Oberbergischer Bote, 5. Dezember 1941

In den den Auseinandersetzungen mit dem Kreistag des OBK um die bislang unterlassene objektive Aufarbeitung des NS sollen diese beiden Todesanzeigen dazu dienen, den Blick auf dessen geistige Verseuchung und das konkrete Leid seiner Opfer zu richten.

Die Todesanzeige für meinen „gefallenen“ Onkel Alois zeigt in einem für uns Heutige bestürzenden Ausmaß, wie tief die ideologische Verblendung durch den NS in der Bevölkerung verankert war. Der „junge Held“ ist im rassistischen Vernichtungskrieg der Nazis bei Leningrad verwundet worden und auf irgendeinem Verbandsplatz elendiglich krepiert. Sein „deutscher Freiheitskampf gegen den Bolschewismus“ war die Belagerung und Aushungerung von Leningrad mit Millionen Toten unter der russischen Zivilbevölkerung, eines der größten Kriegsverbrechen. Die „Ahnen“, die als „ Helden des großen Krieges 1914/18 vorangingen in die Ewigkeit “, waren sein Onkel und sein Vater Adam, der 1916 im Schützengraben von einer Granate zerfetzt wurde. Meine Oma Anna wurde im Alter von 26 Jahren Witwe mit drei kleinen Kindern, die sie in extremer Armut mit Minirente, Heimarbeit, Kartoffelacker und Milchziege großziehen musste. Nach Alois „fiel“ dann auch der zweite Sohn Alfons und nur mein Vater Adelbert überlebte, allerdings schwer traumatisiert. Der entsetzliche Zynismus, der uns aus dieser nazistischen Verherrlichung des Vernichtungskriegs entgegentritt, wird bis heute ebenso weitgehend beschwiegen wie die Schuld der Täter auf den höheren Rängen. Ganz sicher wirken deshalb die massiven seelischen Deformierungen bis in unsere Gegenwart, weshalb „der Schoß“ noch immer so erschreckend „fruchtbar“ ist, „aus dem das kroch“. Um dem vorzubeugen ist die Aufarbeitung dringend nötig, es geht eben nicht darum, ein paar alte Nazis zu jagen.

Einigen mag diese Todesanzeige vielleicht auch verständlich machen, warum ich in den Augen vieler kultivierter und seriöser Mitmenschen bei diesem Thema so undiplomatisch und „übertrieben“ radikal und unerbittlich vorgehe.

Die zweite Todesanzeige hat mir ein Bekannter geschickt, weil er weiß, dass ich mit dem SSK seit Jahrzehnten die Menschenrechtsverletzungen in Psychiatrien und Erziehungsheimen bekämpfe, auch eine rassistische Hinterlassenschaft des NS. Diese berührende Anzeige soll auf eine andere Lücke in Oberbergs Aufarbeitung hinweisen, die Krankenmorde und Zwangssterilisierungen. Die hunderte oder tausende oberbergische Opfer, deren Leid und das ihrer Familien, hätten ein eigenes Forschungsprojekt verdient, welches mit der Auswertung der Akten des „Erbgesundheitsgerichts“ beim Gummersbacher Amtsgericht beginnen müsste. Die Tötungsanstalt Hadamar war die Oberberg nächstgelegene. Bei Ernst Klee kann man lesen, dass dort das Personal beim zehntausendsten Vergasten mit Bierausgabe diesen Erfolg feierte, während die Leiche des Opfers – ein Mann mit Wasserkopf – noch im Nebenraum auf der Trage lag, bereit zum Abtransport in den Verbrennungsofen.