Betreff:     NS-Aufarbeitungs – Verweigerung
Datum:     Tue, 2 Nov 2021 15:37:00 +0100
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     Kreistag Oberbergischer Kreis OBK <mail@obk.de>

Sehr geehrter Herr Landrat Jochen Hagt !

Ich bedanke mich für Ihr aufschlussreiches Schreiben vom 15. 10., aus dem ich viel gelernt habe:

Sie haben sich als Meister der Machtpolitik erwiesen, indem Sie ein offensichtlich unerwünschtes Abstimmungergebnis des Kreisausschusses gekonnt verhindert haben. Denn bei der Juni- Sitzung sah es nach den Wortmeldungen der einzelnen Fraktionen für alle Anwesenden so aus, dass mein Antrag bei der Abstimmung eine große Zustimmung fände.Der Antrag war ja auch nichts Besonderes, hunderte Behörden, Wirtschaftunternehmen  und Kommunen haben ja inzwischen ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten lassen, auch solche, die es weniger nötig haben als der OBK.

Alle haben natürlich dem wissenschaftlichen Standard entsprechend unabhängige Historiker damit beauftragt. Mir bekannte Ausnahmen sind nur der Landschaftsverband Rheinland und der Oberbergische Kreis; Der LVR ließ zur Ehrung seines Gründungsdirektors Klausa von seinem Archivleiter Werner eine Biografie verfassen, die hinsichtlich von Klausas schwerer NS Belastung derart peinliche Lücken aufwies, dass sie später aus dem  Internet entfernt werden musste. Der Kreis beauftragte ebenfalls seinen abhängig beschäftigten Archivar Pomykaj mit der NS Aufarbeitung: Mit ähnlich lückenhaftem Ergebnis, vor allem was die NS Belastung des „Gründungs-OKD“ und Klausa-Kameraden Goldenbogen betrifft.

Es lag daher nahe, dem Beispiel des LVR zu folgen und nunmehr ebenfalls unabhängige Historiker zu beauftragen. Doch Sie brachen den Tagesordnungspunkt ohne jeden erkennbaren sachlichen Grund ab und verschoben die Abstimmung auf die nächste Sitzung, in der mir der Zutritt ( formal zu Recht) verwehrt wurde. Herr Pomykaj durfte offenbar des Langen und Breiten seine Ehre als Wissenschaftler gegen den Bauern Gothe verteidigen, ohne aber endlich  mal zu erklären, warum er z.B, die Mitgliedschaft von Goldenbogen in der SA und anderen NS Organisationen nicht herausgefunden oder verschwiegen hat. Man darf wohl auch davon ausgehen, dass Sie die Zwischenzeit für politische Einflussnahmen mit dem Ziel genutzt haben, eine unabhängige, objektive  Aufarbeitung weiterhin zu verhindern. Wie Sie das Umschwenken des Ausschusses hingekriegt haben, wäre sicherlich ein lohnendes Material für Studien über politische Kultur in einem Uni-Oberseminar.

Tatsächlich hat der Ausschuss dann ja meine Anregung abgelehnt und dafür eine „Begründung“ angegeben, welche unter Historikern vermutlich Reaktionen von Ratlosigkeit bis zu Kopfschütteln und  höhnischem Gelächter auslösen dürfte: Es soll nun die offenbar geschichts-wissenschaftlich hochkompetente Verwaltung gebeten werden, ein „Themenfeld vorzubereiten“ ( Häh?!?), um dann mit den wohl ebenfalls kompetenten Fraktionsvorsitzenden „abzustimmen“, in „welcher Form“ man sich dem „Thema“ „widmen“ wolle.

Der Untersuchungsgegenstand ist natürlich kein „Themenfeld“, sondern ganz einfach und klar umrissen die NS Belastung in Kreistag und Verwaltung  vor und nach der angeblichen“Stunde Null“. Für eine solche Forschung gelten wissenschaftlich festgelegte Regeln, über deren “ Form“ nicht- auch nicht von Fraktionsvorsitzenden- von Fall zu Fall “ abgestimmt“  werden kann. Jeder unabhängige Historiker würde sich dererlei Vorgaben verbitten.

Da der Ausschuss beschlossen hat, dass eine Forschung durch unabhängige Historiker „aufgrund der erfolgten Publikationen nicht zielführend“ sei, kann das Ziel nach aller Logik doch nur sein, die bestehenden erheblichen Lücken dieser ( Pomykaj-) Publikationen eben nicht zu schließen und personelle und ideologische Nazikontinuitäten im Nachkriegs-Oberberg weiterhin unter dem Teppich zu halten.

Das unsägliche „Begründungs“geschwurbel  dient offensichtlich dem Zweck, von dem  in meinen Augen unverzeihlichen Versagen gegenüber der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aufklärung  einer mörderischen Vergangenheit und ihrer Auswirkung bis in die Gegenwart abzulenken.

Was die Behandlung meiner früheren Anregungen betrifft, haben Sie in Ihrem Antwortschreiben erneut ein typisches obrigkeits-staatliches Vorgehen an den Tag gelegt:  Obwohl Ihre Verwaltung erwiesenermaßen gegen meine  berechtigte Kritik an dem Prestige-Schafsprojekt  mit einem falschen Gutachten vorging, hatte das keinerlei Konsequenzen und Sie gehen auch jetzt wieder über das in zweiter Instanz bestätigte Urteil hinweg, indem Sie zu meinen diesbezüglichen Ausführungen wider besseres Wissen von oben herab einfach behaupten, sie entbehrten „jeglicher Grundlage“. Sie halten also weiterhin das Gutachten für richtig und stellen  sich insofern über unsere Rechtsordnung, in der ein rechtkräftiges Urteil von jedermann zu respektieren ist.

Ähnlich gehen Sie mit dem  eklatanten Versagen der angeblich unabhängigen Beschwerdestelle beim Klinikum Oberberg um, in dessen Aufsichtsgremien ja nicht umsonst Vertreter des Kreistages sitzen. Statt diese mit dem Skandal zu beschäftigen, dass die Beschwerdestelle monatelang einen hilflosen alten Herrn im Stich ließ, der rechtswidrig in der geschlossenen Psychiatrie eingesperrt war, reichen Sie meine an den Kreistag gerichtete Anregung an den Geschäftsführer der Klinik (!) weiter. Doch der ist ja gerade derjenige, der den Missstand zu verantworten hat.Er selbst hat die Beschwerde (viel zu spät) bearbeitet und mit ausweislich der Krankenakte falschen Angaben abgewimmelt. Es gibt also faktisch keine „unabhängige“ Beschwerdestelle für Patienten. Da deren Sinn aber ist, die Rechte der Patienten gegen die Geschäftsleitung zu vertreten, ist es ein schwerwiegender Missstand, der unbedingt abgestellt werden muss; zumal in einem Land, in dem vor noch nicht einmal 80 Jahren solche wehrlosen Kranken als „Ballastexistenzen“  von staatlichen Institutionen systematisch ermordet wurden.

Da also der Kreisauschuss und Sie als Verwaltungschef eine wirkliche, objektive  Aufarbeitung der NS Vergangenheit nicht für erforderlich halten, sollten Sie auch offen bekennen, dass die NS Belastungen von Goldenbogen und anderen Nachkriegspolitikern für Sie und den Kreistag heutzutage keine sonderliche Relevanz mehr haben.

Aus diesem Grund schlage ich vor, dass der Kreis als führende Kraft im sogenannten  „Bündnis gegen Rechts“ dessen nächste Jahrestagung in der Kantine der Waldbröler Klinik abhält. Da die Einladungsadresse “ Dr.Goldenbogen Strasse“lauten würde, könnten Sie damit ein Zeichen setzen, dass zumindest in Oberberg endlich der von vielen geforderte „Schlussstrich“ unter die Nazizeit gezogen wird.

Abschließend möchte ich bemerken, dass sogar ich als einfacher Bauer durchaus die feine Ironie bemerkt habe, die in der Verwendung der altertümlichen Grussformel „Hochachtungsvoll“ zum Ausdruck kommt. Deshalb erlaube ich mir, noch ein wenig hochachtungsvoller zurückzugrüßen,

Ihr Lothar Gothe

P.S. Ich hatte übrigens nicht beabsichtigt, Ihnen eine Beunruhigung zu „suggerieren“, sondern wollte nur darauf hinweisen, dass es auch für Sie Gründe dafür geben könnte, beunruhigt zu sein: Wenn es schon nicht anwachsender Rechtsradikalismus oder die drastischen Erderwärmungsfolgen sind, dann doch vielleicht die zunehmende Abwendung vieler Mitbürger von den ( staatlichen) Institutionen, wie sie sich z.B. auch im Wahlergebnis Ihrer Partei so deutlich gezeigt hat.