Endlich sollen also in Oberberg die Krankenmorde und Zwangssterilisierungen historisch aufgearbeitet werden, allerdings mindestens 70 Jahre zu spät. Die überlebenden Opfer sind jetzt ja vermutlich fast alle verstorben und können als Zeitzeugen nicht mehr befragt werden. Auch Täter können deshalb nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Es wurden nämlich nicht nur Oberberger ermordet, sondern es haben auch Oberberger mit gemordet.
Dieser Vorwurf trifft nach den Feststellungen des renommierten Historikers Ernst Klee vor allem die evangelische Kirche und die Diakonie, die Trägerin des erwähnten Heimes in Waldbröl-Segenborn. In seinem Buch „Euthanasie im NS-Staat“ (Frankfurt 1985) ist zu lesen, dass in der berüchtigten psychiatrischen Vernichtungsanstalt Meseritz-Obrawalde (heute Polen) auch Transporte aus Waldbröl angekommen sind. Die Krankenmorde an Oberbergerinnen in Hadamar müssen Ausnahmen gewesen sein, denn in der Regel wurden diese in weit entfernten Anstalten durchgeführt, um Angehörigen Nachforschungen zu erschweren.
Nach Klee waren Diakone und ihre Führung überwiegend glühende Nazis, viele waren SA-Mitglieder, die Diakonie müsse die „SA Jesu Christi und die SS der Kirche“ sein, so der Central-Ausschusss. Mit Hitlergruss, Sieg-Heil-Gebrüll und Absingen des Horst-Wessel-Lieds wurde der Diakonentag 1933 in Hamburg begangen. Mit der Nazi-Eugenik weitestgehend einverstanden, bezeichneten sie ihre Schutzbefohlenen selbst als „minderwertig“ und „Ballastexistenzen“, führten Zwangssterilisierungen durch und leisteten keinen nennenswerten Widerstand gegen die Tötung ihrer Schutzbefohlenen.
In ihrem unerträglich verharmlosenden Buch „Mein Vater Robert Ley“ beschreibt die Tochter Renate Wald seinen Besuch in dem Heim, dessen Gebäude er für ein KdF Hotel beanspruchte.-Widerstand gegen die Räumung habe es nur vom Provinzialausschuss, dem Vorgänger des heutigen LVR, gegeben.
Seit meiner Kindheit kannte ich eine kluge und warmherzige Frau aus dem Othetal, die wegen Defiziten beim Schreiben und Rechnen zwangssterilisiert worden war. Die lagen nicht an ihrem IQ, sondern an der Armut ihrer Familie. Wegen der Krankheit der Mutter oder mangels Winterschuhen konnte sie immer wieder wochenlang die 3 km entfernte Schule nicht besuchen.
Als sie in den 50ern, verheiratet mit einem Facharbeiter, ein neu gebautes Eigenheim bezogen hatte, beantragte sie eine Adoption beim Jugendamt. Die wurde abgelehnt. Ein Grund dafür kann nur in den (angeblich vernichteten) Akten des Gummersbacher Erbgesundheitsgerichts zu finden sein.
Welch ein Segen wäre aber die Adoption z. B. für zwei Jungen aus dem 2 km entfernten Josefsheim gewesen, wo sie vergewaltigt und brutalsten Strafen unterzogen wurden, ohne dass je das Jugendamt oder eine andere Behörde einschritt!