Anmerkungen und Ergänzungen zur „Klausa-Studie“ von Kaminsky/Rot

Aus dem Bullauge eines Jets sieht auch eine schmutzige Kloake aus wie ein silbrig glänzender See.

In der bundesrepublikanischen Geschichte ist Udo Klausa als regionale Führungskraft eine Randfigur. Historische Bedeutung erlangt er aber als Prototyp der „Wiederaufbau-Generation“, der im Nationalsozialismus an hervorgehobenen Positionen tätig war: Weil Klausas Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegskarrieren außergewöhnlich gut durchleuchtet sind und weil seine innere Verfassung anhand seiner Memoiren und der Korrekturen durch die Studie von Prof. Fulbrook weitgehend offen liegt.

Die Studie von 600 Seiten leidet an einem Mangel, den auch die Studie „Verspätete Modernisierung“ über die Nachkriegsgeschichte der Heimerziehung aufweist: Die Lebensbedingungen der Heim- und Psychiatrieinsassen werden fast ausschließlich aus der Sicht ihrer Verwalter dargestellt, sozusagen nach Aktenlage: abgehoben und im Bürokraten-Slang abstrahiert. Die technokratische Gefühlskälte des obersten Verwalters Klausa gegenüber dem Schicksal seiner Schutzbefohlenen tritt deshalb in den Hintergrund. Den Lesern wird die Brille der Behörden aufgesetzt, welche die konkreten Lebensverhältnisse in den Anstalten in einen fernen Nebel rückt.

Diesen Mangel haben die Autoren selbst erkannt und eine entsprechende weitereForschung angeregt. Hoffen wir, dass der LVR dem nachkommt und die Opferperspektive nachholt.

Wären Zeitzeugenberichte von Opfern den „Denkschriften“ und Traktaten Klausas oder auch den Verwaltungskonferenzen und- korrespondenzen gegenüber gestellt worden, so wäre deutlich geworden, wie wenig all diese bürokratischen Aktivitäten die Patientenrealität erfaßt und jeweils an den realen menschenrechtswidrigen Verhältnissen geändert haben.

So bleibt die Frage offen, warum noch 30 Jahre nach dem Krieg und nach 20 Jahren Klausa Verhältnisse wie in Brauweiler oder dem Dürener Haus 5 bestehen konnten, trotz vielfacher Beschwerden von Insassen, Angehörigen oder auch von LVR-Personal. Deshalb will ich versuchen, dem weichzeichnenden Blick aus dem Landeshaus am feinen Kennedyufer auf die Heime und Psychiatrien den schärferen der Gegner und Kritiker hinzuzufügen;und an einigen Beispielen ergänzend zeigen, wie der LVR mit politischen Gegnern und Kritikern umging.

Rassistische Ignoranz

Je mehr LVR-Opfer der SSK aufgenommen und angehört hatte, umso stärker verfestigte sich der Eindruck, daß die Rechtsordnung und vor allem die Verfassung der Bundesrepublik in den Heimen und Psychiatrischen Anstalten keine oder nur eingeschränkte Geltung hatten. Menschenrechtsverletzungen waren nicht Ausnahmen, sondern die Regel, sie waren herrschende Normalität.

Die Anstalten (nicht nur die vom LVR) erschienen uns als exterritoriales Gebiet im Geltungsbereich des Grundgesetzes, in welchem „Minderwertige“ ganz im Sinne des rassistischen NS-Menschenbilds recht- und würdelos gestellt waren.

Entsprechende Vorwürfe wurden aber von den Führungskräften in Verwaltung und Politik empört zurückgewiesen und als ideologische Verblendung und linksradikale Propaganda hingestellt. Folgerichtig ließ man uns vom Verfassungsschutz beobachten Ein Zivi hatte uns die heimlich gefertigte Kopie eines Besprechungs-protokolls zur Eröffnung einer Klinik in Bad Honnef geschickt; danach machte ein LVR-Vertreter den Vorschlag, das zukünftige Personal auf Verbindungen zum SSK vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.

Jetzt können wir (S.279) die entlarvende Feststellung lesen, daß man sich „einigte, eine Grundordnung für die Erziehungsheime zu schaffen, welche die im Grundgesetz verankerten Grundrechte der Jugendlichen wahren sollte.“ Das war nicht etwa 1948, auch nicht 1954. Nein, daß das Grundgesetz auch für Heimjugendliche gilt, die Erkenntnis kam 1974, und zwar erst nach heftigen öffentlichen Protesten. Und diese Ungeheuerlichkeit soll Klausa und den vielen anderen LVR-Juristen all die Jahre nicht aufgefallen sein?

Die Opferperspektive findet der Studie nur an einer einzigen Stelle einen konkreten Ausdruck, der einen Blick auf das herrschende Anstaltselend erlaubt. Es sind Zitate aus dem Bericht eines erschütterten Mitarbeiters des Gesundheitsamts Düsseldorf, der wegen der skandalösen Zustände in Stationen des LKH Grafenberg mit drastischen Worten deren sofortige Schließung verlangte.

Es sei eine „Massenverwahranstalt“, die Kranken dämmerten dahin, wie lebende Leichen… Stühle seien fingerdick mit altem Schmutz bedeckt,.. die Patienten hätten nur ein Nachthemd auf dem Körper, keine Handtücher,, keine Seife, keine Spiegel und nur eine Dusche auf der ganzen Station… Der medizinische Direktor des Gesundheitsamts, Lottner, nannte diese Stationen Archipel Gulag. Solche Slum-Stationen gebe es in allen Landeskrankenhäusern…

Bezeichnend ist Klausas Reaktion: Er geht erst einmal gegen den „Arzt ohne jede Verantwortung“ vor (S.253)

Das war 1974! Entweder haben Klausa und seine leitenden Mitarbeiter 20 Jahre lang nie eine solche „Slum-Station“ betreten und keinerlei Berichte und Beschwerden gelesen oder sie haben eben diese grausamen Zustände als akzeptabel hingenommen. Die in beiden Fällen zu Tage tretende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der Schutzbefohlenen scheint doch die beherrschende Konstante in Klausas techno-kratischer Verwaltungsführung zu sein: Sie zeigt sich sowohl gegenüber „ seinem“ Ghetto von Bendzin als auch den „Gulags“ in „seinen“ Landeskrankenhäusern und Erziehungsheimen.

Da er sich im persönlichen Bereich oder bei engen Mitarbeitern durchaus mitfühlend und hilfsbereit zeigen konnte, war er ja keineswegs Empathie unfähig. Das unübersehbare Elend seiner Schutzbefohlenen prallte aber offenbar an ihm wie auch an den maßgeblichen Mitarbeitern ab, jahrzehntelang! Gibt es für solche emotionale Spaltung eine andere Erklärung als ein nach wie vor – zumindest unterschwellig – herrschendes Menschenbild, in welchem „Entartete“ eben nicht dasselbe Lebensrecht und schon gar nicht dieselbe Würde besitzen wie der „Normale“ mit den „guten Strömen des Bluts“ (Klausa 1936)?

Es geht zwar hier nicht mehr um Arier und Juden, sondern um die bürgerliche Klasse und eine minderwertige Unterschicht behinderter und sozial ausgegrenzter Menschen. Auch dem liegt ein verborgenes rassistisches Muster zugrunde, welches jederzeit auch wieder in offenen Rassismus und Antisemitismus münden kann. So wie wir es heute ja rundum in bestürzendem Ausmaß erleben müssen.

Klausa-Verehrung und Führerprinzip

Der Personenkult um Klausa hat sich im Laufe der Jahre derartig gesteigert, daß er schließlich an den in den sozialistischen Länder erinnerte. Es liegt nahe, angesichts Klausas und anderer LVR-Granden Vergangenheit zu vermuten, daß hier sowohl bei ihm selbst als auch bei seinen Paladinen und Verehrern insgeheim noch das im NS-Staat durchgängige Führerprinzip wirksam war.

Zwar erwähnt die Studie zum Schluß die „Stilisierung“ Klausas zum „Letzten Preußen am Rhein“, doch damit wird sie dem auch nach der Pensionierung fortgesetzten, unterwürfigen Klausa-Kult nicht gerecht. Es ist daher wohl ein weiteres Versäumnis der Studie, dieses auffällige Phänomen nicht näher untersucht zu haben, weil es doch als Gegenpol zur Rechtslosigkeit der Anstaltsinsassen ein Fortwirken des Nazigeists belegen könnte.

Als Beispiel für die bis ins Peinliche und Geschmacklose betriebene Lobhudelei soll auch hier ein Zitat aus dem Artikel des Kulturdezernenten Hartung zu Klausas Abschied dienen:

,Wenn Klausa auf Veranstaltungen erschien, hochgereckt und formvollendet, war das in der Regel so, wie wenn sich ein Rassepferd in eine Herde Ackergäule verirrt hätte…. Der allround gebildete Mann, in seinem ganzen Zuschnitt ein Herr, war frei von Überheblichkeiten…“ usw.

Es ist kaum vorstellbar, daß noch Mitte der 70er irgendein anderer Behördenchef mit solch devoten Lobeshymnen mit eindeutig rassistischem Unterton gewürdigt worden wäre. Andererseits hätte diese Eloge vor 1945 auch ohne größere Veränderungen zur Verabschiedung eines SS- oder SA-Führers getaugt.

Ebenfalls ist es zumindest äußerst ungewöhnlich, das ein Behördenarchiv die Ergebnisse der Ahnenforschung ihres Direktors aufbewahrt und hütet, weil diese ja keinerlei Bedeutung für die Behörde LVR besitzt. Eben deshalb finden sich vermutlich weder Forschungsergebnisse zu den Vorfahren von Frau Lubek oder der anderen Direktoren im LVR-Archiv.

Dieses Nachkriegs-Hobby Klausas war im Nazistaat eine Pflichtübung zum Nachweis der rassisch einwandfreien Abstammung. Diese scheint Klausa weiterhin für so bedeutend gehalten zu haben, daß er glaubte, sein „Ariernachweis“ sei von allgemeinem Interesse und gehöre daher ins LVR- Archiv. Warum aber glaubt das auch der LVR ?

Die Studie erwähnt nur am Rande die Feierlichkeiten zu seinen runden Geburtstagen und insbesondere die unsägliche posthume Würdigung Klausas zu seinem 100sten Geburtstag 2010 (!): Eine Ausstellung zu seinen Ehren im Landeshaus unter der von ihm einst selbst gewählten Titulierung „Dirigent eines großen Orchesters“. Natürlich mit den üblichen, völlig kritiklosen, peinlich ergebenen Würdigungen allerseits. Keiner in der Verwaltung, keiner in den Fraktionen störte sich an diesem doch in einer Demokratie sehr befremdlichen Vorgang.

Offenbar hat auch in all den Jahren niemand für nötig befunden, nach den überragenden Verdiensten Klausas zu fragen, welche diese übermäßigen Ehrungen rechtfertigen könnten. Es gibt Menschen, die Außergewöhnliches leisten, indem sie Visionen entwickeln und geistige Vorreiter für Reformen werden, die deshalb für ihren Mut und ihre Weitsicht zu Recht geehrt werden.

Aber Klausa? Intellektuell und sprachlich kommt er doch ziemlich bescheiden daher. Seine hochtrabenden Versuche, sich in Denkschriften und Traktaten an der nationalen und internationalen Politik zu versuchen, sind ja eher kümmerlich geraten und geben im Wesentlichen den jeweils herrschenden konservativen bezw. antikommunistischen Mainstream wieder: kein eigener, origineller Gedanke.

Andere werden geehrt, weil sie persönlich außergewöhnlich hohen humanitären Einsatz für notleidende oder bedrohte Mitmenschen zeigten und mutig gegen Widerstände angegangen sind. Nichts davon bei Klausa, stattdessen kalte Ignoranz sogar gegenüber dem Elend seiner eigenen Schutzbefohlenen.

Was bleibt, ist sein auf Effektivität ausgerichtetes Verwaltungshandeln. Ist es aber solch übermäßiger Ehrungen wert, Verwaltungsabläufe zu optimieren, Stempelkarten einzuführen und dann und wann neue Bürotechnik einzukaufen, so wie es tausende Behörden- und Firmenchefs andauernd tun?

Die Effizienzfixierung hat bei ihm zudem für die Demokratie bedenkliche Ausmaße angenommen: Sieht er doch sogar in der schwächlichen parlamentarischen Kontrolle des LVR ein lästiges Hindernis für eine „gute“, also effektive Verwaltung. Und in seiner Vorstellung von deren Überparteilichkeit und Einheitlichkeit versteckt sich auch ein Machtanspruch, der eher in autoritären als in parlamentarischen Systemen zu finden ist. Sein Steckenpferd „Verwaltungsplanspiel“ läuft ja letztlich darauf hinaus, daß die Legislative sich ihre Gesetze vorab von der Exekutive absegnen lassen soll.

Wie sein persönliches Beispiel zeigt, kann diese eigen-mächtige, angeblich (partei) politisch neutrale Verwaltung jedem Herren dienen, sie kann Arbeitslosigkeit, Krankenhäuser, oder olympische Spiele managen, aber auch Deportationen, Ghettos oder Massenmord. Und zwar dann am besten, wenn nicht ein Team, ein Kollegium, ein Kollektiv oder auch ein Parlament das Sagen hat, sondern ein „Dirigent eines großen Orchesters“

Solche Ehrungen wirken auf viele in meiner Generation in zweierlei Hinsicht geradezu obszön: Einmal im Hinblick auf das menschliche Elend in den LVR Heimen und Psychiatrien und vor allem im Hinblick auf die Beteiligung der Geehrten an den nationalsozialistischen Verbrechen. Auch daran wird deutlich, daß sich unter der Decke des demokratischen Rechtsstaats autoritäre obrigkeitsstaatliche Strukturen erhalten haben und fortbestehen.

Preußen

Wie viele andere Führungskräfte im Nachkriegsdeutschland stellt sich auch Klausa in eine angeblich preußische Tradition und nimmt damit „preußische Werte“ für sich in Anspruch: Soldatische Ehre und Disziplin, Anstand, charakterliche „Sauberkeit“, Treue, Pflichterfüllung. Bis zum Überdruss strapaziert er diese „Sekundärtugenden“ (Lafontaine) und erzeugt so den Eindruck, sein und seiner Kollegen Preußentum sei unbeschadet und unbeschmutzt über die Nazizeit bewahrt worden.

Es sei hier dahingestellt, ob das ursprüngliche Preußen tatsächlich von dem edlenCharakter war, den seine Epigonen ihm und damit natürlich sich selbst zuschreiben. Tatsächlich war ihr Verhalten während des Krieges und danach alles andere als sauber, ehrenhaft und anständig. So kann die jeweilige Beteiligung an Holocaust und Vernichtungskrieg eben so wenig mit den preußischen Tugenden in Einklang gebracht werden wie das Verhalten nach dem Krieg. Klausa ist desertiert, hat sich mit Hilfe seiner Oberschichtprivilegien vor der Kriegsgefangenschaft gedrückt, hat sich dann durch die Entnazifizierung gepfuscht und seine jeweiligen Verantwortlichkeiten wie ein ertappter Grundschüler zeitlebens abgestritten oder verharmlost. Also sich nach seinen eigenen Wertmaßstäben als „unanständig“, „unehrlich“, „feige“ und „charakterlos“ erwiesen.

Diese ethisch „doppelte Buchführung“ von Schein und Sein ist nach meiner Erfahrung ein beherrschendes Kennzeichen der bundesrepublikanischen akademischen Oberschicht der 50er und 60er. Ein Teil meiner Generation erkannte nach und nach, daß viele Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, all die großen und kleinen Kaiser, moralisch nackt waren. Daß diese aufgeplusterten Honoratioren auch von unsereins Respekt und Anerkennung verlangten, empfanden wir als unverschämte Provokation. Zumal die neuen Heldentaten beim sog. Wirtschaftswunder zunehmend Schattenseiten offenbarten.( etwa der Einstieg in die Nutzung der Atomenergie, die Klausa als RWE Aufsichtsrat mit betrieben hat) Was Klausa betrifft, wirkt die (Selbst) „Stilisierung“ als „Preuße am Rhein“ geradezu peinlich selbstgefällig, wie moralische Hochstapelei.

Polizeiübergriff für einen Altnazi

Während der LVR Straftäter in den eigenen Reihen in der Regel vor Strafverfolgung schützte, ging er mit aller Härte gegen Kritiker und besonders gegen die verhaßten SSK-Leute vor: Mit Strafanzeigen, Haus- und Geländeverboten, Behinderung von Rechtsanwälten und der Justiz. Dass man sich in diesem „Abwehrkampf“ nicht scheute, den Rechtsstaat regelrecht zu demolieren, will ich an einem Beispiel demonstrieren, das ich deshalb ausführlich darstelle.

Es geht um die Vorgänge bei Klausas Abschiedsfeier, die leider in der Studie keine Erwähnung finden: Sie zeigen, wie die Polizei mißbraucht wurde, um eine legale Protestkundgebung gegen ihn rechtswidrig aufzulösen. Auch daran wird deutlich, daß hinter der Fassade des demokratischen Rechtsstaats informelle illegitime Machtstrukturen existieren, mit deren Hilfe eine herrschende Oberschicht berechtigte Kritik abwehren und notfalls gewaltsam ersticken kann.

Gegen die Abschiedsfeier des LVR für den „Altnazi“ Klausa hatte der SSK eine Kundgebung vor dem Landeshaus angemeldet. Der Polizeipräsident – geladener Gast bei der Feier – verbot diese und verlegte sie an den Deutzer Bahnhof, außerhalb der Sicht-und Hörweite des LVR. Das Verwaltungsgericht hob diese Anordnung als rechtswidrigen Eingriff in das Demonstrationsrecht auf und erlaubte die Demo direkt vor dem Landeshaus. „Die haben doch kein Problem mit der Bundesbahn, was sollen die dann am Bahnhof ?“ so der Richter.

Als sich die Teilnehmer – vielleicht 80 oder 9o – vor dem Landeshaus versammelt hatten, war das Gebäude und besonders die Treppe von zahlreichen Polizeibeamten gesichert. Schilder, auf denen Klausa als „Altnazi“ bezeichnet wurde, nahm man sofort den Demonstranten ab und beschlagnahmte sie. Da es der Polizei natürlich nicht zusteht, Transparente bei einer Demo zu zensieren, ein rechtswidriger Übergriff.

Dann habe ich per Megaphon die Kundgebung eröffnet indem ich sagte, daß wir hier stehen um dagegen zu protestieren, daß gegenüber eine luxuriöse Abschiedsfeier für einen Altnazi stattfindet, der in seinen Anstalten schlimme Zustände zu verantworten hat. Da unterbrach mich der Einsatzleiter oben auf der Treppe, ebenfalls per Megaphon, mit der Drohung: „ Herr Gothe, wenn Sie noch mal diese Beleidigung äußern, lasse ich Sie festnehmen und die Kundgebung beenden1“

Da war klar, daß sich die Polizei auf jeden Fall über den Gerichtsbeschluß hinweg-setzen und uns abräumen würde, um Klausa und seiner illustren Gästeschar den weiteren Anblick des „Pöbels“ zu ersparen: Legal, illegal, scheißegal!

Ich war für einen Moment ratlos: Wie soll man eine Rede auf einer Kundgebung gegen einen Nazi halten, wenn man ihn nicht Nazi nennen darf? Dann fiel mir ein, daß ich Kopien von Klausas Nazischrift „Rasse und Wehrrecht“ in der Tasche hatte.

Daraus las ich dann Zitate vor, auch die Forderung nach der „Aussonderung der Entarteten“ und habe nach jedem Zitat gesagt, daß ich als Bürger der Bundesrepublik den Verfasser dieser rassistischen Hetze auf polizeiliche Anordnung nicht Nazi nennen darf. Nach dem letzten Zitat sagte ich schließlich voller Wut, daß ich ihn dann eben „Nazischwein“ nenne. (Meines Wissens das einzige Mal, daß vom SSK dieser vulgäre Ausdruck verwendet wurde.) Dabei spielte auch der Hintergedanke eine Rolle, Klausa zur Strafanzeige zu provozieren, um auf diese Weise seine Vergangenheit und die Mißstände in seinen Anstalten vor Gericht zu ziehen.

Danach wurde die Kundgebung aufgelöst und sofort stürmten Polizeibeamte los, nahmen mich fest (auch Rainer Kippe, obwohl der bis dahin nur das Megaphon gehalten hatte!), verfrachteten uns in einen Polizeibus und kurz danach saßen wir in Einzelzellen im Polizeipräsidium am Waidmarkt. Dort fragte ich den Beamten der politischen Polizei, Baldrich, nach dem Festnahmegrund. Beleidigung, antwortete der. Aber Beleidigung sei doch ein Antragsdelikt, erwiderte ich, Klausa könne doch noch gar keinen Strafantrag gestellt haben. Den habe er am Nachmittag schon vorsorglich gestellt, so Baldrich nach kurzen Nachdenken, dem diese rechtliche Schmierenkomödie anscheinend selbst peinlich war.

Das Boulevardblatt Express zeigte am folgenden Tag ein Foto, wie der „SSK-Mann“ wie ein Schwerverbrecher abgeführt wurde, ohne den geringsten Hinweis auf die politischen Hintergründe.

Im Präsidium wurde ich gegen meinen Widerstand „erkennungsdienstlich“ behandelt, bei einer Beleidigungsanschuldigung sicher ein erneuter Rechtsbruch. Tief in der Nacht ließen sie uns schließlich wieder frei.

Mein Anwalt – ich glaube es war Detlef Hartmann – erstattete Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gegen den Polizeipräsidenten. Der tauschte daraufhin den Haftgrund einfach aus und erklärte nunmehr, es habe sich um eine „Sistierung“ gehandelt. Die sei notwendig gewesen, da durch unser beider Anwesenheit vor dem Landeshaus eine unmittelbare Gefahr für die Feier und die Gäste bestanden habe. Als hätten wir oder die paar Demonstranten auch nur das Geringste gegen die massiven Polizeikräfte und ihre Schäferhunde ausrichten können!

Als Beleg für meine Gefährlichkeit fügte er eine ziemlich lange Liste mit Akten-zeichen von Ermittlungsverfahren bei, die gegen mich anhängig gewesen waren und verschwieg, dass kein einziges davon zu einer Verurteilung geführt hatte. Angeblich muß nach einer sog. erkennungsdienstlichen Behandlung der „Behandelte“ durch einen Angehörigen identifiziert werden. Da meine Wohnung am Salierring vom Waidmarkt in 5 Minuten zu Fuß zu erreichen ist, hätte man dort meiner Frau das Foto vorlegen können. Doch die Herren Staatsdiener machten sich die Mühe, 70 Kilometer ins Oberbergische zu fahren, um das natürlich abschreckende Foto meiner alten Mutter vor zu legen. Zutiefst erschrocken fragte die, was ich denn verbrochen hätte, die Beamten erklärten aber, darüber dürften sie keine Auskunft geben und fuhren zurück nach Köln. Erst zwei Tage später erreichte mich meine Mutter am Telefon in furchtbarer Sorge, daß ich bei Baader-Meinhof gelandet wäre.

Ist es unzulässig, diesen Vorgang als staatlich organisierten Psychoterror zu bezeichnen?

Diese gesamte Kette von eindeutigen Rechtsbrüchen und offener Polizeiwillkür diente einzig und allein dem Ziel, den hochrangigen Verwaltungsbeamten Klausa davor zu bewahren, daß er mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und zu verhindern, daß die Menschenrechtsverletzungen in seinen Anstalten öffentlich angeprangert werden. In diesem Vorgehen offenbart sich eine informelle Kumpanei der sog. Eliten in Politik und Verwaltung: Der Rechtsstaat ist für sie nur eine Verfügungsmasse, wenn es darum geht, einen ihrigen zu schützen, egal, wessen er sich schuldig gemacht hat. Es zeigt sich darin ebenfalls, dass auch eine schwere Nazibelastung unter ihnen keineswegs als Makel betrachtet wurde.

Die eigentlichen Opfer dieser legalen und illegalen Versuche, Kritikern das Maul zu stopfen aber waren letztlich nicht der SSK oder ich, sondern die Menschen in den Einrichtungen des LVR. Indem ihre Helfer und Unterstützer bekämpft und kriminalisiert wurden, sollten sie fernab der Öffentlichkeit den Menschenrechts-verletzungen weiterhin wehrlos ausgeliefert bleiben. Im herrschenden System bestand ja offenkundig kein ausreichender Druck zur Veränderung, Empathie oder Mitleid waren jedenfalls keine Antriebskräfte bei den Spitzenbürokraten a la Klausa,

In der Kaminsky/ Roth-Studie fällt diese Art des Niedermachens von Gegnern leider unter den Tisch, obwohl man doch darin ebenfalls Anklänge an Nazivorgehen sehen könnte.

Brauweiler

Die Ausführungen zum sog Brauweiler-Skandal geben das wahre Ausmaß dieses Zusammenbruchs der LVR – Psychiatrie und -Politik nicht wieder. Es kamen nach und nach regelrecht mafiöse Verhältnisse an die Öffentlichkeit und ein schockierend gewalttätiges Behandlungssystem.

Den Beginn des später bundesweiten Brauweiler-Skandals habe ich noch heute vor Augen: Wir saßen im Aufenthaltsraum des „Astor“ ,Salierring 37 als zwei junge Frauen völlig verstört und erschüttert von ihrem wöchentlichen Besuch im LKH Brauweiler zurückkamen : Die Marion sei verschwunden gewesen und auf hartnäckiges nachfragen., wo sie denn sei, habe man schließlich erklärt, sie sei „im Himmel“. Das körperlich gesunde, 20jährige Mädchen aus dem sozialen Brennpunkt Köln-Kalk war tot und bereits auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt.Der anwesende Arzt aus der „Ambulanz im SSK“ kam hinzu und auch er hielt eine natürliche Todesursache für nahezu .ausgeschlossen, zumal wir vom Personal wußten, daß man dem „aggressiven“ Mädchen hohe Dosen Psychopharmaka verpaßt hatte.

Wir gingen das hohe Risiko ein, ohne echte Beweise den LVR des Totschlags zu beschuldigten und entschlossen uns, mit Mahnwachen vor dem Landeshaus und in Bauweiler solange zu demonstrieren, bis die Justiz tätig wurde. Im Rückblick war das der Beginn des aufsehenerregenden Skandals, bei dem der LVR die Kontrolle über die Abläufe verlor.

Marions dramatischer Tod, so zeigte sich bald, war kein Einzelfall in Brauweiler Es gelang einem Insassen die Flucht zum SSK, der Zeuge geworden war, wie zwei Pfleger den Patienten Kurt Konopka abends derart brutal verprügelt hatten, dass der in der Nacht verstarb.Trotz der deutlich sichtbaren Verletzungen trug ein LVR-Arzt als Todesursache „Herzversagen“ ein. Auch Konopka wurde wie Marion auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt. Es starb auch Fritz Feyerabend, als er beim Fluchtversuch aus der 2. Etage abstürzte, so wie viele andere.

Es starben extrem viele Insassen von Brauweiler. In ihrer preisgekrönten Arbeit über die Anstalt Brauweiler stellte eine Schülergruppe des Gymnasiums Pulheim unter Anleitung des Geschichtslehrers Jens Tanzmann fest, daß zwischen 1971 und 1978 laut Sterberegister der Stadt Pulheim 698 Menschen im Landeskrankenhaus des LVR gestorben sind. Da es sich nicht um ein Altenheim oder eine Hospiz handelte,müssen bei den meisten Todesfällen unnatürliche Todesursachen vorgelegen haben. Bis heute ist der erschreckende Tatbestand nicht untersucht worden. Eine geforderte Gedenktafel für die unschuldigen Nachkriegs-Todesopfer von Bauweiler gibt es immer noch nicht.

Die Studie hätte untersuchen müssen, welche Strukturen es möglich gemacht hatten, daß der LVR jahrelang die Hand über den Klinikleiter Stockhausen hielt, obwohl der häufig seinen Dienst sturzbesoffen versah und wegen Verfolgungswahn irrsinnige Aktionen vollführte. Wegen Alkoholismus und psychischer Krankheit wurde eine Gefängnisstrafe zur Bewährungsstrafe ausgesetzt, die Pfleger mußten wegen Totschlag ins Gefängnis und die ärztlichen Vergifter kamen davon, weil sie plötzlich erkrankten und verhandlungsunfähig wurden.

In der Studie zitieren die Autoren aus einem Gerichtsurteil in einem Verfahren, das der LVR gegen ein SSK-Flugblatt und mich als Verfasser angestrengt hatte. Zu der panikartige Schließung des LKH heißt es darin, der LVR habe „den Skandal gemacht, um die Katastrophe zu verhindern“. Der Skandal ist, dass Menschen wie Vieh gehalten werden können, mit Dämpfungs-mitteln vollgestopft. Wer bei diesem Drogenmißbrauch stirbt, wird sang- und klanglos unter die Erde geschafft.

Diese Äußerung wurde vom Gericht nach der Beweisaufnahme zugelassen, was ein bereits ein sehr schlechtes Licht auf die vom LVR zu verantwortenden Verhältnisse in seinem Landeskrankenhaus wirft. Doch die wirkliche juristische „Sensation“ wird in der Studie verschwiegen: Der weitere Flugblattext wurde vom Landgericht zunächst untersagt, vom Oberlandesgericht 2 Jahre später aber für zulässig erklärt: Die Katastrophe wäre, wenn die ganze Wahrheit ans Tageslicht käme: Brauweiler ist nicht ein einzelner Mißstand, denn in keinem LKH ist es anders als dort. Dieser Mißstand hat System. Und das wird vom LVR bestimmt und aufrecht erhalten. Da werden die Lebensbedingungen der Patiemtem bestimmt, die Arbeitsbedingugen für das Personal, da sitzt die offizielle Aufsicht

Der LVR (und in Person Kulenkampff) hatte wutentbrannt moniert, damit würde ihm die Fortsetzung der nationalsozialistischen Krankenmorde, der sog Euthanasie, vorgeworfen. Die vom Landgericht aufgestellte Bedingung für die Zulässigkeit dieser weitreichenden Anschuldigung konnten wir jedoch erfüllen: Für alle LKHs Zustände und Todesfälle nachzuweisen wie die in Brauweiler.

Meines Wissens sind in der BRD nie zuvor die Verhältnisse in psychiatrischen Anstalten so umfassend und so umfangreich von einem Obergericht geprüft worden, nie zuvor gab es ein so vernichtendes Urteil über das gesamte Behandlungssystem. Daß darin implizit eine ideologische Kontinuität zum NS-System bestätigt wird, das entspricht ja der LVR-Interpretation des Texts. Eine Aufforderung im Landtag an den Sozialminister, die weitere Verbreitung des „ verleumderischen“ Flugblatts eben deshalb zu unterbinden, mußte dieser unter Hinweis auf das rechtskräftige Urteil zurückweisen. Es ist nicht bekannt, daß dieses im LVR zum Nachdenken oder zu irgendeiner Art von Selbstkritik geführt hätte.

Haßausbrüche und Gewaltphantasien eines LVR-Psychiaters

Als der Brauweilerskandal bundesweit in den Medien war und der LVR vor Gericht gegen den SSK die erste Niederlage kassiert hatte, kam eines abends ein Arzt von der „Ambulanz im SSK“ zu mir, um mich zu warnen: Ich solle nachts möglichst nicht mehr allein durch Köln fahren. Erstaunt fragte ich nach dem Grund. Der Arzt erklärte, ihn habe ein Kollege vom LVR angerufen und ihm erzählt, daß er zufällig im LVR ein Gespräch mitgehört habe. Stockhausen habe mit seinen Gesprächspartnern überlegt, ob es eine Möglichkeit gäbe, mich in die Psychiatrie zu schaffen ,etwa im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall. Obwohl ich das nicht ganz ernst nehmen konnte – schließlich liegt Köln nicht in der Sowjetunion – habe ich mich eine Zeit lang an den Rat gehalten.

Jetzt lese ich (S. 285) den Auszug aus einem Brief Stockhausens an Klausa, der mich noch nachträglich erschreckt: Der Leitende Medizinaldirektor a.D. bezeichnet darin sowohl die Kritiker von außerhalb als auch die internen als „Ratten“, deren „Horden“ in die klinische Psychiatrie eingebrochen seien und die „Pest“ hineingebracht hätten. Viele, die ihr eigenes Dasein nicht zu meistern wußten, folgten einem Zug von Lemmingen, der von dämonischen Agitatoren geleitet wurde, die sich meist klug im Hintergrund hielten, allenfalls zu polemischem Geschratel kurz aus ihren schmutzigen Höhlen kamen.

Da fühle ich mich angesprochen und will mir lieber gar nicht vorstellen, zu was ein Psychiater mit derart glühendem Haß fähig ist, um „Ratten“ und „Pest“ zu bekämpfen oder auszurotten. Nationalsozialistische Wortwahl und Menschenver-achtung lassen grüßen!

Nutzlose Vergangenheitsbewältigung?

Manche meinen, es sei sinnlos, in der braunen Vergangenheit von Institutionen oder Personen herum zu wühlen und diese nach so langer Zeit noch an den Pranger zu stellen. Man müsse endlich einen Schlusspunkt setzen. Es geht aber in Wahrheit um unsere Gegenwart und Zukunft. Denn nicht nur in Deutschland sind ja wieder Rassismus, Antisemitismus und faschistischer Geist auf dem „Vormarsch“. Jetzt rächt sich, daß die ehrliche Aufarbeitung unterblieben ist daß die damaligen (Schreibtisch ) Täter ungeschoren davon kamen und sich ohne jede Spur von Reue und Selbstkritik durch biografische Manipulationen aus der Ver-antwortung stehlen konnten.

Es fehlen daher die gesellschaftlichen Erkenntnisse, welche seinerzeit in Südafrika und heute in Tunesien durch die sog. Wahrheitskommissionen gewonnen werden Die Täter werden dort mit den Opfern konfrontiert und müssen Rede und Antwort stehen.

Hier ist es im Dunkeln geblieben, wie aus den jungen „Udos“ aus „bestem Hause“, akademisch gebildet, mit Gothe und Schiller vertraut, an herausgehobener Stellung Zuarbeiter und Helfer bei Deportation und Massenmord werden konnten. Welche Rolle dabei Nationalismus, Militarismus, Religion, Rassismus gespielt haben. All diese bürgerlichen „Udos“ bildeten ja das Rückgrat des Nazistaats, nicht die Fußtruppen der SA aus der Unterschicht. Unter den 15 Teilnehmern an der Wannseekonferenz besaßen 10 einen Hochschul-abschluß, 9 waren promoviert.

Auch der heute bedrohlich anwachsende Rechtsradikalismus wird von Professoren, Gymnasiallehrern, Journalisten angeführt und befördert, sie sind auf dem Weg der damaligen „Udos“ schon weit vorangeschritten und wieder dabei, die Jugend zu verderben. Die jungen Leute sind heute zwar alle informiert über die Nazigräuel und den Holocaust, betrachten diese vermutlich aber wie einen Horrorfilm mit SS-Monstern und dem „verrückten Führer“, der mit unserer Realität nichts zu tun hat. Weil sie sich den Entwicklungsprozess nicht vorstellen können, der „normale“ Bürger zu Tätern machte.

Das ist die Hypothek, die uns das unehrliche Abtauchen der Nazihelfer und -täter nach dem Krieg hinterlassen hat, das ist die zweite Schuld der zahllosen „Klausas“ Deshalb ist es nötig, die Aufarbeitung so gut es halt noch geht, nachzuholen: Damit der geistigen und seelischen Verseuchung durch den gegenwärtigen Rechtsradikalismus und Rassismus erfolgreich entgegen getreten werden kann.

Wenn der Landschaftsverband sich wirklich ernsthaft seiner Geschichte stellen will, ist es mit dieser Studie noch längst nicht getan. Es herrscht immer noch der skandalöse Zustand, daß der Verfasser einer Nazischrift die Ehrendoktor“würde“ besitzt, welche ihm der Inhaber des „LVR-Lehrstuhls“ verschafft hat, der nationalsozialistische Schreibtischmörder Friedrich Panse. Immer noch ist der Nazi-Landrat Klausa Ehrenbürger der Uni Bonn, ohne dass irgendwelche wissenschaftlichen oder intellektuellen Leistung dies begründen könnten.

Immer noch werden Täter geehrt,obwohl sie zeitlebens nicht die Spur von Einsicht oder Reue zeigten. Dies in Zeiten, in denen der braune Sumpf rundum erneut aus dem gesellschaftlichen Untergrund mit Macht an die Oberfläche drängt.