt so viel Freude an der Eisbahn hatte“. Wenn es also Leute gibt, die Spaß an der Verschwendung haben, dann ist es keine: schon mal toll!

Zudem sei der Eisspaß, „ wo immer möglich, ökologisch“ gewesen, weil man nämlich die vielen Plastiktrinkbecher zum Recyceln zurückgegeben und für die fehlenden dem Bergneustädter Tennisverein gespendet habe.

Da die Klimaschutz-Relevanz des Tennisvereins sich nicht auf Anhieb erschließt, sollte sie vielleicht doch näher erläutert werden. Ich vermute, dass aus den Wintermärchen-Trinkbechern Tennisschläger gefertigt werden.

Auf diese Weise wird das Märchen ja sogar selbst zu echtem Klimaschutz und diese Methode könnte als „Bergneustädter Klimaschutzmodell“ überregional durchaus Nachahmer finden. So etwa in Engelskirchen, wo der SUV-Fahrer auf der „Übungsstrecke“ im Wald auch zum Klimaschützer wird, wenn sein Reservekanister aus Recyclingkunststoff besteht und er an Bergneustadts Tennisverein spendet.

Es muß wohl an meiner grundsätzlich negativen Einstellung zum Leben liegen, dass ich trotz dieser erfreulichen Nachrichten das Stoßgebet nicht unterdrücken kann:

Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel und über Bergneustadts Rathaus und die Werbegemeinschaft bitte die doppelte XXL-Portion.

Bergneustadt. Ein Wintermärchen

Leserbrief zum Artikel „Eisvergnügen auch bei 15 Grad“

Endlich mal eine gute Nachricht: In Bergneustadt steigt das zweite „Wintermärchen“ mit noch größerer Eisfläche, noch prächtigerer Beleuchtung, tollem Programm wie Bierkästenkegeln und Bobby-Car-Rennen, mit Super-Gastronomie, Schafsfellen und unzähligen weiteren Attraktionen für die „große Party“: powered by Stadt, Aggerenergie und Werbegemeinschaft.

Zeit, begeistert Danke zu sagen!

Während anderswo dauernd nur über Klimawandel geschwätzt und drastische Energieeinsparung verlangt wird, während sogenannte Wissenschaftler Alarm schlagen, Deutschland seine unsinnigen Verpflichtungen verfehlt, lässt Bergneustadt sich von all den Miesmachern nicht das „Eisvergnügen“ kaputt reden.

Hier hält man sich an echte Experten wie den US-Klimaforscher Donald Trump und die für Deutsches Klima kompetente AfD, die herausgefunden haben, dass Klimawandel „fake news“ ist. Deshalb hat Bergneustadt im Unterschied zu anderen Kommunen auch fast gänzlich auf Klimaschutzaktivitäten verzichtet.

Der aufdringliche Neujahrs-Appell der römischen Spaßbremse Franziskus, nicht nur wegen der Zerstörung der Schöpfung Konsumverzicht zu üben, sondern auch deshalb, weil unsere angeblich exorbitanten Verbräuche z.B. in Afrika Millionen in Krankheit und Hungertod treiben, kann hier nur ein müdes Achselzucken auslösen.

Damit solche „bad feelings“ aber nicht etwa die Partylaune versauen, sollte am Rathaus ein weithin sichtbares, illuminiertes Banner hängen: „KLIMAWANDEL – ERFINDUNG DER CHINESEN!“ Was Papst und Afrika betrifft: Die monströsen Aggregate ließen sich gut hinter einer urigen Holzwand verbergen mit einer Aufschrift, die in den 90ern auf einigen Luxuskarossen zu lesen war: EUER ELEND KOTZT UNS AN .

Wenn der Bergneustädter nach den „glücklichen“ 4 Wochen immer noch Bock auf Winterpoesie haben sollte, hilft ein Flug nach Dubai, wo man auf einer bestens präparierten Piste in norwegischer Atmosphäre bei einer Außen-temperatur von über 40 Grad prima Ski fahren kann: Wintermärchen aus Tausend und einer Nacht.

Also dann: Frohes Neues und weiterhin „Bergneustadt first“ !


Zudiesem Leserbrief gab es eine Antwort, in der die Verfasserin mir und anderen Kritikern des „Eisspaßes“ Kinderfeindlichkeit vorwirft. Dazu wäre auch noch was zu sagen:

Frau Grube meint, die anderen Eisbahnkritiker und ich gönnten den Kindern kein Vergnügen mehr und wir hätten unsere Kindheit vergessen.

Aber gerade der Gedanke an meine Kindheit weist auf ja die Klimaerwärmung hin, denn wir konnten hier überall auf zugefrorenen Gewässern nach Herzenslust Eislaufen. Heute brauchen meine Enkel für diesen Winterspaß Eissporthallen wie die in Wiehl.

Das extrem energiefressende „Wintermärchen“ in Bergneustadt ist hingegen alles andere als ein Zeichen für Kinderliebe. Oder feiern Kinder dort Betriebsfeste, machen „Party“ in „Hüttenatmosphäre“ an der Cocktailbar bis in die Nacht? Die Stehtische sind auch nicht gerade kindgerecht und aus den Boxen dudeln keine Kinderlieder. Mit dem Event zielt die Werbegemeinschaft auf zahlungskräftige erwachsene Kundschaft, der Kinderspaß ist reiner Nebeneffekt.

Es sind allerdings die Kinder, welche demnächst eine sehr bittere Zeche für die vielfältigen Vergnügungen und die konsumistischen „Parties“ von uns Alten zu zahlen haben. Es gilt längst als wissenschaftlich gesichert, dass ihnen eine „düstere Zukunft“ droht, wenn nicht endlich die „Großen“ in Berlin die Wirtschaft umstellen, und auch wir „Kleinen“ nicht sehr bald den verschwenderischen Lebensstil ein-schränken. Auch die Veranstalter und Frau Grube können ihre jeweilige Verantwortung dafür nicht an der Garderobe abgeben.

Übrigens bin ich im Dorf durchaus als kinderlieb bekannt, denn seit vielen Jahren hatten zahllose Kinder hier auf dem Hof viel Freude mit ganz geringen Mitteln. Eine Zukunft ohne solche „Wintermärchen“ müßte also gar nicht „düster“ sein.

 

Luthers Antisemitismus – ein interessanter Link dazu

Aus einer Mail an mich:

„Lieber Lothar,
vielen Dank, ich habe die Schreiben mit intensiven Interesse gelesen – du gibst ja deiner früheren Kirche ein scharfes Contra. […]
Luther trug aus deiner Sicht auch nach 421 Jahren (Mit-)Schuld an den Pogromen 1938 und späteren Vernichtungen, konnte sich aber gegen die Vereinnahmung durch die Nazis und alle sonst beteiligten Deutschen nicht wehren. Hast du übrigens für die Berufung auf Luthers Hetzschriften durch SA, SS eine Quelle? “

Die Frage ist natürlich berechtigt. Ich möchte darum auf diesen interessanten Artikel  von Jan Süselbeck bei literaturkritik.de hinweisen:

Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat einen Haken – Martin Luther, der Begründer des Protestantismus, war Antisemit

Der Dechant und ich – fast eine Brieffreundschaft

Oberbergs Kreisdechant Christoph Bersch hatte mir auf einen meiner unveröffentlichten Leserbriefe, hier zum Artikel „Zeichen setzen gegen den Antisemitismus“, geantwortet. Der Mailwechsel entwickelte sich überaus interessant.

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     Die Gedanken des Alt 68er…
Datum:     Wed, 29 Nov 2017 20:23:12 +0000
Von:     <christoph.bersch@erzbistum-koeln.de>
An:     <logo@westhost.de>

Sehr geehrter Herr Gothe,

seit Jahren schon begleiten und erstaunen mich ihre veröffentlichten – und manchmal auch die nicht veröffentlichten – Leserbriefe. So unfehlbar waren Päpste nicht einmal im 19.Jahrhundert, wie Sie „historische Wahrheit“ für sich beanspruchen…

Wenn Sie nach einem Satz mit „wäre vermutlich“ und „hätten sich wohl kaum“ von „historischer Wahrheit“, sprechen, dann ist das schon ziemlich steil: sogar steiler als die Eiger-Nordwand.

Lassen Sie mich fünf Gedanken formulieren:

1) Ich habe in diesem Jahr eine Fahrt mit Superintendent Knabe und 50 Christen unserer beiden Konfessionen zu den Wirkungsstätten Martin Luthers gemacht und mehrere ökumenische Gottesdienste mitfeiern dürfen. Wir haben dabei an Worte und Entscheidungen Martin Luthers erinnert, ohne ihn zu verklären. Uns allen ist bewusst, dass er Kind seiner Zeit gewesen ist: mit seinen Ängsten, mit der Wucht seiner Sprache, mit der er sich positiv einen Namen gemacht hat, aber auch der Versuchung erlegen ist, sie gegen Juden (und übrigens auch gegen den Papst und seine Anhänger) einzusetzen – mit seiner Leidenschaft für Gott und zugleich mit seinen (vor allem aus heutiger Sicht) Verblendungen. Gemäß dem Wort des Apostels Paulus: „Prüfet alles, das Gute behaltet“, ist eine klare Kritik angesagt. Kritik kommt von „krinein“ = unterscheiden. Und diese Unterscheidung von sehr viel Segensreichem, das wir Luther verdanken und gerne festhalten – seine ins Deutsche übersetzte Heilige Schrift, seine Hymnen und Lieder… – und dem, wo er negativ über Menschen anderer Überzeugungen und Glaubensausrichtungen herzieht, ist entscheidend.

2) Luther ist in der Geschichte – wie viele andere auch – vereinnahmt und verfälscht worden. Er, dem es um die Rechtfertigung des Sünders durch die Gnade Gottes ging, musste zur Rechtfertigung von Nationalismus, Staatskirchentum, Priesterehe, der Diskriminierung von Juden und Katholiken usw. herhalten. Daraus folgt aber keine „historische Wahrheit“, sondern vielmehr die Sorgfalt und das gewissenhafte Studium der Originalquellen als Ganzes, die eine sachgestützte Annäherung an die „historische Wahrheit“ beinhalten.

3) Ähnliches können wir doch auch von der Zeit vor knapp 50 Jahren sagen: Für die einen war es der Ausbruch aus dem Mief der 50er und 60er-Jahre, der Ausbruch aus Unmündigkeit und Verkrustungen, die Befreiung von falschen Konventionen und einer „Kopf-in-den-Sand-Mentalität“; für die anderen war es der Katalysator für eine moralische Katastrophe mit ethischen Dammbrüchen, politischen Verblendungen (Mao, Fidel Castro…) und der Legitimierung von Gewalt unter fadenscheinigen Vorwänden. Was ist da „historische Wahrheit“? Für Ihre Generation oder auch auf der Basis Ihres persönlichen Lebensweges etwas ganz Anderes als für meine (jüngere) Generation bzw. für meinen Lebensweg, wo mir z.B. das Geschwafel von „Startbahn West – Nein Danke“-Lehrern ebenso auf den Senkel ging wie die verbal großkotzigen Alt-68er a la Gerhard Schröder, die damals das Maul aufrissen und heute bei Gazprom Millionen verdienen (die unzähligen heutigen SUV-Fahrer und Kreuzfahrschiff-Nutzer dieser Generation seien da nur am Rande erwähnt).

4) Mir ist es auch ein Anliegen, dass Sie sich mit Ihren Urteilen über die „halbherzigen Schuldeingeständnisse“ der Kirchen bescheiden. Natürlich haben Christen durch die gesamte Geschichte hindurch schwere Schuld auf sich geladen – wie im übrigen auch alle Nichtchristen! Mose als Mörder, David als Ehebrecher, Petrus als Ohr-Abschläger, Paulus als Christenverfolger… – bereits in der Bibel selbst wird dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Christen sind ja auch nicht die moralischen Superhelden, sondern die, die um die absolute Notwendigkeit der Vergebung durch Gott wissen – und darum, dass wir bei uns selbst anfangen müssen! Denn wenn ich mit zwei Fingern auf „die anderen“ zeige, zeigen drei Finger auf mich selbst!

5) Es geht nicht um „lückenhaftes Gedenken“, sondern um ein klares Bekenntnis zu Frieden und Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und dem Einsatz für die Menschenrechte in unserer Gegenwart. Wir brauchen nichts zu verschweigen, wo wir als Deutsche, wo wir von seiten unserer Kirchen, wo wir durch die Geschichte hindurch Unrecht gefördert, Gewalt gepredigt und Menschenrechte mit Füßen getreten haben. Aber wichtiger ist es, dass wir heute positiv für die Werte einstehen, mit denen wir die dunklen Seiten der Vergangenheit hinter uns lassen können.

Ich lade Sie ein, Herr Gothe, am Samstag zum Jahresempfang der Katholiken Oberbergs in die Halle 32 (Steinmüllergelände) nach Gummersbach zu kommen und ab 9.30 Uhr zum Thema „Werte“ zu hören, zu diskutieren und Ihre Meinung einzubringen. Keine Sorge: Katholiken beißen nicht…

Mit freundlichen Grüßen

Pastor Christoph Bersch, Kreisdechant

– Mitglied im Beirat der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit –

Meine Antworten zu dieser Mail:

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     Katholiken-Empfang
Datum:     Sun, 03 Dec 2017 20:08:51 +0100
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     christoph.bersch@erzbistum-koeln.de

Sehr geehrter Herr Bersch,

nachfolgend versuche ich, Ihren ausführlichen „Hirtenbrief“ (bzw. Hirtenmail) zu beantworten. Zuvor aber einige Anmerkungen zum oberbergischen „Katholikentag“, zu dem Sie mich eingeladen hatten. Der bin ich gern gefolgt, weil ich mich in die Vorstellung hineinfantasiert hatte, dass sich die Kirche in einem Erneuerungsprozess befinde, sich öffne, diskutiere und auch andere Meinungen gelten lasse: Also vielleicht eine andere, bessere sei als die, aus der ich vor langer Zeit ausgetreten bin.

Natürlich war diese Hoffnung genährt durch den Argentinier, der anscheinend versehentlich zum Papst gewählt wurde. Mich beeindruckt dessen radikale Verurteilung der neoliberalen kapitalistischen
Wirtschaft, welche in den armen Weltregionen „tötet“ und Menschen zu Müll und Abfall macht, während wir hier im „Fetischismus des Geldes“ und im „ungezügelten Konsumismus“ eine „neue und erbarmungslose Form der Anbetung des goldenen Kalbes“ gefunden haben. Seine Schrift „evangelii gaudium“ ist ein Weckruf, ein Fanal.

Was ich vorfand, ließ meine infantilen Träumereien schnell platzen: Alles wie gehabt. Eine Zusammenkunft durchweg älterer Mitbürger, die im „Frontalunterricht“ von „Schriftgelehrten“ und Honoratioren belehrt wurden. Es gab keine Diskussion, schon gar nicht über die christlichen und demokratischen „Grundwerte“ wie Menschenwürde, globale Gerechtigkeit, Schutz der Schöpfung, die wir Übersatten allesamt laut Franziskus durch unsere Lebensweise mit Füßen treten; Bei den 11 Gesprächsrunden waren das ebenfalls keine Themen. Stattdessen das Übliche: von Regionalen Produkten über Caritas-Pflege bis zu Verrohung
der Jugend. Statt Diskussion mit Rede und Gegenrede fragte eine RTL-Moderatorin auf dem Podium nur Statements ab.

Als am Schluss mein Freund das Wort ergriff darauf hin wies, daß Sie mich doch eingeladen hätten, um „zu diskutieren und meine Meinung zu äußern“, blockten Sie ab. Meinen Vorschlag, mir 3 Minuten zu geben, in
denen ich ausschließlich Worte von Papst Franziskus zu den hier ignorierten existentiellen Menschheitsproblemen verlesen werde, lehnten Sie ab. Auch bei seinen katholischen Wohlstands schafen ist der Oberhirte also ein Rufer in der Wüste. Ihr Verhalten bestätigt aber eindrucksvoll Franziskus´ Analyse:

„Um einen Lebensstil vertreten zu können, der die anderen ausschließt, oder um sich für dieses egoistische Ideal begeistern zu können, hat sich eine Globalisierung der Gleichgültigkeit entwickelt.
Fast ohne es zu merken, werden wir unfähig, Mitleid zu empfinden gegenüber dem schmerzvollen Aufschrei der anderen, wir weinen nicht mehr angesichts des Dramas der anderen noch sind wir interessiert, uns um sie zu kümmern, als sei das alles eine uns fern liegende Verantwortung, die uns nichts angeht. Die Kultur
des Wohlstands betäubt uns.“

Und derart moralisch sediert kann sich dann auch der Christ an der obzönen weihnachtlichen Materialschlacht beteiligen, die gleich nebenan im Forum tobte, oder sich auf den Weihnachtmärkten bei Gühwein und Bratwurst mit kitschigem Plunder aus aller Welt eindecken, um auf solch perverse Art den Geburtstag des revolutionären Juden Jesus zu begehen.

Tief enttäuscht fuhr ich nach Hause, voller Scham, dass ich so blöd war, für einen Moment an die Möglichkeit einer lebendigen Erneuerung der Sancta Ecclesia zu glauben. Armer Franziskus!

UND:

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     Historische Wahrheiten
Datum:     Tue, 05 Dec 2017 21:40:00 +0100
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     christoph.bersch@erzbistum-koeln.de

Sehr geehrter Herr Bersch,

nun zu Ihrer Mail, „meiner“ Unfehlbarkeit und zu „meinen“ historischen Wahrheiten:

Im Unterschied zu Ihrer Kirche behaupte ich zumindest nicht, unfehlbar zu sein.  Ich nehme auch keine historische Wahrheit „für mich in Anspruch“, sondern kenne durchaus meine diesbezüglichen Grenzen als kleiner Ökobauer und  Sozialarbeiter. Aber ich kann (vielleicht dank Luther) lesen und schreiben und mir somit einen Überblick über die Forschungsergebnisse der Wissenschaft verschaffen. Darauf beziehe ich mich und ich habe deshalb  auch ausdrücklich auf das Buch des renommierten Historikers Ernst Klee hingewiesen. Falls Sie der Meinung sind, dass z.B. Klee historische Unwahrheiten behauptet, steht Ihnen frei, diese unter Angabe der Quellen an konkreten Punkten zu korrigieren.

Also lieber Herr Bersch: “ Steil “ ist  weniger meine Äußerung, sondern wohl eher Ihre Polemik.

Zu Ihren Gedanken:

Vermutlich unbewußt bestätigen Sie genau meinen Vorwurf, daß Luthers mörderischer Antisemitismus verharmlost oder verschwiegen wird: Nach theologischer Belehrung über Kritik, „krinein= unterscheiden“ stellen Sie Luthers sattsam bekannten positiven Leistungen als negative Seite gegenüber, dass er „negativ über Menschen anderer Überzeugungen und Glaubensrichtungen herzieht“. Die Redensart „Über einen herziehen“ bezeichnet die Verbreitung von verleumderischem Klatsch und Tratsch.  Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ enthält aber einen  eindeutigen Aufruf zum Mord an Juden, zur Brandstiftung bei Synagogen , Zerstörung Jüdischer Schulen und Häuser, Plünderung jüdischen Besitzes. Alle diese Verbrechen wurden 1938  unter ausdrücklicher Berufung auf Luthers Hetzschrift von SA, SS und unzähligen “ Freiwilligen“ verübt. Dass für das Progrom mit Absicht Luthers Geburtstag am 10.11. gewählt wurde, darf man anscheinend nicht erwähnen, es wird völlig totgeschwiegen.

Würde heute jemand diesen Aufruf ernsthaft wiederholen, er würde wohl kaum mit einem Bußgeld wegen übler Nachrede davon kommen, sondern wegen Volksverhetzung und Aufruf zum Völkermord im Knast sitzen. Um Ihre Äußerung als historisch  verfälschende Reinwaschung beurteilen zu können, reicht es also aus, Luthers unmißverständlichen Text zu lesen.

Mit solcher Art Verharmlosung schlagen  Sie in dieselbe Kerbe wie der Nümbrechter Bürgermeister und Ihre Christlich Jüdische Gesellschaft: Ersterer verbreitete vor Schülern die historische Unwahrheit, dass
nämlich“die Nazis“ die Juden umgebracht hätten, „nur weil sie einen anderen Glauben hatten.“ Auch er hätte doch wissen müssen, dass der Holocaust nicht aus religiösen Motiven  geschah, sondern aus rassistischen, sonst wären ja nicht katholische, evangelische und atheistische Juden auch vernichtet worden. Auf diese Weise wird von der barbarischen Einzigartigkeit der industriell durchgeführten  “ Endlösung der Judenfrage“  abgelenkt; und davon, dass der rassistische Antisemitismus schon bei Luther angelegt ist, z. B. wenn er die  Juden als „leibhaftige Teufel“ oder „durstige Bluthunde“  bezeichnet und ihnen „verdorbenes Blut“ (modern: schlechte Gene) attestiert.

Ich muss auch erneut darauf hinweisen. dass ausgerechnet Ihre Christlich jüdische Gesellschaft sich jahrelang erlaubte,  auf ihrer Homepage eine geradezu schamlose Reinwaschung sogar von Naziverbrechern betreiben: Die „Mitläufer und Mittäter“ seien „gutwillig und ehrenwert“ gewesen. Welch eine Verhöhnung der Opfer! In zahlreichen deutschen Orten zeigten sich am 10.11.38  diese Nazis  so „gutwillig und ehrenwert“ wie die Täter und Bejubler bei den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Mölln.  Erst nach Protesten wurde diese geradezu ungeheuerliche Behauptung  gelöscht. Heute findet sich dort ein zweifelhaftes Zitat von August Dresbach: Er gäbe nicht den „ungeschulten“, sondern nur den „politisch geschulten“ Nazis Schuld. Welchen Schulabschluss, Herr Bersch, muss man denn  haben, um erkennen zu können, daß Mord und Totschlag, Brandstiftung und Plünderung,  etc. Unrecht sind?

Vermutlich ist Ihnen und den andern Beschönigern gar nicht bewußt, welche aktuelle Sprengkraft solche  apologetische Befassung mit den nationalsozialistischen Verbrechen  in sich trägt,  können sich doch die
heutigen Rechtsradikalen, Rassisten und Antisemiten ebenso darauf berufen, trotz ihrer Hetze und ihrer Gewalttaten „ehrenwert und gutwillig“ zu sein.

Luthers  Judenhass und seine Vernichtungsaufrufe sind derart eindeutig und massiv, dass daran gar nichts „verfälscht“ werden kann und er muss deshalb auch nicht für die „Diskriminierung der Juden „herhalten“, wie Sie schreiben. Noch mehr „diskriminieren“ als zum Totschlag  aufrufen geht ja wohl nicht.

Sie verlangen, ich solle mich mit meinen Urteilen über die „halbherzigen Schuldeingeständnisse“ der Kirchen bescheiden. Was dann aber folgt, ist genau ein solches halbherziges und sehr lückenhaftes Schuldeingeständnis, welches sich auf  persönliche Verfehlungen von Mose, David, Petrus und Paulus beschränkt. Kein Wort zu Kreuzzügen, „Kolonialimus-Untaten“, der „heiligen Inquisition“, dem christlichen Anteil am Naziterror.

Auch kein Wort zu hochaktueller Schuld: Den tausendfachen Verbrechen an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen in katholischen Einrichtungen. Einen großen Teil meines Lebens habe ich damit verbracht, zusammen mit vielen anderen empathiefähigen Mitmenschen in der Sozialistischen Selbsthilfe Köln die alleingelassenene Opfer von der Domplatte zu holen, Ihnen im Sinne der Bergpredigt  Obdach zu geben und für ihre Rechte zu kämpfen.  Als wir auch die Kirche angriffen, wurden wir in Ihrer Kirchenzeitung als „roter Star“ beschimpft, den man “ stechen müsse“. Man beachte die interessante Wortwahl !

Hier vor Ihrer Tür mussten ebenfalls Kinder leiden. Auch  im Eckenhagener Josefshaus wurden sie gedemütigt, körperlich mißhandelt, vergewaltigt („sexuell mißbraucht“)  und mit folterähnlichen,
sadistischen Methoden bestraft; so wurde z.B. Bettnässern abends die Vorhaut vorgezogen und zugebunden  mit der Folge von entsetzlichen Qualen in der Nacht. In einem Gummersbacher Heim, so berichtet ein
früherer Zögling, wurde er von einer Nonne  wiederholt zu sexuellen Handlungen gezwungen. An den psychischen Folgen leidet er heute noch. Den Opfern, die ihr Martyrium nachweisen können, bietet das
milliardenschwere Erzbistum Köln  5000 Euro als Wiedergutmachung an, ein Drittel des Kaufpreises einer bischöflichen Badewanne in  Limburg! Wie ordnen Sie eigentlich ein solches Verhalten im katholischen Wertekanon ein?

Und jetzt belehren Sie mich, es gehe um ein „klares Bekenntnis zu Frieden und Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und den Einsatz für die Menschenrechte in unserer Gegenwart“.  Auf Ihrer Veranstaltung zu „Werten“ und “ Wertewandel“ fiel aber kein einziges  Wort zu der brutalen Gewalt gegen Flüchtende, die in KZartigen
Lagern in Lesbos ausgeübt wird, um  weitere Hungerleider abzuschrecken und von den Grenzen unserer Wohlstandszone fern zu halten. Oder denen in Lybien, in welchen von uns bezahlte  Warlords  ein grausames Exempel  an Geflüchteten statuieren, die von ihren Gangsterbanden auf dem Mittelmeer eingefangen wurden. Alles „in our name“, lieber Herr Dechant.

Ebenfalls kein einziges Wort zu dem „Werteverfall“, der sich an den dramatischen Folgen der Klimaerwärmung offenbart, einer noch nie dagewesenen Zerstörungsorgie an unseren Lebensgrundlagen, an der „Schöpfung.“Mit furchtbaren Folgen schon heute für Millionen Unschuldiger in Ländern des Südens.
Das  alles wurde verschwiegen, stattdessen ging es um Verrohung unserer Jugend und um den schädlichen Einfluss von Handies auf  unsere Kinder. Das Schicksal der kongolesischen Kinder, die als Arbeitssklaven unter schrecklichen Umständen  Coltan und Lithium für unsere Elektronik aus den Bergwerksstollen kratzen müssen, war hingegen  keiner Erwähnung wert. Dabei kann man doch in der „einen Welt“ das eine nicht vom anderen trennen.

Was ihre scharfe Kritik an den 68ern betrifft, muss ich (leider) einräumen, dass sie teilweise berechtigt ist. Tatsächlich geben „großkotzige Alt 68er“ wie Schröder, Fischer  oder Kretschmann ein widerliches Bild von rücksichtsloser Raffgier und egomanischem Konsumismus ab und sie treten die damaligen Ideale mit Füßen.  „SUV-Fahrer“ und „Kreuzfahrtschiff-Nutzer“ verraten gleichermaßen ihre Grundwerte, seien es Sozialisten oder Christen. Und ich muss wohl auch einräumen, dass es bei den 68ern  zu „ethischen Dammbrüchen“ und „politischen Verblendungen“ gekommen ist. Allerdings ist die Kirche auf dem Gebiet den 68ern noch weit voraus, siehe oben. Beiden  Gruppen wäre es aber vermutlich gleich lieb, wenn die Spaßbremse
Franziskus endlich das Maul hält und nicht länger allen auf den Wecker geht mit seinen antikapitalistischen Reden und moralischen Appellen. Ihnen anscheinend ja auch, wie wir am Samstag  gesehen haben.

Vermutlich bestätige ich mit diesen lästerlichen Ausführungen, dass es klug war, mir am Samstag entgegen Ihrer Zusage nicht das Wort zu erteilen.

Mit freundlichem Gruss,     Lothar Gothe

Ich hatte diesen Mailwechsel ursprünglich nur an einige Freunde, darunter auch mehrere Pfarrer,  weitergeleitet, um ihre Meinung dazu zu erfahren. Das große Interesse an der Debatte bewog mich dazu, den gesamten Mailwechsel zu veröffentlichen, und so habe ich Herrn Dechant Bersch über mein Vorhaben infomiert:

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     Unser „Mailwechsel“
Datum:     Sun, 17 Dec 2017 16:42:50 +0100
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     christoph.bersch@erzbistum-koeln.de

Sehr geehrter Herr Bersch,

ich habe mir erlaubt, unseren Mailwechsel an einige Freunde weiter zu leiten, darunter auch ein paar Pfarrer.  Die (pro und contra) Reaktionen zeigen, dass diese (heftige ) Debatte auf überraschend großes Interesse stößt. Deshalb beabsichtige ich, den „Mailwechsel“ auf meiner Homepage weiteren Mitmenschen zugänglich zu machen, will Sie aber vorab informieren.

Gerade die aktuellen antisemitischen und rassistischen Vorkommnisse bestätigen die Notwendigkeit, die tieferen Ursachen des alten und neuen Antisemitismus und Rechtsradikalismus zu  analysieren und in der Öffentlichkeit zu diskutieren, gerade auch in der Schärfe, die wir beide an den Tag gelegt haben.

Mit freundlichen Gruß,   Lothar Gothe

 

Herr Dechant Bersch war – das ist verständlich – nicht begeistert:

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     AW: Unser „Mailwechsel“
Datum:     Mon, 18 Dec 2017 08:01:03 +0000
Von:     <christoph.bersch@erzbistum-koeln.de>
An:     <logo@westhost.de>

Sehr geehrter Herr Gothe,

eine private e-mail ohne Rücksprache an andere Leute zu senden, hat nicht gerade Stil.

Aber wenn es Ihr Aufmerksamkeits- und Geltungsbedürfnis befriedigt, dann soll es wohl so sein. Das stört nicht meinen adventlichen Frieden.

Übrigens: die beste Medizin gegen Antisemitismus ist ein tiefer gelebter Glaube an Jesus Christus und eine gesunde tiefe Verehrung der Muttergottes!

Denn beide entstammen dem Volk der Juden!

Außerdem: wer an Gott als Vater der gesamten Menschheitsfamilie glaubt, kann weder gegen Israel noch Palästina, weder gegen Amerikaner noch gegen Russen sein. Selbst die geschundene nordkoreanische Bevölkerung verdient Ihr und mein Gebet!

Meine – bis jetzt, 28.12.2017 – letzte Nachricht an Herrn Bersch:

——– Original-Nachricht ——–
Betreff:     „Mailwechsel“
Datum:     Sat, 23 Dec 2017 17:06:58 +0100
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     christoph.bersch@erzbistum-koeln.de

Sehr geehrter Herr Bersch,

nachdem ich über Ihre Mail ein paar Tage nachgedacht habe, antworte ich wie folgt:
Sie haben Recht damit, dass es „nicht gerade Stil hat“, eine private Mail an andere weiter zu leiten. Und den Vorhalt, ich würde damit mein Geltungsbedürfnis befriedigen, kann ich auch nicht mal so eben wegwischen.

Aber Sie vergessen die Vorgeschichte: Sie haben meinen Leserbrief zum „Progromtag“ heftig kritisiert, was in Ordnung ist. Mich gleichzeitig zu Ihrer Veranstaltung zu „Werten“eingeladen, damit ich “ mit diskutieren“
und „meine Meinung äußern“ kann. Dann aber wollten Sie meine Meinung gar nicht hören und haben sogar meinen Vorschlag abgelehnt, aus Papst Franziskus´ Schrift evagelii gaudium zu zitieren, in welcher er uns konsumistischen Bewohnern der Wohlstandszonen den Verrat an den christlichen und humanitären Grundwerten vorwirft.

Ihr Verhalten darf man wohl als beleidigend, als „Verarschung“ betrachten, einer meiner Freunde meint sogar, Sie hätten mich damit „gedemütigt“.

Vor diesem Hintergrund und eingedenk der Tatsache, dass es hier ausschließlich um gravierende gesellschaftspolitische Probleme und nicht etwa um intime persönliche geht, fühle ich mich zur
Veröffentlichung unseres „Mailwechsels“ berechtigt. Zumal ich mir sicher bin, dass mein Geltungsbedürfnis dabei nur eine sekundäre Rolle spielt.

Ihre Behauptung, ein tiefer Glaube an Jesus Christus sei die „beste Medizin gegen Antisemitisnus“, ist längst durch die Wirklichkeit widerlegt. Der Völkermord an den Juden und der Vernichtungskrieg im Osten wurden doch von abertausend katholischen und vor allem evangelischen Christen durchgeführt, die sich zum großen Teil sicher für gläubig hielten: Im damaligen deutschen Reich waren 2/3 der Einwohner evangelisch, ein knappes Drittel katholisch und nur 5 % waren andere, Juden, Atheisten, etc. Auch was Luther betrifft: Entweder lässt sich sein antisemitischer Aufruf zum Mord an Juden mit dem Glauben an Jesus Christus vereinbaren, oder er war eben kein gläubiger Christ. Was denn nun?

Aber dazu schweigen die Kirchen und auch Sie bleiben lieber stumm und verstoßen gegen Jesu Aufforderung zur klaren Stellungnahme, auch was die unzähligen abscheulichen Verbrechen an den Heimkindern betrifft, die ja mehrheitlich von Priestern begangen wurden. (In Australien in 4000 Einrichtungen!) Glaubten diese geweihten Täter nun an Jesus Christus oder nicht?

Angesichts des Schweigens und der Ausflüchte der Kirchen und der auch in Ihrer Veranstaltung zu Tage getretenen Unfähigkeit zur Diskussion wundert es mich nicht, dass unter den Teilnehmern kaum jüngere Leute waren. Das wäre sicher anders gewesen, wenn Papst Franziskus über Werte und Werteverlust gesprochen und sicher auch eine kritische Diskussion zugelassen hätte. Aber der ist ja offenbar – wie heute in der Zeitung zu lesen ist – im Vatikan von „Verschwöreren und „Verrätern“ umgeben, die ihm wie z.B. Kardinal Müller hasserfüllt die theologische Kompetenz absprechen und sich so abfällig über seinen bescheidenen Lebensstil äußern, dass Franziskus von einem „Krebsgeschwür“ in der Kurie spricht. Ich glaube, Sie haben deutlich gemacht, auf welcher Seite Sie in diesem Konflikt stehen.

Mit wenig optimistischen Grüssen, Lothar Gothe