Zum Artikel „Psalmen in der Wanderpause – Oberbergischer Lutherweg eröffnet“ in der Wochenendausgabe vom 20.5.2017
Jetzt haben wir also auch im Oberbergischen einen Pilgerweg. Er heißt nicht Jakobs-, sondern Lutherweg und unser Santiago de Compostela ist das beschauliche Lieberhausen. Nun kann man eine Verbindung Luthers zu Oberberg nicht einmal an den Haaren herbeiziehen, aber darum geht es auch gar nicht.
Es handelt sich wohl weniger um ein religiöses Ereignis als um ein Event im Rahmen des kirchlichen Marketing-Rummels im „Lutherjahr“. Die Kirchenfunktionäre glauben offenbar, den fernbleibenden Mitgliedern hinterherlaufen und die alte Botschaft des hingerichteten Juden aus Palästina in moderner Verpackung präsentieren zu müssen.
Herausgekommen ist eine esoterisch angehauchte Wellness-Wandertour, die Fitnesstraining, Abspecken und Spiritualität aufs Angenehmste miteinander verbindet. An acht Stationen des Rundwegs laden Schilder mit Lutherzitaten oder Psalmen zur Rast ein. Dort kann man eine „Auszeit nehmen und nachdenken“. Bei dieser Verbindung von „Wandern mit dem Glauben“ helfen QR-Codes auf den Schildern: Der wandernde Sinnsucher kann sich über sein Smartphone die Texte und die Anleitungen zu „Übungen zur Körpermeditation“ vorlesen lassen. Vertiefen kann er dieses transzendentale Nachdenken womöglich, wenn er dabei Lutherkäppi, Lutherschal, Lutherhemd und Luthersocken trägt.
Nun haben die meisten Mitmenschen, auch die Mehrheit der heutigen Christenheit, andere Probleme als hiesige Wohlstandsbürger, sie müssen in den weltweiten Armuts- und Elendszonen leben und vegetieren in ebenso grausamen Verhältnissen wie die Armen zu Luthers Zeiten.
Deshalb wäre es wohl angebracht, wenn an – sagen wir – 2 Stationen das Handy Luthertexte vorliest, die sich mit deren Problemen befassen. So könnte in Station 7 („Um mich herum“) aus der Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Horden der Bauern“ zitiert werden.
„… man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer das kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss…“ Das animiert zur Meditation darüber, dass damals wie heute Entrechtung und Ausbeutung bis aufs Blut Gewalt und Terrorismus provoziert. Für die Station 5 („Hinter mir“) böte sich an, eine antisemitische „Hassmail “ Luthers zu verlesen,in welcher er aufruft, die“ jüdischen „Bluthunde“ zu erschlagen, ihre Schulen und Synagogen zu verbrennen, ihre Häuser zu zerstören usw. Dann könnte der Pilger darüber nachsinnen, ob solcherart Hetzschriften irgendwie mit dem Holocaust zu tun haben könnten.
Auf diese Weise könnte der oberbergische Pilgerweg zur Volksbildung beitragen, zumal ja die Anwesenheit vom Dechanten (Achtung: Ökumene!) und der weltlichen Obrigkeit in Person von Landrat und Bürgermeister (beide von der christlichen Partei) bereits dessen große gesellschaftspolitische Bedeutung unter Beweis stellt.
Zu diesem Leserbrief wurden zwei Reaktionen von evangelischen Christen veröffentlicht. Klaus Dripke aus Nümbrecht schreibt:
„Einen interessanten Leserbrief hat Herr Gothe zum Artikel „Psalmen in der Wanderpause“ geschrieben, der über den neu eröffneten Oberbergischen Lutherweg in Lieberhausen berichtet. Herr Gothe spottet ätzend über den Marketing-Rummel und läßt sich vor allem über den miesen Charakter von Luther aus….“
Nachdenklicher äußert sich Hanns Hermann Mertens aus Bielstein:
„Für einen gläubigen Christen wie mich ist solch ein Leserbrief […] geradezu schmerzhaft. Aber könnte er nicht einer „bitteren Medizin“ vergleichbar sein? Könnte solches Nachdenken nicht geradezu heilsam sein? Denn die kritisierten unchristlichen, unmenschlichen Entgleisungen sind in Luthers Werken tatsächlich zu finden und dürfen nicht vertuscht werden.“