In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 marschierte ein Trupp SS-Männer von Drabenderhöhe ins tiefbraune Nümbrecht und verwüstete dort den jüdischen Friedhof. Am nächsten Morgen führte der Volkschullehrer seine Schülern dorthin und diese schändeten unter seiner Anleitung die jüdischen Gräber, welche die SS übersehen hatte. Die Nümbrechter Synagoge brauchten sie nicht in Brand zu setzen, sie war zuvor schon abgerissen worden.
Dies berichtete mir der langjährige Vorsitzende der Oberbergischen Christlich Jüdischen Gesell-schaft, Wilfried Hahn, und erklärte, dieser Lehrer sei eigentlich ein anständiger Christ gewesen und habe seine Untat später sehr bereut.
Wie kann denn aber ein gläubiger Mensch moralisch so tief fallen? Wie auch die vielen tausend anderen Christen, die sich an den Ausschreitungen der „ Reichskristallnacht“ so eifrig und freudig beteiligten? Eine Erklärung findet man in der antisemitischen Hetzschrift „Wider die Juden und ihre Lügen“ von Doktor Martin Luther. SS und SA haben dieses Pamphlet als mörderisches „Drehbuch“ genommen und genau das umgesetzt, was Luther darin fordert: Die Synagogen verbrennen, die Häuser der Juden dem Erdboden gleichmachen, sie verjagen …. Und sie haben für diesen Auftakt der Judenvernichtung ein starkes Datum gewählt, den 10. (nicht 9.!)November, Luthers Geburtstag.
Der Thüringer Bischof Sasse und andere evangelische Würdenträger haben das Pogrom zu Ehren des „Deutschen Helden“ bejubelt, (Hitler vollendet, was Luther begonnen hat), waren doch die Deutschen Christen oder auch die Diakone (SA Jesu Christi) mit „Sieg Heil“- Gebrüll und Hakenkreuz im Logo glühende Nazis, eine Art christliche Abteilung der NSDAP.
Die Stiftung Topografie des Terrors hat diesen kirchlichen Abgrund in der erschütternden Ausstellung „Überall Luthers Worte“ vielfach dokumentiert. (Der Katalog sollte schulische Pflichtlektüre sein). Aber in der Öffentlichkeit wird diese ideologische Wurzel der Nazi-Judenverfolgung bis heute totgeschwiegen, der wütige Antisemit wurde sogar vor Jahresfrist wie ein Popstar gefeiert. Eine ehrliche Aufarbeitung gibt es also bis heute nicht und so wabert das über Jahrhunderte verbreitete Luthergift im gesellschaftlichen Untergrund weiter und droht schon wieder zu einem Samenkorn für Mord und Totschlag zu werden.
Mit soviel braunem Unrat unter dem kirchlichen Teppich geraten die oberflächlichen Gedenkrituale mit immer denselben allgemein gehaltenen, wohlfeilen Verurteilungen des Antisemitismus zu immer verantwortungsloserer Heuchelei. Daß Juden dabei mitmachen, ist mir unbegreiflich.