Leserbrief zum Artikel „Jetzt kümmern sich alle um das Klima“ vom 15.6.2019
Es ist schon peinlich, mit welch einem hilflosen Gehampel der Kreistag parteiübergreifend auf den Europawahl-Schock reagiert. Die bisherige Kohle/RWE Partei SPD verlangt nun plötzlich die Ausrufung des Klimanotstands, Grüne und Linke schließen sich freudig an. Durch solch wohlfeilen Verbalradikalismus wird natürlich nicht ein Kilogramm CO2 vermieden, das haben reihenweise gebrochene Klimaschutzzusagen und internationale Verpflichtungen in der Vergangenheit sattsam bewiesen. Die anderen Parteien von CDU bis FWO erkennen, man höre und staune, jetzt auch den von Menschen gemachten Klimawandel an. Ich bin zutiefst beeindruckt, auch wenn dieser Erkenntnisprozess etwas spät kommt: Die erste Klimakonferenz mit entsprechenden Warnungen vor den Folgen, die jetzt auch hier eintreten, war nämlich in Genf im Jahr 1979!
Damals wurde auch die grüne Partei gegründet, zentrale Forderungen waren Konsumverzicht und Abkehr von der Wachstumswirtschaft (Club of Rome: Grenzen des Wachstums, 1972). Wie läppisch klingen dagegen die gebetsmühlenartigen Forderungen der heutigen Partei der Besserverdienenden und Vielflieger (und des Vereins NOVE) nach rein technischen „Lösungen“ wie Nahwärmenetzen oder Fotovoltaikanlagen. Ist doch trotz tausender solcher Anlagen der CO2-Ausstoß nicht nur nicht gesunken, sondern gestiegen! Der anwachsende Konsum frisst offensichtlich deren positive Wirkungen immer wieder auf. An den Konsum will aber lieber keiner ran. Warum auch, denn CDU & Co haben ja ebenfalls einen tollen Lösungsvorschlag erarbeitet: Die OVAG möge doch bitte mal testweise einen Brennstoffzellenbus anschaffen. Da kommt aber Hoffnung auf, oder?
Im Unterschied zu derartig flachem Politpalaver diskutieren die streikenden Schüler über die Ursachen und die Folgen des Klimawandels auf sehr hohem Niveau. Viele von ihnen sehen den Zusammenhang mit kapitalistischer Wachstumsökonomie und Lebenstil und haben begriffen, dass nur eine radikale, grundsätzliche Änderung von beidem die Rettung bringen kann. Und dass das Klima keine Kompromisse kennt, weil es nämlich um ein physikalisches Problem geht und nicht um ein politisches.
Auch die OVZ- Redaktion hat die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt: Das beigefügte Foto soll eine „Oberbergische Idylle“ abbilden, es zeigt aber eine riesige Grünlandfläche in ausgeräumter Landschaft, die durch viermal jährliches Mähen und Güllen nicht nur klimaschädlich ist, sondern auch eine weitere Katastrophe befördert, das dramatische Artensterben. Insekten finden dort (außer Löwenzahn) keine Blühpflanzen mehr, Vögel keine Samen. Auch das geschuldet dem Siegeszug des technisch-industriellen Wachstumswahns in der Landwirtschaft.
Auf Grund meiner Erfahrungen als „Alt 68er“ vermute ich, dass sich die protestierenden Jugendlichen bei weiter vorherrschender Ignoranz der Mächtigen gegenüber dem Ernst der Lage radikalisieren werden. So entsteht die Gefahr, dass die Verzweiflung einen Teil von ihnen in den Ökoterrorismus treiben könnte. Wollen wir auch das noch riskieren?