Ein Brief an den Bürgermeister – und die etwas überraschende Antwort

Lothar Gothe
Eckenhagenerstr. 33
51702 Bergneustadt 14.12.2020

An den Bürgermeister,
Herrn Thul
Rathaus
51702 Bergneustadt

Vorschlag zur Flexibilisierung der Verwaltung

Hallo Herr Thul,

um auch mal der Verwaltung gegenüber positiv und produktiv in Erscheinung zu treten, erlaube ich mir, Ihnen einen Verbesserungsvorschlag zu unterbreiten. Dazu schildere ich meine heutigen Erlebnisse in Ihrem Rathaus.

Ich habe dort gegen 11.30 Uhr den ausgefüllten Vordruck zum Stand der Wasseruhr abgegeben und wollte zugleich meinen neuen Personalausweis abholen. Der läge, so ein Schreiben in der vorigen Woche, zur Abholung bereit.

Ihr Mitarbeiterin an der Pforte aber belehrte mich, das ginge nur nach vorheriger Terminverein-barung. Also bat ich erstaunt um einen entsprechenden Termin. Nach einem Telefonat schickte sie mich zu diesem Zweck um die Ecke in das Bürgerzentrum. Dort herrschte eine angenehme, ruhige und stressfreie Atmosphäre, ich war der einzige Besucher und kam sofort dran. Die Dame hinter der Coronascheibe gab meine Personalien in den Computer ein, der mich zunächst nicht erkennen wollte, wohl weil sie das h in meinem Nachnamen nicht eingetippt hatte. Ich fühlte mich meinem Ausweis physisch schon sehr nahe und überlegte, ob er wohl wohl in ihrem oder im Nachbar-schreibtisch läge. Das Namensproblem ließ sich aufklären und ich bekam einen Termin um 14.15 Uhr.

Um die Uhrzeit fuhr ich also erneut ins Stadtzentrum, erklärte an der Pforte, dass ich nun den Ausweis abholen wolle. Die Dame an der Pforte schaute im PC nach und sagte, es sei kein Termin für mich eingetragen. Ziemlich erschüttert wies ich sie darauf hin, dass sie selbst mich doch vor zwei Stunden wegen des Termins nach nebenan geschickt habe. Daraufhin beschäftigte sie sich erneut mit dem PC, wurde fündig und eröffnete mir mit strengem Blick: Der Termin sei um 14.50, nicht um 14.15 Uhr ! Offenbar sind die billigen Kleinrentner- Hörgeräte ie meines nicht Coronascheiben- und Masken kompatibel, mein Pech. Angesichts der Aussicht, zum dritten Mal von zu Hause in die Stadt zu fahren, im Rathaus abzuhängen oder auf dem unwirtlichen, kalten Rathausplatz über eine halbe Stunde herumstreunen zu müssen, wagte ich es nun, etwas aufzumucken. Ihre Mitarbeiterin ließ daraufhin Gnade vor Recht ergehen, ich durfte wieder nach nebenan, kam mangels anderer Besucher wieder sofort dran, gab den alten Ausweis ab, der wurde mir, etwas abgeschnippelt, zusammen mit dem neuen rausgereicht, noch eine Unterschrift zur Empfangsbestätigung und ich konnte von Dannen ziehen.

Dieser Vorgang dauerte keine Minute, während die Terminvereinbarung 4 bis 5 Minuten gedauert hat. Jetzt gehe ich davon aus, dass es in unserer Stadt hunderte oder gar tausende solcher leicht vertrottelter Rentner wie mich mit allerlei Gebrechen gibt und es daher häufig zu derartigen Situationen kommt. Deshalb mein Vorschlag:

Flexibel mit den Regeln umgehen, mal fünfe grade sein lassen und z.B. auch ohne Terminverein-barung solche einfachen Verwaltungsakte wie Herausgabe eines Ausweises zuzulassen. Angesichts der großen Zahl von Rentnern mit kognitiven Defiziten wie ich oder sonstwie begriffstutzigen Bürgern könnte nach meinen Berechnungen durch die Zeitersparnis eine halbe Stelle eingespart werden.

Zudem habe ich im Wahlkampf mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass wir beide Vorkämpfer für Klima- und Naturschutz sind. Deshalb werden Sie die Autofahrten sicher auch bedauern, die wie in diesem Fall durch Auflockerung der starren Verwaltungspraxis und einem flexiblen, der jeweiligen Situation angepaßten Vorgehen vermeidbar wären. Zumal ich zugeben muss, dass auch mein betagter Kleinwagen sich nur durch das Verbrennen fossiler Energieträger bewegen lässt, ich also noch nicht einmal mit einem Hybridfahrzeug Klimaschutz vortäuschen kann. Auf jeden Fall würde Bergneustadts CO 2 Bilanz verbessert, die ja es so dringend nötig hat.

Falls Sie jetzt vielleicht nicht wissen, wie Sie ein solch schwieriges und komplexes Problem wie Verhaltensänderung in Verwaltungen angehen könnten, stehe ich ihnen gerne mit meinem Rat zur Verfügung. Ich habe immerhin ein halbes Jahr in der Kölner Stadtverwaltung gearbeitet, die wohl zu den bundesweit größten Härtefällen an Beharrungsvermögen gezählt werden muss.

Mit hoffnungsfrohen Grüßen,
Lothar Gothe


Sehr geehrter Herr Gothe,

vielen Dank für Ihren Brief. Ich schätze diese Art der Kritik außerordentlich und habe es regelrecht genossen ihr zu lesen.

Ich möchte Ihnen hierzu gerne antworten:

Die Terminvereinbarung ist ein notwendiges Übel für den Publikumsverkehr im Rathaus. Wir vermeiden so Kontakte vor allem in Spitzenzeiten. Das System dazu funktioniert.

Nun kann in Verwaltung Vieles angeordnet werden um die Organisation zu verändern. Eines aber kann man schwerlich anordnen: Fingerspitzengefühl oder wie Sie es nennen: Fünfe gerade sein lassen.

Damit will ich natürlich nicht behaupten, dass es den Damen in unserem Service an Fingerspitzengefühl generell mangelt. Aber ich möchte die jungen Kolleginnen auch in Schutz nehmen. Die haben nun einen jungen Bürgermeister bekommen der dann auch noch etwas organisiert und veränderte Abläufe abverlangt, was leider notwendig ist, da wir zu meinem großen Bedauern sehr „coronagebeutelt“ sind. Sie müssen sich da noch einfinden und ein „Gefühl“ entwickeln.

Insofern bitte ich hier um Verständnis, verspreche aber zugleich an einer Flexibilität im Einzelfall zu arbeiten. Ihre doppelte Fahrt bedauere ich.

Ob wir beide nun Vorkämpfer im Bereich Klima- und Naturschutz sind kann ich gar nicht abschließend beurteilen. Meines Erachtens ist aber jedwedes Verwaltungshandeln der Nachhaltigkeit unterzuordnen, insofern nicht nur ökonomischen und sozialen , sondern auch ökologischen Aspekten. Das ist keine bloße Parole, sondern begleitet mich bereits seit dem Jahr 2007 und meiner Veröffentlichung hierzu:

Kaufen Sie es besser nicht, den Text könnte ich auch anderweitig zur Verfügung stellen. Es ist auch aufgrund der dort enthaltenen verwaltungsspezifischen Ausführung eher etwas für „Verwaltungsmenschen“.

Ich hoffe Sie bleiben gesund und so kritisch wie bisher.

Mit freundlichen Grüßen

*Matthias Thul*

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*Stadt Bergneustadt
Bürgermeister*

Rathaus – Zimmer 3.21
Kölner Straße 256
51702 Bergneustadt