Eine Mail an „Oberberg ist bunt“

Betreff:     Eure Rundmail
Datum:     Fri, 8 Oct 2021 22:10:01 +0200
Von:     Lothar Gothe <logo@westhost.de>
An:     oberberg-ist-bunt <info@oberberg-ist-bunt.org>

Liebe bunte Oberberger,

weil in Waldbröl die Rechtsextremen gegen den Trend bei der Wahl zugelegt haben, stellt ihr die Frage, was dort los ist und wie man solchen Tendenzen entgegen wirken kann. Ihr wißt aber doch schon, dass das „Leyland“ Nümbrecht/Waldbröl eine Nazihochburg war und dass es bis heute keine ehrliche und umfassende Aufarbeitung der ideologischen und personellen Kontinuität nach 45 gegeben hat: stattdessen Verschweigen, Vertuschen, Verharmlosen, Ablenken; mit der zwangsläufigen Folge, dass der braune Ungeist unter der Oberfläche der Öffentlichkeit fort und fort wirkt. Das wurde an der  Peinlichkeit der Straßenumbenennungen in Nümbrecht deutlich, wo  noch 75 Jahre nach dem Krieg  zwei schwer belastete  Nazis geehrt wurden.

Ihr wisst auch, dass In Waldbröl  immer noch eine Strasse nach „Dr. Goldenbogen“ benannt ist , einem ehemaligen Mitglied nicht nur der NSDAP, sondern auch der SA und dem NS Rechtswahrerbund. Weil er von 46 bis in die 70er als überaus geehrter Oberkreisdirektor (sehr autoritär) die oberbergische ( und im LVR die rheinische) Politik bestimmt hat, ist seine NS-Vergangenheit bis heute ein Tabu. Natürlich ist es überaus peinlich, dass diese übermächtige Figur der Nachkriegszeit 1947 nur deshalb im öffentlichen Dienst bleiben konnte, weil er sich durch die Entnazifizierung gelogen hat.

Das rechtfertigt aber nicht, diese NS-Belastung bis heute zu verschweigen. Der ehemalige Kreishistoriker ist der Öffentlichkeit immer noch eine Erklärung dafür schuldig, warum er die SA- Mitgliedschaft Goldenbogens nicht erwähnt hat.  Ich kann nicht beurteilen, ob er dieses bedeutende Faktum nicht herausgefunden ( es reicht eine Anfrage beim Bundesarchiv)  oder es verschwiegen hat.  Wenn ich vor allem deshalb seine NS-Forschung als „lückenhaft“ bezeichne, so ist das eine sachlich berechtigte, eher zurückhaltende  Kritik und keineswegs eine „Ehrabschneidung“.

Hat „Oberberg ist bunt, nicht braun“ eigentlich auch eine Meinung dazu ?  Meint ihr, die Waldbröler Straße sollte weiter den Namen dieses Altnazis tragen? Manchmal habe ich den Eindruck, als konzentriere sich euer verdienstvoller Kampf gegen den Rechtsradikalismus auf das Symptom AfD, mache aber einen Bogen um die tiefer liegenden Ursachen.  Wer die offen angeht, kommt um Konflikte mit gesellschaftlichen Mächten wie z.B. der evangelischen Kirche oder Parteien wie CDU und FDP nicht herum, die ja nach wie vor bestrebt sind, ihre “ Nachkriegskontinuitäten“ zum NS im Dunkeln zu halten. Kann es sein, dass ihr diese Konflikte mit solchen Partnern im Bündnis gegen Rechts scheut ?

Noch ein Vorschlag für eine Veranstaltung zu  “ Was ist eigentlich Antisemitismus ?“:

Es soll nur der Text von Luthers Schrift “ Über die Juden und ihre Lügen“ laut und deutlich vorgelesen werden. Jeder versteht dann ohne jede professorale Anleitung, wie Antisemitismus funktioniert:  Erst werden die Juden durch wüste Beschimpfungen entmenschlicht und  z. B-. als “ blutrünstige Hunde“ betitelt, als minderwertige „Rasse“ verächtlich gemacht und ausgegrenzt, dann mit Hilfe von Verschwörungsfantasien als so gefährlich hingestellt, dass schließlich offene Gewaltanwendung bis hin zu Mord und Totschlag gerechtfertigt erscheint. Alles zu lesen bei Dr. Martin Luther, dessen antisemitische Hetzschrift jahrhundertelang die Seelen vergiftete und die noch Jahrzehnte nach 45 mit dessen gesammelten Schriften verbreitet wurde. Auch ein Tabu, welches eine echte Aufarbeitung verhindert.

Solidarische Grüsse,

Lothar