Leserbrief zu den Artikeln zum Schusswaffeneinsatz der Polizei gegen einen aggressiven Ladendieb

Was die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens der Polizei angeht, habe ich große Zweifel, ohne die genauen Abläufe zu kennen. Ich gehe davon aus, dass es bei dem Einsatz nur darum ging, die Personalien eines Ladendiebes festzustellen, damit ein entsprechendes Strafverfahren wegen des Diebstahls von Bierdosen und vielleicht noch weiterer Delikte wie Beleidigung eingeleitet werden kann. Da dieser sich verweigerte und immer erregter und aggressiver reagierte, hätte die Polizei auch deeskalieren und den anscheinend unter Drogen oder Alkohol stehenden Mann zunächst einmal laufen lassen können. Mit Hilfe von Fotos wäre es sicher auch später leicht möglich gewesen, dessen Identität festzustellen. Daher erscheint mir der massive Einsatz und gar die für unbeteiligte Menschen lebensgefährliche Schießerei in der Einkaufszone natürlich völlig unverhältnismäßig zu sein.

Was mich aber wirklich auf die Palme bringt, ist eine andere Unverhältnismäßigkeit: Nämlich die Ungleichbehandlung unterschiedlicher Gruppen von Dieben.

Da gibt es doch hierzulande Diebesbanden, die mit sehr hoher krimineller Energie Gelder in Milliardenhöhe stehlen und zwar nicht von Kaufhauskonzernen, sondern vom Staat, also von uns allen. Sie bilden Parallelgesellschaften und schotten sich in der Regel in Villenvierteln ab, sogenannten „Gatet Communities“. Wenn überhaupt, werden sie nur sehr lasch von Polizei und Justiz verfolgt, schon gar nicht mit Einsatz von Schusswaffen wie beim Gummersbacher Bierdosendieb. Im Gegenteil: Sie pflegen beste Kontakte zu den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Ein überführter Hamburger Millionendieb, ein Bankster aus der sogenannten Cum-Ex- Bande namens Olearius, durfte seine Beute nach Gesprächen mit dem Bürgermeister sogar behalten, mehr als 40 Millionen Euro! Da könnten sämtliche Ladendiebe Deutschlands jahrelang täglich so viele Bierdosen klauen wie sie wegtragen können, sie brächten es gemeinsam nicht annähernd auf eine solche Schadenssumme. Aber tausende von ihnen sitzen im Knast.

Diese Unverhältnismäßigkeit ist für mich deshalb so unerträglich, weil sie nicht nur krass ungerecht ist, sondern durch die extreme Ungleichbehandlung die Grundfesten des Rechtsstaats ruiniert. Das findet auch eine Kölner Oberstaatsanwältin, die über Jahre versuchte, u.a. auch den Hamburger Bankster hinter Gitter zu bringen. Vergeblich! Jetzt hat sie aufgegeben und gekündigt weil sie es nicht länger ertragen könne, dass man „die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt.“

Welch eine Katastrophe, da wir doch wegen der dramatischen Folgen der Klimakrise und den mit ihr verbundenen sozialen Verwerfungen auf einen funktionierenden Rechtsstaat mehr als je zuvor angewiesen sein werden!