Mein SSK

Ein unvollständiger Rückblick auf den „sozialrevolutionären“ SSK vom Beginn der „Sozialistischen Selbsthilfe“ bis Ende der 80er und die Entwicklung der oberbergischen Projekte.

Von Anfang an war „mein“ SSK ein Kampf für die Menschenrechte derjenigen, die am untersten Ende der Klassengesellschaft stehen. Die begegneten uns 1970 als geflohene Heimzöglinge, welche in der Wohngemeinschaft am Salierring einen Schlafplatz suchten und fanden. Sie waren Opfer eines totalitären Systems, in dem sie Mißhandlungen, Vergewaltigungen, Demütigungen ausgesetzt waren.

Die darauf folgenden Kämpfe mit den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen und Institutionen, die Durchsetzung einer ersten deutschen Anlaufstelle, des „Kontaktzentrums für obdachlose Jugendliche“, dessen Schließung und den Anfang des Neubeginns lasse ich hier weg, man kann das in den Büchern „Ausschuss“ und „Aufbruch“ nachlesen. Diese Kämpfe bewegten sich im Rahmen der Sozialarbeit und erzwangen dort Reformen.

Die Ziele des sich dann zunächst unter dem Namen „Wir packen an“, dann aber als „Sozialistische Selbsthilfe“ entstehenden Gemeinschaft gingen weit über sozialarbeiterische Reformen hinaus: sie verzichtete der Freiheit zuliebe auf staatliche Gelder, baute auf eigene Arbeit und entwickelte sich zum Versuch, eine Gemeinschaft zu bilden, in welcher die Klassenschranken so weit wie möglich aufgehoben wurden; die den Opfern Schutz, Obdach und Würde bietet, auch und gerade den „Illegalen“, und die gegen die Unterdrückungseinrichtungen und -strukturen radikal vorgeht, um sie in dieser Funktion zu zerstören.

Dieser Versuch war nach Auffassung aller „Realisten“ völlig aussichtslos, da ja die meisten SSK-Mitglieder als schwer Erziehbare, „ unverbesserliche“ Heimzöglinge, als Psychiatrieinsassen, ausgegrenzte Arbeitslose, Obdachlose, „Kriminelle“ als absolut unfähig angesehen wurden, auch nur für sich selbst aufzukommen. Auch unter uns „Studierten“ fanden sich psychisch Angeschlagene und Menschen, welche nicht in der Lage waren, den Anforderungen einer bürgerlichen Existenz zu genügen, ich gehörte dazu.

Der Sozialdezernent Körner musste nach der Zwangsschließung des Kontaktzentrums eine Ersatzeinrichtung schaffen, da ja durch den Vertrag mit dem SSK die Existenz der zuvor als „Streuner“ abgetanen Jugendlichen als „obdachlose Jugendliche“ offiziell anerkannt war. Er ahnte aber, dass Staatsangestellte diese SSK-Arbeit nicht leisten könnten und bot uns daher an, unter anderem Namen – quasi „undercover“- mit Staatsgeld weiter zu machen.

Einige liebäugelten mit dieser Verführung, die meisten hatten aber auf Grund der Erfahrungen mit dem staatlichen Sozialsystem die Nase voll. Als ich Körners Vorschlag dann ablehnte, flippte er total aus und bezeichnete mich und die Idee als „irre“, mit diesen behinderten und hilfsbedürftigen Menschen aus eigener Kraft wirtschaftlich überleben zu können.

Natürlich hatte er Recht: Legt man das herrschende Menschenbild zugrunde, waren wir ein Haufen unproduktiver Leute, von denen die meisten nicht nur nichts Handfestes leisten konnten, sondern ein Heer von Betreuern, Erziehern, Psychiatern, Vormündern, Polizisten, Richtern und Verwaltungsbeamten brauchten, um nicht als Störfaktoren im Getriebe des Konsumkapitalismus auffällig zu werden. Ein gewaltiger Komplex von Sozialeinrichtungen und -bürokratien war aufgebaut worden, in denen die Nichtsnutzigen, Überflüssigen, Störenden in lauter Untergruppen aufgeteilt und dann spezieller Behandlung unterworfen werden: Soziale Monokulturen ähnlich denen in der industriellen Landwirtschaft, mit ähnlichen Schäden an Menschen hier wie die an Pflanzen dort, bis hin zum Einsatz von Chemie.

Aus dieser „realistischen“ Sicht und nach den allgemein geltenden Erkenntnissen der Soziologie war es demnach so etwas wie ein Wunder, dass diese Zusammenrottung am Rande der Gesellschaft am Leben blieb und wuchs. Vier Faktoren waren haupt-sächlich dafür verantwortlich:

Ein einfacher Lebensstandard größtenteils auf der Basis von Abfällen der Überflußgesellschaft, anders ausgedrückt: Konsumverzicht, Hilfe von Freunden, Bereitschaft zum Kampf für die Menschenrechte aller und vor allem anderen die Entwicklung einer Gemeinschaft, welche die Klassenschranken überwindet und die Ziele der französischen Revolution anstelle der kapitalistischen Konkurrenz und der konsumistischen Gier zu verwirklichen sucht.

Dieser neue, sozialrevolutionäre SSK begann, indem die leeren Wohnungen des von Spekulanten auf Abriss gekauften Hauses Salierring 41 besetzt wurden und das Lager im Hinterhof aufgeknackt wurde, um darin ein Gebrauchtmöbellager einzurichten. Auch das ehemalige Hotel Astor wurde besetzt. Unser Grundrecht auf Wohnen und Arbeiten konnten wir nur durch die Straftat Hausfriedensbuch verwirklichen.

Nach und nach bildete sich aus den sehr ärmlichen Anfängen eine breitere wirtschaftliche Basis heraus und durch die gemeinsame Arbeit löste sich das Verhältnis „Betreuer -Zöglinge“ mehr und mehr auf. Ebenso die „Monokultur“ obdachlose Jugendliche, denn bald versammelte sich in den Gruppen die ganze gesellschaftliche Vielfalt von Ausgebeuteten, Unterdückten, Mißhandelten, Ausgegrenzten; sie kamen aus der Psychiatrie, von der Straße, aus “sozialen Brennpunkten“, schlimmen Elternhäusern, zerbrochenen Familien, aber es kamen auch Menschen aus der Mittelschicht auf der Suche nach einem anderen Leben und Sozialarbeitsstudenten, die im SSK ihr Praktikum oder das Anerkennungsjahr machen konnten.

Es gab keinen Plan, nach dem die Gruppen systematisch aufgebaut wurden; aus den Notwendigkeiten und Zwängen des gemeinsamen Lebens, Arbeitens und Kämpfens entstanden immer neue Regeln und Strukturen, die schließlich Anklänge an anarchosyndikalistische Gemeinwesen zeigten, ähnlich denen der Zapatisten in Chiapas/Mexiko: autonome Gruppen, darüber als oberstes Entscheidungsorgan die wöchentliche Ratssitzung.

Der Begriff Arbeit wurde weit gefasst: Nicht nur Erwerbstätigkeiten, sondern alles, was für die Gemeinschaft nötig und wichtig war, galt als Arbeit, In der morgendlichen Arbeitsversammlung spiegelte sich die Vielfalt: Zuerst wurde die sogenannte „Verantwortung“ bestimmt. Zwei, die bis zur nächsten Versammlung das Hausrecht hatten und unaufschiebbare Entscheidungen treffen konnten. Nachdem die anfallenden Erwerbsarbeiten verteilt waren, stellten sich „Neuaufnahmen“ vor, oder Menschen von außen, die Hilfe suchten, es wurden politische Aktionen besprochen und beschlossen, ebenso „psycho-soziale“ in der Gruppe, Probleme im Haus z. B. mit Sauberkeit; immer wieder war Geldmangel Tagesordnungspunkt.

Die verschiedenen Arbeiten „rotierten“, so dass sich möglichst alle an allen Arbeiten beteiligen mussten. Zuständig war die Arbeitsversammlung im Grunde für das ganze Leben. Für „Neuaufnahmen“ gab es eine 4-wöchige Probezeit, aber von Anfang an galten dieselben Rechte und Pflichten. Ihren Charakter und ihre Atmosphäre hat der WDR-Film „Arbeit für alle“ von Dorothea Neunkirchen gut getroffen.

Diese offene Gemeinschaft wandelte auf einem schmalen Grad, von dem sie binnen kurzem abstürzen konnte. Der Zusammenhalt speiste sich aus dem Traum von einer anderen, besseren Welt. Jeder hatte seine besonderen, persönlichen Gründe für den SSK-“Aufstand“ gegen das „Normale“, welches uns immer wieder seine andere dunkle Seite als inhumane verlogene Klassengesellschaft zeigte: hunderte Male trat sie hervor bei den Aufnahmegesprächen, den Berichten von Hilfesuchenden, in den Behördenakten, die uns in die Hände fielen.

Im SSK kamen wir aus allen gesellschaftlichen Ecken und Enden zusammen. Wenn der revolutionäre Geist unter uns lebendig war, entwickelten die Gruppen unglaubliche Kräfte, wenn dieser im Chaos zu versinken begann, drohte aber auch schnell der Zusammenbruch. Voller Einsatz in diesem SSK bedeutete deshalb oft, wie eine Kerze an zwei Enden zu brennen.

Dem „Wunder“, dass dieser „irre“ SSK ohne Staatsgeld existieren konnte, folgte ein zweites, welches auf dem Boden der „Realität“ noch unerklärlicher scheint.

Ende der 70er, Anfang der 80er entfaltete der SSK rundum eine gesellschaftspolitische Kraft und einen Druck zur Veränderung auf die Institutionen, der angesichts seiner kümmerlichen materiellen Basis und der vielen, traumatisierten, angeblich schwachen und hilfsbedürftigen Mitglieder unmöglich schien.

Jetzt im Alter hatte ich verschiedene Male die Gelegenheit, mit hochrangigen ehemaligen Gegnern ziemlich offen zu reden und mich erstaunt immer wieder, welche Angst und manchmal Panik unsere Aktionen bei ihnen hervorgerufen haben. Die in aller Regel außerordentlich wirksamen Machtmittel der verschiedenen Obrigkeiten, Kritiker einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, haben uns gegenüber völlig versagt. In der Gemeinschaft haben wir die Angst vor den Mächtigen überwunden, nun hatten viele von denen Angst vor uns.

In psychischer Hinsicht waren es oft gerade die gemeinsamen Aktionen wie Haus- oder Bürobesetzungen, die auch heilsam wirkten, weil sie unser Selbstbewußtsein stärkten und einigen von uns die mit Füßen getretene Würde zurück gaben. Wir hätten kein alternatives psychiatrisches Behandlungskonzept, habe ich mal in einem offenen Brief an den LVR Psychiatrieboss Kulenkampff geschrieben, unsere Gemeinschaft sei das einzige „Heilmittel“. Nicht so umfassend, wie es der italienische Psychiater Basaglia postulierte, aber es zeigte sich immer wieder mal: Freiheit heilt.

Bevor ich in zu schönfärberisches Schwärmen gerate, will ich an zwei Beispielen demonstrieren, wie schnell diese Gemeinschaft abstürzen konnte und in Gefahr geriet, an innerem oder äußerem Druck oder an beidem zu zerbrechen. In solchen Krisen- Situationen „heilte“ die Gemeinschaft nicht mehr, sie konnte dann sogar „krank“ machen.

Zuhälterterror unter den Augen der Polizei

Ziemlich am Anfang der „Sozialistischen Selbsthilfe“, als noch die Presseverhetzung des SSK weitgehend das Bild in der Öffentlichkeit bestimmte, waren wir teils brutalen Übergriffen von Zuhältern ausgesetzt. Wenn wir z.B. ein Mädchen aufgenommen hatten, das zuvor für sie hatte auf den Strich gehen müssen, dann kamen sie des Nachts, rissen das Telefonkabel aus der Wand, schlugen die „Verantwortung“, durchsuchten das Haus und nahmen ihr „Eigentum“ mit, wenn sie seiner habhaft wurden. Auch wenn aus dem Nachbarhaus die Polizei gerufen wurde, kam die offenbar absichtlich erst so spät, dass die Gangster in Ruhe ihre jeweilige Aktion beenden konnten.

Sie terrorisierten auch das Möbellager, indem sie dort mit Kampfhunden erschienen, drohten, Sachen mitnahmen. Eine lähmende Angst und Ohnmacht breitete sich aus.

Eines Abends kam ein Jugendlicher aus dem Astor zu meiner Wohnung in der 41 gelaufen, weil wieder ein solcher Überfall im Gange war. Draußen auf den Bürgersteig sah ich, dass vor der Tür des Astor drei Rocker mit Goldkettchen und Lederklamotten standen in einer Gruppe von SSK Leuten, die teilweise Verletzungen im Gesicht hatten, darunter auch – wenn ich mich richtig erinnere – Rainer Kippe mit blutender Nase. Bei mir flogen irgendwelche Sicherungen raus, der ganze Druck explodierte in einem Tobsuchtsanfall, der mir noch heute Angst macht. Als körperlicher „Hänfling“ habe ich normalerweise immer Angst vor Prügeleien, aber jetzt ging ich wie eine Beserker auf den Rockerboss los, der wich zurück, aber ich kriegte ihn zu fassen, schlug ihn mit dem Kopf auf eine Parkuhr, er riss sich los, rannte durch den Verkehr auf die andere Ringseite und ich wie ein Wahnsinniger hinterher: Ich glaube, ich hätte ihn umgebracht.

Danach habe ich Meggie gebeten, mir über Nippeser Bekannte eine Pistole zu besorgen und ich war fest entschlossen, einen der Gangster ins Knie zu schießen.

Lange hätten wir das nicht mehr durchgehalten. Etwas später aber konnten wir einen im Astor überwältigen und auf dem Boden liegend festhalten, bis die Polizei kam. Wir hatten ihn fotografiert und erklärt, wir würden sein Foto in der ganzen Innenstadt plakatieren, wenn er oder seine Dreckskumpel sich noch mal blicken ließen. Dann war Ruhe und ich schmiß die Pistole in die Mülltonne.

Verfassungssch(m)utz

Ein anderes Mal ging die Gruppe vom Inneren her fast zu Grunde. Jeder spürte, wie die Gemeinschaft zerbröselte, lustlos die Versammlung, die Lagereinnahmen wurde immer weniger, Streitereien nahmen zu und aus der Kasse wurde Geld geklaut. Alle litten darunter, aber den Grund kriegten wir über Wochen nicht zu packen. Dann hatte ein ganzer Trupp junger und alter Männer angeblich einen lukrativen Bauauftrag im Bergischen, sie fuhren mit dem Bulli und Geld für Baumaterial hin. Als sie nach einer Woche zurückkamen, stellte sich heraus, dass sie nur Urlaub gemacht, gesoffen und gekifft hatten, während wir nicht die wöchentlich Ausszahlung zusammen kriegten.

Die meisten flogen raus und wir mussten die Gruppe von neuem wieder aufbauen.

Einige Zeit später erschien im Stern ein Bericht über einen Agenten des Verfassungsschutzes, der in Frankfurt linke Gruppen bespitzelt hatte. Leid täte ihm, so erzählte der unter falschem Namen, dass er in Köln eine SSK-Gruppe fast kaputt gemacht hätte, indem er mit Geld des Verfassungschutzes Jugendliche und Erwachsene zum Saufen und Kiffen verführt und Bordellbesuche bezahlt hätte. Ein wütender Versuch, beim Verfassungsschutz an der Inneren Kanalstraße ein zu dringen, mißlang. Die ohnehin angeschlagene Liebe zu unserem Staat erlitt allerdings weiteren schweren Schaden.

Bei den „Hochs“ und „ Tiefs“ im Gruppenprozess zeigte sich mit der Zeit eine verborgene Regel: Ab einer bestimmten Größe – irgendwo zwischen 30 und 40 Mitgliedern – funktionierte die direkte Demokratie nicht mehr oder nur noch schlecht.

Projekte und Kämpfe

Ich versuche mal, mich zu erinnern, welche Kämpfe und Auseinandersetzungen zum Teil parallel im Gange waren und ich habe sicher längst keinen Gesamtüberblick, obwohl ich an vielen Kämpfen beteiligt war. Deshalb wäre es wichtig, dass möglichst viele damalige Mitglieder und Mitkämpfer ihre Erlebnisse und ihre Sicht ebenfalls zu Papier bringen.

Die (geschlossenen) Heimerziehung und die (geschlossenen) Psychiatrien sind die gesellschaftlichen Orte, wo der Boden des Grundgesetzes ein Loch hat. Wer da hinein fällt oder hinein gestoßen wird, dessen Menschenrechte sind im Zweifelsfall keinen Pfifferling wert. Sagt der Gutachter, dass du krank und für andere oder dich selbst gefährlich bist, kannst du im Extremfall lebenslänglich eingelocht werden wie ein Massenmörder, aber im Unterschied zu diesem folterähnlichen Übergriffen wie Elektroschocks oder Pharmadrogen ausgesetzt sein. Hier hat der NS-Faschismus 1945 überlebt, er existierte sowohl personell (LVR Klausa, Panse, Beurmann etc.) als auch ideologisch weiter und erwartet heute offenbar im Zuge des allgemeinen Rechtsrucks seine offizielle Wiederauferstehung in modernem Gewande.

Zu der Zuflucht und Hilfe, die der SSK den Opfern dieser totalitären Einrichtungen bot, gehörte untrennbar das öffentliche Anprangern der Menschenrechtsverletzungen und ständige Aktionen zur Befreiung von Insassen und gegen den Machtmissbrauch dieser Institutionen. Hier erzielte der SSK die größten Erfolge, auf diesem Gebiet erzwang er die weitreichendsten Reformen und hat Geschichte geschrieben. Heute erkennt das sogar ein Teil der früheren Gegner an. Der Einsatz gegen diese schlimmst mögliche Entrechtung unschuldiger oder kranker Menschen ist somit die „Kernkompetenz“ des damaligen SSK, seine „DNA“.

Brauweiler-Schließung, Skandal um Haus 5 in Düren, Mißstände und Todesfälle in Bonn, die Psychiatrie als Gewaltsystem erstmals umfassend vor Gericht mit dem vernichtenden OLG-Urteil über das gesamte Behandlungssystem – das alles kann man in einer Reihe von Broschüren des SSK und der von ihm gegründeten Beschwerdezentren („Aussonderung der Entarteten“ 1 – 3) sowie den „Unbequemen Nachrichten“ nachlesen. Ebenso in wissenschaftlichen Publikationen: Kaminsky / Roth „Verwaltungsdienst, Gesellschaftspolitik und Vergangenheits-bewältigung nach 1945“, Metropol- Verlag 2016, oder Erhard Knauer (Hg), „Leben in Haus 5“, Psychiatrie-Verlag 2018.

Der Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen in all seinen Ausprägungen, das war der Anspruch des SSK, eine neue, gerechte Gesellschaft erst unter uns, dann für alle, das war sein sozial-revolutionäres Ziel.

Menschen im SSK

Aus Psychiatrien und Heimen geflohene oder befreite Menschen, stigmatisiert als Geisteskranke, Kriminelle oder Asoziale, wurden Teil der SSK-Gemeinschaft. Auch wenn viele von ihnen sich nicht an theoretischen, eher intellektuellen Diskussionen beteiligten oder beteiligen konnten, so erfüllten sie doch eine enorm wichtige Aufgabe. Viele von ihnen hatten ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und ein feines Gespür für das, was echt, und das, was falsch war. Vermutlich war solche Sensibilität überlebenswichtig in den Gewaltverhältnissen, aus denen sie kamen.

Auch wenn sie selten in Diskussionen eingriffen, so übten sie doch einen Einfluss aus auf die Aktionen und Beschlüsse des SSK. Bei Ungerechtigkeiten gab es schon mal heftigen Protest, und wenn sie nicht überzeugt waren, zogen sie sich zurück und zeigten ihre Ablehnung als passiven Widerstand.

An einige will ich erinnern:

Marianne Rollmann kam von der Straße, fast noch ein Kind, aber schon im LKH Bonn als angeblich Debile und dem üblen Kölner Reichenspergerhaus misshandelt; wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, suchte sie Wärme im damals so chaotischen SSK. Um sie zu legalisieren, beantragten meine Frau und ich, sie als Pflegekind auf zu nehmen, doch der LVR ließ sie abgreifen und in einem bayrischen Heim internieren, wo sie einen Selbstmordversuch unternahm. Ihre Geschichte ist zu lesen in der Broschüre „Die Aussonderung der Entarteten“ ebenso wie die ähnliche von Petra Weiss.

Rolf Richartz, uneheliches Kind einer Solinger Arbeiterin, im Kinderheim für debil erklärt und danach dementsprechend behandelt, keine Schule, brutale Strafen, kam er als als Analphabet zu uns. Um ihn zu legalisieren, wurde ich sein Vormund. Anhand seiner Jungendamtsakte drehte Albrecht Metzger an den Original “Tatorten“ den beeindruckenden Film „Rolf, ein sozialer Unfall“. Rolf lebte bis zu seinem Tod als „ anständiger“ Bürger in der Südstadt von Putzstellen und kümmerte sich fürsorglich um seine uneheliche Tochter.

Jutta Krause, die prügel-erfahrene Rockerin aus Hamburg, Manni, der sensible Beatlesfan, Choki, der entlaufene preussisch-bürokratische Reichsbahner aus Berlin, Eberhard, stur wie ein Panzer, der im SSK auch persönlich Rache nehmen wollte an Heimen und Psychiatrien, Martina, der die Psychiatrie viel Leid zugefügt hat, aber ihre Seele nicht zerstören konnte,

Peter Bettelmann, der „Sheriff“: Heimgeschädigt war er ein wenig wie Kaspar Hauser, konnte schlecht sprechen und musste das selbstständige Leben draussen (wie z.B. einkaufen) erst lernen, die ersten Jahre mit Sheriff-Stern am Hemd.

Fritz Löw, von der Psychiatrie in einer Pflegestelle bei einem Reitstall erbärmlich untergebracht, kannte Zuwendung nur von Pferden, weshalb wir vom LVR als Wiedergutmachung für ihn ein Pferd, einen Stall und eine Weide verlangten, der LVR übergab es wie einen Blechschaden seiner Versicherung, die ablehnte. Heute führt Fritz ein Gespann auf der autofreien Insel Juist.

Und die Omas: Oma Gracik, die „SSK-Oma“: ausgebeutet als Haushaltshilfe bei feinen Leuten, nie eine anständige Wohnung von der Stadt bekommen, unter den Nazis im Knast gesessen, weil sie über Hitler und den Krieg geschimpft und eine Metzgersfrau sie bei der Gestapo angezeigt hatte: Wenn´s um Wohnraum ging, war sie dabei und liess ihrer lebenslang angestauten Wut freien Lauf.

Oma Keppler, klein und unscheinbar, hockte sie neben dem Ofen und schälte Kartoffeln und jeder Stricher konnte Trost bei ihr finden. Und die feine, gebildete Dame, Oma Hildegard. Sie hatte eine Flucht-Geschichte und war lange Zeit in der Psychiatrie Hadamar (vor 45 eine Euthanasie-Vernichtungsanstalt.) Beim Reinigen der Arztzimmer nahm sie die ausgelesenen Zeitungen mit auf ihr Zimmer und stieß auf Artikel über den SSK. Anläßlich von Zahnarztbesuchen in der Kölner Uni-Klinik „testete“ sie den SSK ein paar Mal und übernachtete im Aufenthaltsraum, bevor sie endgültig blieb. Ihre Beerdigung zeigte echte „SSK- Würde“, mit „Blowing in the Wind“- Gesang an ihrem Grab.

Dass diese ausgeschlossenen Menschen unter uns leben konnten, nach ihren Kräften mitarbeiten, die gleiche Auszahlung erhielten und das gleiche Stimmrecht hatten, das war die innere „Revolution“, der Umsturz der herrschenden Verhältnisse, die eigentliche Kraftquelle des SSK. Es war also keine Organisation, die Arbeitsplätze für Behinderte einrichtete, sondern eine Gemeinschaft, in der alle einen Platz hatten, alle Arbeit fanden, alle gleich viel wert waren.Dieser geschwisterliche Zusammenhalt war nicht ständig präsent, aber wenn, dann konnte eine Begeisterung entstehen, die große Kraft entfaltete.

Das verlieh auch unseren Aktionen und den Angriffen auf die staatlichen Gewaltinstitutionen eine unangreifbare Legitimität, die sonst keine politische, kirchliche oder soziale Institution vorweisen konnte. Unter uns war es der Beleg dafür, dass das Menschenbild der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft falsch und eine „andere Welt“ möglich war.

Darauf führe ich auch zurück, dass all die vielen Gerichtsverfahren meist nicht zu Verurteilungen führten und wenn, dann zu nur geringen Strafen. Es ging um Hausfriedensbruch, Beleidigung, Nötigung, Entziehung Minderjähriger aus der Öffentlichen Erziehung, um Demonstrationsdelikte wie Bannmeilenbruch und im „Deutschen Herbst“ kam auch noch „Kriminelle Vereinigung“ dazu.

Krieg den Hütten, Friede den (Einkaufs) Palästen: Sanierungen

Menschenrechte sind unteilbar und deshalb muss es der Kampf gegen Menschen- rechts-Verletzungen auch sein. Dass eine bezahlbare, menschenwürdige Wohnung ein Grundrecht ist, kann niemand ernsthaft bezweifeln.

Dieses Grundrecht aber wird damals wie heute bei Millionen Menschen verletzt. Ende der 60er, Anfang der 70er wurde der armen Bevölkerung auf diesem Gebiet seitens des Staates regelrecht der Krieg erklärt und massenhaft preisgünstiger Wohnraum zerstört, indem ganze Wohnquartiere zu sog. “Sanierungsgebieten“ erklärt wurden

Hintergrund ist eine Krise der Bauwirtschaft Ende der 60er und Karl Schillers antizyklische Konjunkturpolitik. Die korrupte gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ hatte ein Gutachten vorgelegt: Der Wiederaufbau sei bald abgeschlossen und Arbeitsplätze auf dem Bau in Gefahr. Es bestehe aber ein „Abrissbedarf“ von hunderttausenden Altbauwohnungen.

Also wurde das Städtebauförderungsgesetz beschlossen, welches den Kommunen erlaubte, Sanierungssatzungen für ganze Stadtteile zu beschließen, die Zwangsmaßnahmen wie Enteignungen leicht möglich machten, es wirkte wie eine Art Besatzungsrecht. Das Programm wurde mit Milliarden Steuergeld unterlegt und hat der lahmenden Konjunktur wieder auf die Beine geholfen.

Gleichzeitig lief eine sogenannte Gebietsreform, bei der kleine Gemeinden zusammengelegt und nach dem „Zentrale-Orte-Modell“ neu geordnet wurden, wobei eine Rangordnung für Öffentliche Einrichtungen festgelegt wurde. Das führte zu Schließungen von Ämtern, Schulen, Krankenhäusern in kleinen Gemeinden und zu deren Konzentration in den größeren. Gleichzeitig ging mit dem dem Verschwinden von mehr als hunderttausend kommunalen Mandaten direkte Demokratie und somit politische Einflussmöglichkeit des „einfachen Volkes“ verloren. Studenten der RWTH Aachen des Fachbereichs Städteplanung hatten sich an der Besetzung des Hauses Gladbacherstr. der Gothaer Versicherung beteiligt. Während einer Nachtwache erklärten sie uns SSK Leuten, dass das „Zentrale Orte Modell“ auf den Plänen beruhte, welche die SS für die Neubesiedlung der Ukraine nach dem „Endsieg“ entwickelt hatte.

In Köln wurde das Severinsviertel zum Sanierungsgebiet erklärt. Der Ursprungsplan sah massenhaften Abriss von Altbauten vor und den Umbau des innenstadtnahen Viertels für die obere Mittelschicht. Der damalige SPD Boss Herterich nahm dabei kein Blatt vor den Mund: Das Sanierungsziel sei „der qualitative Austausch der Bevölkerung“. Also Arme raus nach Chorweiler und Reiche rein.

Diese geplante Zerstörungsorgie stieß aber auf heftigen Widerstand, nicht nur bei der von Vertreibung bedrohten Bevölkerung, sondern auch in der links-alternativen Szene, die sich dort angesiedelt hatte.

Der SSK Salierring beteiligte sich daran, auch mit Hausbesetzungen und ebenfalls an der Stollwerck-Besetzung. Die Stadt gab angesichts des Widerstands die geplanten Massenabrisse auf und setzte nun auf durchgreifende Modernisierungen, zumal diese im Trend lagen. Die Szene war damit größtenteils zufrieden, für den SSK aber kam Luxusmodernisierung und Abriss sozial gesehen auf des gleiche heraus. Wir diskutierten ein eigenes Sanierungskonzept und schrieben es auf, welches sich strikt an den Interessen der Armen orientierte, was aber weder bei der Stadt noch bei der gut situierten Alternativszene der Bürgerinitiative Südliche Altstadt (BISA) auf Wohlwollen stieß. Heute ist das Viertel weitgehend „gentrifiziert“.

Sanierung Pulheim:

1978(?) brachte ein Junge, der im „Astor“ Verantwortung hatte, zwei ältere Männer in meine Wohnung in der 41, mit denen er nichts Rechtes anfangen konnte. Es waren der Vorsitzende und sein Stellvertreter einer Pulheimer Bürgerinitiative gegen die geplanten Abrisse von ca. 80 Häusern in dem zum Sanierungsgebiet erklärten Zentrum der Kleinstadt vor den Toren Kölns.

Pulheim war die Heimat des Vorsitzenden der NRW-CDU, Bernhard Worms, der beträchtliche Mittel aus dem Städtebauförderungsprogramm in sein Städtchen geholt hatte, um das übliche moderne Zentrum mit Fußgängerzone pp anstelle der meist alten Häuser zu errichten.

Die zwei Abgesandten hatten in Köln SSK-Plakate gelesen und suchten nun Hilfe bei uns, weil wir auch für den Erhalt billigen Wohnraums in alten Häusern eintraten. Es entstand eine Zusammenarbeit über gesellschaftliche und parteipolitische Schranken hinweg. Der Vorsitzende Wilhelm Roggendorf, ein kleiner Fuhrunternehmer und CDU-Mitglied, und der Stellvertreter, ein eingefleischter Sozialdemokrat, fühlten sich von ihren Parteien verlassen und verbündeten sich mit dem „linksradikalen“ SSK.

Unter den betroffenen Pulheimern, meist älteren Leuten, hatte sich eine große Verzweiflung ausgebreitet, die Angst vor den seit Jahren verfolgten Sanierungsplänen und der drohenden Vertreibung hatte viele zermürbt und krank gemacht. Bei den Besuchen fanden wir bei vielen Psychopharmaka auf dem Küchenschrank, zum Teil dicke Hämmer. Als wir Peter Stankowski von der „Ambulanz im SSK“ davon erzählten, untersuchte er einen Teil der Sanierungsopfer und attestierte 12 von ihnen, dass deren psychische oder psychosomatische Krankheiten auf die jahrelange Angst vor der Vertreibung zurück zu führen waren.

Für ihn hatte das zunächst schlimme Folgen: Ihm wurde von der Ärztekammer und in der Lokalpresse ein Gefälligkeitsgutachten unterstellt, was die Kammer nach einem heftigen Gespräch mit Stankowski, Roggendorf und mir zurücknehmen musste.

Mit dem Rechtsanwalt Detlef Hartmann leiteten wir unter Vorlage der Atteste ein Normenkontrollverfahren beim Oberverwaltungsgericht in Münster ein, mit dem Antrag, die Pulheimer Sanierungsatzung als nichtig auf zu heben, weil sie das Grundrecht auf Gesundheit und Leben der betroffenen Bewohner verletze.

Meines Wissens hatte zum ersten Mal ein Obergericht in Deutschland zu entscheiden, ob für Wirtschaftsförderung und Konsum orientierten Stadtumbau auch Gesundheit und Leben von Menschen aufs Spiel gesetzt werden darf.

Das Gericht entzog sich dieser Grundsatzentscheidung, indem es formale Gründe suchte und fand, um die Sanierungssatzung für null und nichtig zu erklären. Aber in Pulheim war Schluss mit dem Sanierungsterror, der Planungsdezernent Rüttgers, der spätere NRW Ministerpräsident, stand vor den Trümmern seiner „,Sanierung“, die meisten Wohnhäuser stehen heute noch.

Wie sehr die verschiedenen Zweige des Klassenkampfs von oben miteinander verknüpft sind, zeigte sich an folgendem Vorfall:

Die Rentnerin Frau F., alleinstehend, bewohnte ihr Elternhaus mit Garten, das aber im Sanierungsgebiet lag und für eine Straße zum Abriss vorgesehen war. Zermürbt durch die jahrelange Bedrohung und Ungewißheit, sagte Frau F. am Telefon zu Nachbarn, dass dies kein Leben mehr für sie sei. Aus Sorge, sie würde sich etwas antun, informierten die Nachbarn den Hausarzt, der den Amtsarzt und als dieser vor Frau F.s Haustür erschien, glaubte sie, nun sollte sie geräumt werden und verbarrikadierte die Tür. Der Amtsarzt forderte die Polizei zur Amtshilfe an, die brach die Tür auf, erschoss Frau F.s Schäferhund, überwältigte sie und lieferte sie bei der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Uniklinik ab.

Ihr sehr großes Glück war, dass eine junge Ärztin Dienst hatte, die Frau F.s ständig wiederholten Satz, „Die Gemeinde will mein Haus stehlen!“, nicht als Wahnidee abtat, sondern nachfragte und sich von Nachbarn telefonisch bestätigen ließ, dass tatsächlich eine Enteignung drohte. Daraufhin die Ärztin: „Dann ist die Gemeinde verrückt und nicht die Frau“, beruhigte Frau F. und entließ sie nach ein paar Stunden nach Hause.

Der „normale“ Verlauf wäre gewesen, die tobende und wirres Zeug redende Frau mit hoch dosierten Psychohämmern abzuschießen, notfalls zu „fixieren“ , und danach wäre im chemischen Nebel der Hintergrund möglicherweise nie mehr aufgeklärt worden und das Leben der Frau im Extremfall in der Anstalt geendet.

Ich bekam die Möglichkeit, beim WDR als Autor über die Pulheimer Sanierung einen Fernsehfilm zu drehen: „ Gegen Bagger kämpfen“. Unzensiert kamen die Betroffenen zu Wort und brachten ihre Wut zum Ausdruck, die Verantwortlichen in ihrem bürokratischen, eiskalten und unehrlichen Verhalten wurden ihnen gegenübergestellt. Die Stadtoberen protestierten danach wutentbrannt, Worms tobte im WDR-Verwaltungsrat und ein FDP-Abgeordneter erstattete Strafanzeige. Bei einer Vorführung des Films in der Pulheimer Stadthalle konnte aber keiner auch nur einzige falsche Tatsachenbehauptung nennen. Eine halbe Stunde nach der Ausstrahlung des Films gab es eine Live-Diskussion, an der neben Rüttgers auch Wilhelm Roggendorf, Detlef Hartmann und ich teilnahmen.

In der Zwischenzeit hatten Studenten mehr als hundert Zuschaueranrufe entgegen genommen und in Stichworten festgehalten. Aus allen Ecken und Enden von NRW hatten sich Sanierungsopfer gemeldet und ihre Empörung und Verzweiflung und zum Teil offenen Hass auf die verantwortlichen Politiker und Verwaltungschefs zum Ausdruck gebracht.

Sanierung Bergneustadt:

In Bergneustadt wurde eine Arbeitersiedlung zum Sanierungsgebiet erklärt. Hier war der Grund, dass eine große Metallwarenfabrik immer näher herangerückt war und unerträglichen Lärm verursachte. Wenn die großen Stanzen liefen, klirrte das Geschirr in den Küchenschränken. Alle Beschwerden verliefen aber im Sande und als die Bewohner ein eigene Untersuchung vorlegten, die weit überschrittene Grenzwerte nachwies, erklärt die Stadt die Siedlung kurzerhand zum Industriegebiet, in dem viel höhere Grenzwerte galten. Mit Mitteln des Städtebauförderungsgesetzes sollten die Bewohner umgesetzt werden. Als eine Frau ihre Haus aus Angst verkaufte, zeigte sich dass die Umwidmung zum Industriegebiet einen enormen Wertverlust verursachte: Sie bekam eine Kaufsumme, die gerade für ein neues Grundstück reichte. Ihr leeres Haus wurde vorübergehend vom SSK–Oberberg besetzt und wir organisierten gemeinsam mit den (meist alten) Bewohnern den Widerstand. Mit unserer Hilfe klagten drei Familien gegen den Sanierungsbeschluss und hatten beim Verwaltungsgericht Erfolg: es hob ihn als schon allein deswegen als rechtswidrig auf, weil ein ganzes Drittel der Stadtverordneten bei der Firma beschäftigt, somit befangen war und nicht hätte mitwirken dürfen.

Als die Stadt in Berufung und somit das Elend für die Bewohner weiterging, protestierten sie gemeinsam mit SSK-Leuten aus Oberberg und vom Salierring in der nächsten Ratsitzung.In der Bürgerfragestunde fragte ich, ob der Stadtrat glaube das Recht zu haben, für das Profitinteresse einer rücksichtslosen Firma Gesundheit und Leben des ärmeren Teils der Bergneustädter opfern zu dürfen. Dazu wollte ich ein Attest eines Bergneustädter Hausarztes verlesen, der einer Patientin aus dem Sanierungsgebiet schwere, teils lebensbedrohliche Krankheiten als Folge ihrer ständigen Angst vor Vertreibung attestierte und forderte, ihr gegenüber sofort die Sanierungspläne aufzugeben, weil sonst alle seine medizinischen Behandlungslichkeiten unwirksam wären.

Der Bürgermeister untersagte aber die Verlesung des Attests, obwohl die Frau anwesend war und das ausdrücklich wünschte; als ich trotzdem weiter las, schaltete er mein Mikro aus; auch ohne zitierte ich nun lauthals weiter daraus, daraufhin unterbrach er die Sitzung bei heftigen Protesten im Zuschauerraum. Nach einer halben Stunde eröffnete er sie erneut, ich aber trat wieder vor und setzte die Verlesung fort. In einer Art Panikreaktion schloss er nun die Ratsitzung im Tumult, obwohl noch kein einziger Tagesordungspunkt behandelt war.

Vor der Neuauflage der Sitzung ein paar Wochen später zog die Verwaltung die Berufung zurück. Die Sanierungssatzung blieb unwirksam, die Siedlung besteht nach wie vor; Lärm gibt es gar nicht mehr, weil die Firma Jahre später sowieso aus Arbeitschutzgründen erhebliche Lärmschutzmaßnahmen ergreifen musste.

Ganz sicher hat der SSK auch hier entscheidend mit dazu beigetragen, dass viel Leid, Angst und Verzweiflung von unschuldigen Menschen genommen wurde und damit auch Ursachen für die Krankheiten bekämpft, denen die Psychiatrie nur mit Symptomkuriererei begegnen kann.

Die „Ambulanz im SSK“, in der Ärzte unentgeltlich Arme und „Illegale“ behandelten, hat dazu eine Broschüre herausgebracht: „Sanierung macht Angst – Angst macht krank – Sanierung macht krank“.

Heftige Kämpfe und Besetzungen gab es im Hansaviertel, welches von Versicherungen wie Gothaer, Allianz und Gerling nach und nach durch immer neue Bürokomplexe als Wohngebiet zerstört wurde. Obwohl die Umwandlung von Wohnraum in Gewerbeflächen verboten war, setzten sich die Versicherungen darüber hinweg: von der Stadt geduldete Rechtsbrüche!

Deshalb beteiligten sich auch Stadtplanungs-Studenten der Aachener Uni und der Vorstand des SPD Ortsvereins Altstadt Nord an der Besetzung des Gothaer Hauses Gladbacherstr. SPD Boss Herterich rief daraufhin eine Ortsvereinsversammlung ein, mobilisierte die SPD-Karteileichen in der Stadtverwaltung und der Vorstand wurde abgewählt.

Zu den Abläufen und Hintergründen gibt es die SSK Broschüre: „Wer zerstört die Stadt“ – Warum der SSK das Recht hat gegen die GOTHAER Versicherung zu kämpfen.“

Ludwigs Museum

Dass es beim SSK nicht um „Wohlfahrtsökonomie“ oder „karitative Scheiße“ ging, wie kommunistische Sektierer erklärten, sondern um „Klassenkampf“ in der Praxis, zeigte sich auch an der Kampagne gegen das Ludwig-Museum. Es ging dabei nicht um das Museum selbst, sondern um den hunderte Millionen teuren Umbau, um am Dom Platz dafür zu schaffen. Das Geld fehlte im Sozialbereich. Deshalb besetzten wir immer wieder große leerstehende Gebäude wie das physikalische Institut in der Südstadt und eröffneten dort symbolisch das Museum. Josef Beuys unterstützte uns: Moderne Kunst brauche keine prominenten Standorte und könne auch in einer Industriehalle untergebracht sein.

Wir „überfielen“ Ludwig bei einer privaten Führung im Wallraff-Richartz-Museum, forderten ihn auf, anhand der prekären Situation seiner marokkanischen Arbeiterinnen in der Schokofabrik zu erklären, wie man Mäzen wird, und boten an, seine Kunst kostenlos nach Aachen zu transportieren, weil sie den Kölner Armen zu teuer zu stehen käme. Die Führung endete im Tumult, einen Einsatz der angerückten Polizei lehnte Ludwig aber ab. Ein Paar Tage später schickte er einen Brief, in dem er des Langen und Breiten erklärte, der Standort am Dom sei nicht sein Wunsch gewesen, sondern allein der des Stadtrats.

Auch in Wuppertal hatte sich eine SSK-Gruppe gegründet. Dort hatte die Stadt mit der brutalsten Form von Stadt“sanierung“, der Flächensanierung, begonnen: Die Bagger sollten ein gesamtes Wohnquartier abräumen. Die Dortmunder Selbsthilfe, von ehem. SSK Leuten mitgegründet, kämpfte gegen gleich zwei Sanierungen.

Die Wuppertaler Gruppe hatte ein Konzept für einen Gebrauchtbaumarkt entwickelt, welcher in einer leerstehenden Fabrik verwirklicht werden sollte, wo also gebrauchte Türen, Fenster, Balken, Bretter, Steine, usw. verkauft werden sollten. Die Stadt sollte die eingesparten Transport- und Verbrennungskosten erstatten, was eine gute finanzielle Basis ergeben hätte. Das Projekt scheiterte, weil die evangelische Kirche ihre ursprünglich ins Auge gefasste Beteiligung absagte, die besetzte Fabrik wurde geräumt. Die Gruppe hatte ihre ganze Kraft in das Zukunftsprojekt gesteckt, die damit zerstörte Hoffnung überlebte sie nicht.

Der Kampf gegen die Vernichtung billigen Wohnraums und die Durchsetzung des Rechts auf menschenwürdiges Wohnen ist also der zweite Schwerpunkt, in welchem der„sozialrevolutionäre“ SSK große Erfolge erzielte, die bis heute andauern.

Porzer Selbsthilfe

Im Winter 1981 kam der links-abweichende SPD Abgeordnete Thüsing mit einem Roma-“Anführer“ zum Salierring und suchte Hilfe: Er betreute eine obdachlose Roma-Gruppe in Bonn und hatte sie zeitweise in Räumen des Bundestags untergebracht, weil alle Kommunen jede Hilfe ablehnten. Wir erklärten uns bereit, mit denen und Thüsing ein leerstehendes Gebäude zu suchen und zu besetzen.

Bevor es dazu kam, tauchte plötzlich der Rom bei uns auf: Seine Leute seien mit kaputten Wohnwagen auf der Autobahn liegen geblieben und wüssten nicht wohin.

Wir holten sie und brachten sie notdürftig unter, am Salierring ca 10 Personen in dem Zimmer, welches für die Erweiterung der beengten Wohnung meiner Familie vorgesehen war, die das dritte Kind erwartete.

Auch die Stadt Köln lehnte die Unterbringung der Menschen ab, obwohl die notdürftige Unterbringung beim SSK ja menschenunwürdig war. Wir besetzten das Büro des Wohnungsamtsleiters Kessler, der es schließlich räumen liess. Er stand an der Tür, als die Polizeibeamten uns raus führten, im Vorbeigehen hörte ich ihn mehrmals deutlich sagen: „Porz Ensenerweg“.

Am Nachmittag fuhr ich mit den Kindern und Peter Bettelmann hin und fand drei leerstehenden Wohnblocks vor. Im SSK war sofort klar, das wir diese mit den Roma besetzen und schnell fanden wir raus, dass der Leerstand dieser erst ca 10 Jahre alten Sozialbauten auf der Korruption light beruhte, die in Köln als „Klüngel“ verharmlost wird. Das Gelände grenzte eine an altes Fabrikgebäude, welches dem FDP Stadtverordneten Faber gehörte, für Sozialbauten also ein angemessener Ort. Doch Faber hatte es geschafft, das Gelände als reines Wohngebiet überplanen zu lassen, in Rhein Nähe also für die obere Mittelschicht. Da störte nun die Nachbarschaft des gemeinen Pöbels erheblich und also beschloss der Stadtrat den Abriss der Wohnblocks.

Wir besetzten die Häuser und nach erfolglosen öffentlichen Protesten gelang es uns, die Sicherheitsvorkehrungen des Wohnungsbauministeriums in Düsseldorf zu überwinden und in die Büroräume des Ministers Zöpel vorzudringen. Der hörte uns schließlich an, prüfte die Sache und wies den Oberstadtdirektor an, den Abrissbeschluss des Rats zu beanstanden, weil der Wohnraum ja auch mit Mitteln des Sozialen Wohnungbaus errichtet worden war. Länger als ein Jahr hielten die Besetzer dort mit Unterstützung des SSK ohne Strom aus und es entwickelte sich eine vielfältige Gemeinschaft, bis endlich die Stadt mit dem Verein Porzer Selbsthilfe gegen Wohnungsnot einen Erbbaurechtsvertrag abschloss, der inzwischen verlängert wurde.

Marienstrasse Ehrenfeld

Als immer mehr Leute beim SSK Ehrenfeld vorsprachen und billige Wohnungen suchten, kümmerten sich die SSK-Leute um 11 gut erhaltene Wohnhäuser, die – quasi um die Ecke – In der Marienstraße und Lessingstraße leer standen. Sie fanden heraus, dass der Hintergrund ein Spekulationsgeschäft zwischen der aus gesiedelten Firma Mauser, der Stadtsparkasse und dem Spekulanten Kaiser war. Zentrale Figur war der Mauser-Personalchef, CDU-Stadtrat und Sparkassen-Verwaltungsrat Lohmer.

Zusammen mit Wohnungsuchenden besetzten die SSK-Leute die Wohnungen, brachten das unsaubere Geschäft an die Öffentlichkeit und es entwickelte sich ein Wohnprojekt, dass heute noch besteht. Seine Geschichte erzählt Detlef Hartmann in dem Buch von Barbara und Kai Sichtermann über Hausbesetzungen in Deutschland „Dies ist unser Haus“ .

Künstlerhaus Rolandstraße 92

Die Geschichte des Künstlerhauses Rolandstr. 92 habe ich gerade für eine Broschüre zum 40jährigen Besetzungsjubiläum aufgeschrieben, hier der Text:

Zur mutmachenden Geschichte des Künstlerhauses Rolandstraße

Im Frühjahr 1978 kam an einem Donnerstag ein gut gekleideter Mann in die morgendliche Arbeitsversammlung der Sozialistischen Selbsthilfe Köln ( SSK ) am Salierring und fragte, ob er mich mal kurz allein sprechen könne. In meiner Küche stellte er sich als Angestellter des renommierten Architekturbüros Neufert vor. Er sei empört, weil sein Chef dabei sei, einen unsauberen Deal mit der Stadt abzuschließen.

Die Stadt wolle ihm das Haus Rolandstr. 92 verkaufen, obwohl es vom Kölner Maler Abelen für notleidende Künstler gestiftet wurde, damit diese darin zu geringen Kosten wohnen und arbeiten können. Bis auf eine alte Frau wären die alten Mieter schon rausgesetzt worden. Er hoffe, der SSK könne das unmoralische Geschäft und die geplante Luxusmodernisierung verhindern, aus Angst um seinen Job wolle er aber anonym bleiben.

Nachdem er gegangen war, erzählte ich das in der SSK Versammlung und einmütig beschlossen wir, dagegen vorzugehen. Am selben Tag noch schrieb ich einen Protestbrief an den Oberstadtdirektor und gab ihn im Rathaus ab. Am darauf folgenden Dienstag erreichte uns ein Brief des Stadtdirektors Baumann, in dem kurz und bündig mitgeteilt wurde, dass leider am Montag der Kaufvertrag bereits notariell abgeschlossen worden und also nichts mehr daran zu ändern sei.

Im SSK wollten viele dieses kaltschnäuzige Vorgehen sofort mit einer Besetzung beantworten. Aber wir alle waren uns dann einig, dass auch wir den Stiftungszweck zu beachten hätten und die leeren Wohnungen nicht für uns oder andere Wohnungslose in Anspruch nehmen dürften. Wir suchten und fanden „notleidende Künstler“, die einen Verein gründeten und gegenüber der Stadt und der Stiftungsaufsicht beim Regierungpräsidenten ihren Anspruch auf den Wohnraum anmeldeten.

In einer stadtweiten Plakataktion wurde das unsaubere Geschäft mit dem reichen Architekten Peter Neufert, einem früheren Prinz Karneval, angeprangert, die Tochter des Stifters wurde in Süddeutschland aufgesucht und auch sie legte Protest ein, der zuständige Beamte beim RP zögerte die Genehmigung des Kaufvertrags hinaus und erklärte vorweg, dass die zukünftigen Bewohner das unter Denkmalschutz stehende Treppenhaus Kunst-interessierten Besuchern zugänglich machen müssen und schließlich besetzten die Künstler mit Unterstützung des SSK die leeren Wohnungen.

Nun kam ein offizieller Abgesandter von Neufert zum Saliering und bot in seinem Namen ein „Gentleman Agreement“ an: Er trete vom Kaufvertrag zurück, wenn der SSK ihn für diesen sozialen Schritt in einer Plakataktion loben würde. Wir nahmen das Angebot an und als er am nächsten Tag den Text abholen wollte, sagten wir, dass wir es einfach nicht hingekriegt haben, einen Kapitalisten zu loben und Neufert solle den Text doch selber schreiben. Das tat er, heraus kam ein kabarettreifer Nonsense, der mit dem Layout von Jochen Stankowski zu einem der besten Protestplakate in Köln wurde: Aus dem Mund des fliegenden Batmans Neufert quoll die Sprechblase: Ich, Peter Neufert …. usw“. Der Deal war geplatzt.

Das Künstlerhaus Rolandstraße ist nach alledem eine echte Erfolgsgeschichte im Widerstand gegen ethisch verwerflichen Klüngel, gegen Vernichtung billigen Wohnraums durch Luxusmodernisierung, gegen Gentrifizierung, wie man heute sagt. Und dafür, dass geschwisterlicher Zusammenhalt von uns hier unten die da oben durchaus auch mal klein kriegen kann.

Darauf können wir alle ruhig ein bischen stolz sein und im Herbst das 40jährige Besetzungsjubiläum feiern.

Singerbrinkstraße Gummersbach

Am Rand der Gummersbach Innenstadt stand seit langen Jahren ein großes, massives Haus in gutem Zustand leer. Die Recherchen ergaben, dass es sich um ein ehemaliges Kinderheim der katholischen Kirche handelte, eine wohltätige Stiftung von Anfang des 20.Jahrhunderts für Waisenkinder.

Der Eigentümer, der Erzbischhöfliche Stuhl in Köln, lehnte eine Vermietung ab, auch der Hinweis, dass durch den Leerstand ja Stiftungsvermögen von Waisenkindern veruntreut wurde, zog nicht. Daraufhin wurde das Haus vom oberbergischen SSK besetzt. Es folgten weitere Angebote und Verhandlungen mit den katholischen Grundstücksspekulanten in Köln.

Dann kam aus heiterem Himmel die Räumung: In aller „Herrgottsfrühe“ wurde das Haus von Polizei umstellt, die Bewohner aus dem Schlaf gerissen und nach draußen getrieben. Nur wenige Minuten blieben ihnen , um ein paar Sachen zusammen zu raffen. Draußen stand der Bagger schon bereit und begann sofort mit dem Abriss. Ein großer Teil des persönlichen Besitzes der Bewohner wurde unter dem Schutt begraben, Möbel, Kleidung, Bücher, Dokumente, auch die Spielsachen und Fotoalben der 3jährigen Tochter der allein erziehenden Engländerin Jane.

Wutentbrannt wurde das Büro des Stadtdirektors von den nun obdachlosen Menschen besetzt, bis eine evangelische Tagesstätte eine vorläufige Unterkunft bot.

Am nächsten Tag erschien die Lokalpresse mit der Schlagzeile: „Jesus hätte es genauso gemacht“. Das war ein Zitat des Dechants Herweg, der so die Brutalität der Räumung begründen wollte. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge ,viele Unterstützer, auch evangelische Pfarrer meldeten sich und unter dem öffentlichen Druck war die Stadtverwaltung dann bereit, dem SSK ein Anwesen am unteren Ende der Singerbrinkstraße, ein leerstehendes Firmengelände, zu vermieten.

Die Kirche hatte die plötzliche Räumung damit begründet, dass auf dem Grundstück ein dringend benötigtes Altenheim gebaut werden müsse, aber mindestens 10 Jahre lang tat sich dort nichts. Angesichts der Gewalttätigkeit ihres Vorgehens kam mir ein Kommentar der Kirchenzeitung von 1973 wieder in den Sinn: da wurde in der Sprache der Nazis der SSK verhetzt und gefordert, dass endlich ein „Arzt“ kommen müsse, „der auf beiden deutschen Augen furchtlos den ideologischen roten Star sticht“.

Tschernobyl: Das Fanal

Tschernobyl war auch für viele SSK-Leute ein Schock. Es öffnete den Blick auf ein ungeheures Zerstörungspotenzial, mit dem der Konsumkapitalismus und seine Wachstumswirtschaft die Lebensgrundlagern aller Menschen bedrohte. Wir waren ja angetreten, gegen seine sozialen Schäden und Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und ihm eine andere Lebensweise entgegen zu stellen.

Einige von uns überlegten daher, wie wir als SSK auf diese Bedrohung reagieren können, andere aber fühlten sich mit diesen Überlegungen überfordert. Im neuen Gummersbacher SSK-Domizil traf sich alle paar Wochen eine Gruppe und diskutierte, welche Folgen für uns aus der Tschernobyl-Kastrophe zu ziehen wären. Dazu gehörten neben Gummerbacher und Kölner SSK Leuten oberbergische Unterstützer, Studenten aus Köln, Maria Mies, Sharal und Peter von Dohlen.

Im Januar 87 kam die engagierte Grüne Monika zur Arbeitsversammlung des SSK, empört darüber, dass ein Güterzug voll verstrahlter Molke auf dem Kölner Güterbahnhof stand und kein Protest sich regte, auch nicht in der grünen Partei. Denn die Firma Meggle hatte die Molke an einen windigen Geschäftemacher verkauft, der sie in Ägypten klammheimlich als Kindernahrung weiter verkaufen wollte: Eine kriminelle Aktion unter den Augen des Staates.

Monika fuhr auch mit zur nächsten Ratssitzung in Köln rüttelte uns auf und einmütig wurde beschlossen,die Waggons aufzubrechen und die krank machende Molke mit Altöl ungenießbar zu machen. Die Aktion wurde an einem Sonntag Nachmittag durchgeführt, 40 Waggons aufgebrochen, Molkesäcke aufgeschlitzt und mit Altöl verschmutzt. Express Schlagzeile : „Chaoten stürmen Atomzug“.

Derart in die Öffentlichkeit gezerrt war das mafiöse Geschäft geplatzt und jetzt zeigte sich an einem Behördenchaos der ganze Wahnsinn der Nutzung der Atomenergie: Denn alle staatliche Stellen vom Ministerium in Bonn bis zur Kölner Stadtverwaltung standen völlig ratlos vor dem Problem der Molke, die durch einen tausende Kilometer entfernten Unfall in einem AKW verstrahlt worden war. Nicht einmal dafür hatten sie eine (nicht-kriminelle) Lösung, die Lüge der beherrschbaren Atomenergie war dadurch offenkundig.

Es gab eine Konferenz beim Bundesumweltminister Wallmann, um der Öffentlichkeit zumindest eine Scheinlösung zu präsentieren. Der Versuch einer Gruppe von SSKlern und Klaus dem Geiger, dort einen Protestbrief zu übergeben,endete mit einem harten Polizeieinsatz und einem Strafverfahren wegen Verstoß gegen das Bannmeilengesetz.

Diese Aktion, die Strafprozesse und die Hintergründe des Molke–Atom–Skandals sind in der Broschüre „ Die Gnade der Verdrängung“ dokumentiert (Der Titel ist ein Zitat eines der Strafrichter).

Subsistenzwirtschaft / Postwachtstumsökonomie / Degrowth

Durch eine von Maria Mies und Vandana Shiva organisierte Tagung in der evangelischen Akademie in Bad Boll lernten wir die sogenannte Subsistenzperspektive kennen. Die anwesenden Menschen aus der sogenannten „Dritten Welt“ verlangten alle, das der „Norden“ seine verschwenderisches und ausbeuterisches Wirtschaftssystem ändern und sich von dem konsumistischen Ideal lösen müsse: Andernfalls verbreite es sich mit seinem Zerstörungspotential über die ganze Welt. Helena Norberg Hodge zeigte das eindringlich am Beispiel des Niedergangs einer seit 2000 Jahren bestehenden Subsistenzgesellschaft in Ladakh/Himalaja durch den Einbruch der westlichen „Zivilisation“.

Das materiell bescheidene Leben im SSK entsprach dem Geist der Subsistenz ja bereits, auch die wirtschaftliche Grundlage, soweit sie auf der Verwertung des Mülls der Überflussgesellschaft beruhte. nIn einer nachhaltigen Gesellschaft dürfte es diesen Müll aber überhaupt nicht geben. Deshalb war die Kernfrage offen, ob auch in der Produktion und vor allem in der Urproduktion, dem Landbau, eine Umstellung von der energiefressenden ,industriell ausgerichteten Wachstumswirtschaft auf eine an der Subsistenz ausgerichtete möglich war. Also eine, die aus sich selbst heraus besteht, die Kreisläufe schließt, Umweltzerstörung vermeidet. So wie es die Bauern hierzulande Jahrhunderte lang praktiziert haben und es die allermeisten Menschen in den armen Ländern heute noch tun, wenn man sie lässt.

Ein Wirtschaften im Sinne der Subsistenz, das entsprach genau dem Geist des damaligen SSK.

Über Richie Pestemer kamen wir in Kontakt mit Peter von Dohlen, der als sachkundiger Bürger der Grünen im Kölner Stadtrat vergeblich versucht hatte, die Kompostierung der Kölner Küchenabfälle durch zu setzen, und zwar in einem neuen System, das er „Wärme-isolierte Behälterkompostierung“ nannte.

Nach diesem System har der SSK im Hinterhof Salierring 37 einen alten Öltank entsprechend umgebaut, es ausprobiert und es funktionierte: In 3 Wochen fertiger Frischkompost. (Nähere Erläuterungen dazu in der Broschüre „Land in Sicht“, die Meggie Lück und ich heraus gegeben haben (Ist im Internet zu finden).

In Köln ließ sich das System nicht durchsetzen, obwohl sogar die organischen Abfälle des Regierungspräsidiums in der Zeughaustraße eine Zeit lang am Salierring kompostiert wurden. Aber auch in Wuppertal, Gummersbach und Bergneustadt wurden solche Behälter gebaut. Auch hier boten die SSK Gruppen den Kommunen an, ihre organischen Abfälle gegen die ohnehin entsehenden Entsorgungskosten so zu kompostieren, dass der Kompost für den Lebensmittelanbau geeignet ist, allerdings erfolglos.

Schließlich kam aber ein Vertrag zwischen der Gemeinde Reichshof und dem SSK zustande: Sie verzichtete auf eine flächendeckende braune Tonne; stattdessen holten die SSK-Leute entweder zu einem bestimmten Preis die Abfälle ab, oder sie konnten zu einem geringeren an der Anlage (einem wärme isolierten Tunnel) abgegeben werden. Das Einsammeln wurde sehr sorgfältig betrieben: Jeder Haushalt bekam einen eigenen (überprüfbaren) Behälter, an einem Förderband wurden alle Fremdstoffe per Hand aussortiert: Das Ergebnis war sauberer Kompost.

Alle Grossanlagen können mit hohem technischen Aufwand die teils giftigen Fremd-stoffe nicht sämtlich entfernen, so entsteht minderwertiger Kompost, der alle möglichen klein geschredderten Fremdstoffe – meist Plastik- enthält, für den Lebens-mittelanbau ungeeignet. Deshalb wird er teils verbrannt, teils an die Autobahn geschmissen: Ein ökologisch sinnloser, letztlich Klima schädlicher Aufwand, eine reine Gelddruckmaschine für die Abfallindustrie.

Doch alle Küchenabfälle müssten sorgfältig kompostiert und im Landbau als Dünger und Bodenverbesserer eingesetzt werden, allein aber schon deshalb, um das darin enthaltene Phosphor zu retten. Dieser Grundnährstoff der Pflanzen geht im Unterschied zu Kalk und Stickstoff nämlich in absehbarer Zeit zu Ende; weltweit sind die wenigen Vorkommen bald abgebaut und dann kommt die Zeit des Kunstdüngers an ihr Ende. (Weil sich mit die letzten Vorkommen in Nordafrika befinden, „schützen“ Bundeswehr und französische Truppen neben den „Menschenrechten“ der Bevölkerung auch die „Menschenrechte“ der europäischen Agrarindustrie an der Phosphatausbeutung).

Das Kompostprojekt in Eckenhagen wurde von SSK Leuten aufgebaut: aus Köln Klaus und Petra vom Salierring mit 2 Kindern, Peter und Giovanna aus Wuppertal mit 2 Kindern, Stefan und Norbert vom Gummersbacher SSK waren anfangs auch dabei, später kamen Peter Nauroth, Albert, Mark, Ferdi und andere dazu.

Die Gummersbacher Gruppe löste sich unter unschönen Begleitumständen auf, als die Stadt das Gelände kündigte.

Irgendwann riss der Kontakt der Hüngringhauser zum Salierring ab, es gab innere Auseinandersetzungen, die Gruppe teilte sich in Kompostierer und „Wegepflege-Dienstleister“ und der politische „SSK-Kampf“ kam zum Erliegen. Weil die Gruppe nun eher ein Arbeitskollektiv war, zog sie daraus die Konequenz, legte den Namen SSK ab und gründete den Verein „Arbeit und Zukunft“.

Das Verhältnis Energieverbrauch–Arbeitsplätze zwischen der Eckenhagener Kompostanlage und der grossindustriellen in Engelskirchen – so hat mal ein Fachmann ausgerechnet – war umgekehrt proportional: Hier 5 mal weniger Energieeinsatz, aber 5 mal mehr Arbeitsplätze pro Gewichtstonne als in der Grossanlage..

Die auf sozialem Gebiet und der Umwelt positivere Bilanz wurde nicht durch einen Zuschlag finanziell berücksichtigt, die Schäden der Grossanlagen nicht durch Abgaben ausgeglichen. Würde das gerechter weise geschehen, so ergäbe das neben der guten Ökobilanz bei hunderten kleiner Anlagen tausende auskömmliche Arbeitsplätze auch für „Ungelernte“. Aber die Profite von Banken und Maschinenindustrie würden natürlich stark zurück gehen.

Wir haben auch Kompostversuche zusammen mit der Gesamtschule Gummersbach, dem Forstamt und dem Waldbodensachverständigen NRW im Staatsforst 5 Jahre lang durchgeführt um die symptomkurierenden Waldkalkungen zu ersetzen.

Im Augenblick zeigen Nadel- und Laubwälder durch eine bisher unbekannte, dramatische Dürre Schäden, deren Folgen noch nicht ab zu sehen sind. Die Kompost-Ausbringung hätte nicht nur wie der Kalk den Säuregrad neutralisiert, sondern auch mit wasserspeichernden Humus der Austrocknung des Bodens entgegen gewirkt. Ratlos blicken jetzt die Förster in die Zukunft, die alten Regeln und Gewißheiten gelten nicht mehr. Versuche mit sauberem Kompost im Wald müssten unbedingt wieder aufgenommen werden, wenn es diesen denn gäbe. Brechen Waldbestände in größerem Ausmass zusammen, was jetzt zu befürchten ist, würde das Klima durch die ausfallende CO2-Bindung weiter erheblich angeheizt.

Subsistenzlandwirtschaft

Eine Erbschaft bot mir die Möglichkeit, eine völlig heruntergekommene kleine Hofstelle zu kaufen und auf diese Weise ein „Schwesterprojekt“ zur Kompostieranlage zu verwirklichen (Geldwert: ca. ein Viertel einer „normalen“ Eigentumswohnung in Ehrenfeld). Meine Verantwortung als alleinerziehender Vater von 3 Kindern konnte ich auf diese Weise mit den alten SSK-Zielen verbinden – wenn auch vielleicht in beide Richtungen mehr schlecht als recht.

Gemeinsam mit Meggie baute ich den Hof größtenteils mit Abfällen wieder auf und wir lernten von alten Bauern die Arbeitsweisen und Anbaumethoden der Subsistenzwirtschaft, erweiterten diese aber z.B. mit modernen Fotovoltaik-Anlagen. Im Unterschied zu Biobauern waren für uns eine positive Energiebilanz und deshalb auch lokale Kreisläufe die oberste Richtschnur, damals schon im Hinblick auf den Klimawandel und die Umweltschäden der industriellen, aber auch der biologischen Landwirtschaft.

Im Nachhinein habe ich einen Entwurf für ein Konzept unserer bäuerlichen Arbeitsweise aufgeschrieben, das – noch ohne Fotos – bald auch auf diese Homepage gestellt wird.

Wie das Kompostprojekt verlangt auch diese Art Landbau einen materiell bescheidenen Lebensstil im Sinne des alten SSK, bietet allerdings auch dessen Freiheit und Unabhängigkeit, in politische und soziale Auseinandersetzungen einzugreifen, was wir getan haben und tun, zum Teil sehr erfolgreich. Zwei Beispiele:

So haben wir das „Netzwerk gentechnikfreies Oberberg“ mit ins Leben gerufen und mit Veranstaltungen, Anträgen bei Gemeinderäten und Flugblättern über die Gefahren der grünen Gentechnik informiert. Wir beteiligten uns auch mit mehreren Traktoren an den Demonstrationen gegen die internationale Gentechniker Konferenz (abic) in den Kölner Messehallen (daran hatte sich auch der SSK-Salierring beteiligt)und einer Gegenveranstaltung im Maternushaus.

Und es gelang einer von uns mit gegründeten und getragenen Attac-Gruppe, in einer intensiven Kampagne mit verschiedenen Protestaktionen, ein beschlossenes Crossborderleasing-Geschäft mit 52 Kläranlagen (200 Mill. Dollar) zu stoppen.

Wie die ursprüngliche „Ladakh-Gesellschaft“ ist auch die Subsistenzwirtschaft nicht nur mit streng ökologischen, sondern auch mit anderen sozialen Zielen verbunden als den „normalen“. Sie steht auch Ungelernten und Menschen aus sogenannten „prekären Verhältnissen“ offen; so waren z.B. Marcello, den es aus Köln Kalk hierher verschlagen hatte und „illegale“ Rumänen beim Kompostprojekt fest angestellt.

Das Einkommen unseres Hofs mit seinen 13 ha (einschließlich Pachtland und Naturschutzgebiet) reichte nicht für einen dritten Arbeitsplatz, wir waren auch so schon auf Mithilfe von Freunden (z.B. bei der Heuernte) angewiesen.

Aber auch unser Hof war (und ist) eine Anlaufstelle für viele Menschen, die in Not geraten, verfolgt oder unterdrückt wurden.

Zum Hof gehörte z.B. mehr als 20 Jahre lang der ehemalige Bayer-Arbeiter Franz, der in der Versuchsabteilung gearbeitet und dabei durch Lösungsmittel völlig vergiftet worden war. Mit 49 Jahren war er berufsunfähig und litt an schweren Depressionen. In der Psychiatrie hatte er ein ehemaliges SSK-Mitglied kennen gelernt und den Kontakt zu uns bekommen. Er half mit Rat und Tat 20 Jahre lang auf dem Hof mit, kam nicht mehr in die Klapse und konnte weitgehend auf Psychopharmaka verzichten.

Immer wieder suchten Menschen von außen Hilfe, die in die Mühlen von Behörden geraten waren. Eine junge Frau konnten wir ein paar Jahre aufnehmen, die aus einer schlechten Pflegefamilie abgehauen und wegen Selbstmordversuch in der Uni-Psychiatrie gelandet war. Sie schaffte hier eine Lehre und studiert heute.

Einen (durch die Bundeswehr) fast blinden Wanderschäfer konnten wir bis heute vor der Psychiatrie und einer beantragten Betreuung bewahren, er beschimpft unflätig die Leute, deren Hunde auf seine Herde los gehen und haut den Autos, die in die Herde fahren, Beulen in die Motorhaube.

Vor allem aber war der Hof all die Jahre ein ständiger Zufluchtsort für Kinder, darunter auch solche aus sogenannten prekären Verhältnissen. Einige von ihnen hat die Teilnahme am Hofleben wohl vor dem sozialen Absturz bewahrt, sie haben heute Familien mit Kindern und leben von eigener Arbeit. Unsere Küche war öfters einer Versammlung im alten SSK zum Verwechseln ähnlich.

Aber natürlich waren und sind weder der Hof noch das Kompostprojekt identisch mit dem „sozialrevolutionären“ SSK, schon weil dessen Gemeinschaft fehlt und weil der Hof nicht Gemeineigentum ist. Mein Traum, ihn zu einer Stiftung für eine anarcho-syndikalistische Gemeinschaft zu machen, scheitert einmal daran, dass ich den finanziellen und bürokratischen Aufwand dafür nicht erbringen kann und zum andern aber, weil zwar im Laufe der Jahre viele das Projekt besuchten und gut fanden, aber niemand die Arbeit und den Konsumverzicht auf sich nehmen will.

So hoffe ich jetzt, dass meine Tochter Dorle, die sich als Agraringenieurin für regionale Landwirtschaft engagiert, den Hof als Lernort für Subsistenz-Landbau erhalten kann. Ich bin fest überzeugt, daß ein solcher in Zukunft dringend gebraucht wird, gerade für Menschen, die durch das dünner werdende „Soziale Netz“ fallen werden und für solche, welche die Freiheit brauchen, Widerstand leisten zu können und Schutz zu finden, z.B. vor Abschiebung oder der Psychiatrie.

Antipsychiatrie / Antifaschismus

Nach dem Ende des Beschwerdezentrums haben die SSK -Gruppen am Salierring und in Ehrenfeld sowie die Porzer Selbsthilfe den Kampf gegen die psychiatrischen Einrichtungen und deren Gewaltstrukturen aufgegeben, der SSM hatte sich ja ohnehin schon lange nicht mehr daran beteiligt.

Als Kurt Holl 2007 vom LVR den „Rheinlandtaler“ verliehen bekam und zur Feier ins Landeshaus einlud, habe ich den SSK -Kampf gegen die medizinische Gewalt wieder aufgenommen und einen offenen Brief als Flugblatt verteilt mit der Forderung an den LVR, endlich seine personelle und ideologische Nazi-Kontinuität aufzuarbeiten. Für mich gab es keinen Zweifel daran, dass die schweren Menschenrechtsverletzungen in den Anstalten nur möglich waren, weil Nazipersonal in Führungspositionen war und Nazigeist fort wirkte, für den ja behinderte und psychisch Kranke „Untermenschen“ oder „Lebensunwerte“ waren.

Ich forderte die Fraktionen der Landschaftsversammlung (des nicht direkt gewählten „Schein“parlaments) auf, diese Aufarbeitung einzuleiten, zunächst beim Gründungsdirektor Klausa, dessen NSDAP und SA-Mitgliedschaft bekannt war, ebenso wie seine rassistische Schrift „Rasse und Wehrrecht“. Ich untermauerte die Forderung mit einem Brief des früheren Gesundheitsdezernenten Kulenkampff, in dem dieser erklärte, ohne den Druck des SSK, der mit seinen Aktionen den „Dreck“ ans Tageslicht gezogen habe, wäre die Politik nicht zu Reformen gezwungen worden.

Man wimmelte ab, aber ich bestand weiter auf der alten SSK-Forderung. Um mich ruhig zu stellen, durfte ich 2011 eine Rede vor dem Gesundheitsausschuss halten, die zum Skandal geriet und sich über die sozialen Medien verbreitete. Die Auschussvorsitzende hatte mich unterbrochen und versucht, meine Ausführungen zu Klausas Nazibelastung zu unterbinden.

Zu dieser Zeit waren die schlimmen Zustände in den Heimen in der Öffentlichkeit und Presseartikeln zum Thema geworden. (die Rainer Kippe und ich allerdings bereits 1970 im Buch „Ausschuss“ veröffentlicht hatten). Der LVR hatte eine Forschung dazu in Auftrag gegeben, welche 2011 unter dem Titel „Verspätete Modernisierung“ vorgelegt wurde. In meinen Augen war sie mehr ein Reinwaschen des LVR und ein Verharmlosen seiner strukturellen Gewalt. Die Nazi-Belastung des Verbands, auch Klausas, fand sich nur in einer Fußnote, der SSK tauchte eher als randalierende Rockertruppe auf. Ich schickte eine ausführliche wütende Stellungnahme an den LVR und die Fraktionen.

Im selben Jahr eröffnete der LVR eine Ausstellung zu „Rassehygiene“ und Nazipropaganda ausgerechnet im ehemaligen LKH Brauweiler, ohne den NS Propagandisten Klausa zu erwähnen. Ich verteilte zusammen mit Christian Frings ein Flugblatt gegen diese Heuchelei und die „Omerta“ und wurde nach lautstarken Auseinandersetzungen wegen Hausfriedensbruchs des Geländes verwiesen.

Im September 2011 sollte das „Denkmal der grauen Busse“ vor dem Landeshaus aufgestellt werden und gleichzeitig drinnen die Ausstellung zur Euthanasie, den Krankenmorden, eröffnet werden.

Die Angst vor öffentlichen SSK-Protesten bei dieser Veranstaltung wegen der bislang vertuschten NS-Kontinuität und den Euthanasie-Schreibtischmördern in ihren Reihen veranlasste die LVR Direktorin Lubek offenbar, das Gespräch mit uns zu suchen.

Heino Lonnemann, Kurt Holl und ich haben es geführt und keinen Zweifel daran gelassen, dass wir anläßlich der „Euthanasieaustellung“ die vertuschte Nazibelastung des LVR und die grausamen Zustände in seinen Einrichtungen anprangern werden.

Die Kulturdezernentin Karabaic sprach dann aber beides zum ersten Mal in der LVR-Geschichte in ihrer Rede, wie zugesagt, offen an. Wie hatten eine lebensgroße Abbildung der Skulptur des Bildhauers Denis Stuart Rose „Mausoleum für Lebende“ (Ein Mensch im Schlafanzug, der versucht durch eine Gittertür auszubrechen) mit Texttafel und Hinweis auf die Toten von Brauweiler aufgestellt. Auf Wunsch der Künstler wurde diese dann zum Teil der Ausstellung im Foyer des Landeshauses. Heute hat das „Dokumentationszentrum der Geschichte der Psychiatrie“ im ehemaligen Haus 5 in Düren die Skulptur gekauft und als Mahnmal vor den Zellen aufgestellt und weist auf die Verdienste des SSK auch um die Schließung dieses schlimmsten Psychiatrie-knasts hin.

2012 veröffentlichte die englische Historikerin Mary Fulbrook ihre Forschung über Klausa und seine Tätigkeit als Nazi-Landrat in der Nähe von Auschwitz, eine ziemliche Katastrophe für den LVR, zumal er seinen Übervater noch 2010 mit einer Ausstellung zu seinem 100sten Geburtstag über Gebühr geehrt hatte.

Die Euthanasie Ausstellung berührte das „Eingemachte“ des alten, „sozialrevolutionären“ SSK, den Kampf gegen die totalitärste Gewaltstruktur des Staates. Aber keine der SSK-Gruppen vom Salierring oder Ehrenfeld beteiligte sich an der Demo, auch nicht die Porzer Selbsthilfe, der SSM war schon ausgestiegen, als er noch eine SSK.Gruppe war.

Es beteiligten sich außer mir nur die ehemaligen SSK-Mitglieder Heino, Alix und Ulla, aber auch Klaus Schmidt und Jens Tanzmann, der Pulheimer Lehrer, der das Schüler-Geschichtsprojekt über das LKH Brauweiler angeleitet hatte. Heino hatte sich am Salierring die Abfuhr geholt: „Schnee von gestern“, bei einem von ihm arrangierten Treffen mit dem Journalisten Kronauer im Hof des Ehrenfelder SSK nahm keines von dessen Mitgliedern teil.

Ende der 70er, Anfang der 80er wäre es unvorstellbar gewesen, dass zu einem solchen Anlass der SSK nicht mit aller Power und geschlossen aufgetreten wäre. Wenn es noch eines Zeichens bedurft hätte, dass es diesen SSK längst nicht mehr gab, dann war es dieses demonstrative Desinteresse der „Nachfolgeorganisationen“.

Das ist umso unverständlicher, als im allgemeinen Rechtsruck und dem Ansteigen faschistischer Tendenzen nicht nur in Deutschland die Psychiatrie wieder eine politisch gefährliche Rolle einnehmen könnte: Die anwachsende Zahl der Störenden, Aufbegehrenden, Überflüssigen ruhig zu stellen und gesellschaftlich unschädlich zu machen, diesmal in moderner Form und mit mehr chemischer als physischer Gewalt.

Das vorerst wegen Protesten der bürgerlichen Presse zurückgezogene bayerische Gesetz zur polizeilichen Erfassung aller psychisch Kranken und Auffälligen in Verbindung mit dem neuen Polizeigesetz und seiner „Schutzhaft“ sollte ein Alarmsignal sein. Dies war auch bei den Nazis der erste Schritt, dem Verfolgung und Vernichtung folgten.

Gerade angesichts des aktuellen Naziaufmarschs und der Übergriffe in Chemnitz ist es doch umso unerträglicher, dass schwer belastete Nazitäter nicht nur im Amt und Würden die fetten Pensionen genießen durften, sondern auch mit Ehrungen bedacht wurden: wie Klausa, der immer noch posthum den Ehrendoktortitel der Uni Düsseldorf führt, die ihm der T4-Schreibtischmöder Panse als Lehrstuhlinhaber verschafft hat. Von seiner Ehrenbürgerwürde der Uni Bonn hat sich inzwischen der Senat distanziert.

Ich hatte im Alleingang am Progrom-Gedenktag in der Antoniterkirche ein Flugblatt verteilt (Auschwitz – Luther – Ehrendoktor) und sowohl den vertuschten Beitrag Luthers zu den Progromen als auch Klausas Ehrungen angeprangert. Später in einer Gedenkstunde der Uni Bonn für ihre Naziopfer hatte ich als „Störer“ lauthals darauf hin gewiesen, dass dieses Gedenken angesichts der fortdauernden Ehrung Klausas Heuchelei sei.

Jetzt hoffe ich, dass sich genügend Menschen finden, die mit helfen, dass sein noch unerträglicheren Doktortitel endlich ab erkannt wird. Diese fortdauernde Ehrung eines Nazitäters muss doch für den neuen Nazifaschismus als Ermutigung wirken: Selbst eine Beteiligung an Krankenmord und Holocaust führt nicht zu Strafe und Ächtung, sondern ist für Karriere und Ehrungen nicht hinderlich! Also ist der Rücken frei für heutige Verfolgung und Vertreibung von Flüchtlingen und jedweder brutaler Übergriffe.

Vor 5 Jahren besuchte ich die Gedenkveranstaltung zum Progromtag in Nümbrecht, weil dort der Auschwitz-Überlebenden Rachel Grünebaum gedacht wurde, die zuletzt in Nümbrecht gewohnt hatte. Sie war eine der Mitbegründerinnen des ursprünglichen „Sozialarbeiter-SSK“ und hat ihn in den Anfangsjahren auch praktisch unterstützt. Auch persönlich habe ich ihr viel zu verdanken.

Ich war entsetzt, darüber welche Geschichtsverfälschung da verbreitet wurde: Die Juden seien nur wegen ihres anderen Glaubens ermordet worden, also keine rassistischen Morde. Auf der der Homepage der Christlich-Jüdischen Gesellschaft Oberberg stand: Die Mitläufer und Mittäter seien gutwillig und ehrenwert gewesen.

Seitdem gehe ich hier allen auf den Wecker, endlich eine ehrliche Aufarbeitung der Nazivergangenheit in diesem ehemals (?) braunsten Kreis im Rheinland zu beginnen. Es wird in dieser Reichsbürger-Hochburg aber weiter geblockt.

Ausblick

Mit der dramatischen Dürre haben die Klimawandel-Folgen nun auch Deutschland erreicht. Im Augenblick ist der Schock allerdings erst über die Bauern gekommen, weil sie hilflos zusehen müssen, wie ihre Monokulturen verdorren, auch die hiesigen, 4 mal jährlich gemähten und gegüllten, ökologisch toten Grünlandfächen. Ihre „schlag-kräftige“ Grosstechnik und ihre Chemiecocktails sind plötzlich völlig wirkungslos.

Wir haben wie früher mit kompostiertem Stallmist statt Gülle Humus auf die Flächen gebracht, welcher Wasser speichern kann und mit Bäumen und Hecken Schatten spendende Landschaftselemente wieder neu geschaffen und wurden dafür anfangs von einigen als Steinzeitbauern verhöhnt. Das hat jetzt mit der Dürre aufgehört.

Jetzt scheint die Zeit gekommen, aus beiden „Subsistenz“-Projekten, (die es nicht mehr geschafft haben, zu „SSK“ zu werden, aber aus dem SSK heraus entwickelt wurden) die Lehren zu ziehen und Wachstumswirtschaft und Konsumlebensstil grundsätzlich in Frage zu stellen, neue, bescheidenere Wege zu suchen und zu gehen, und dafür zu kämpfen, dass sie möglich werden.

Vielleicht könnte es SSK oder SSM Gruppen gelingen, im Zuge der an ihre Grenzen stoßenden Wachstumswirtschaft demnächst neue Versuche in Richtung solcher Subsistenzwirtschaft zu starten. Vor allem auch auf dem Gebiet von Landbau und Kompostwirtschaft, die ja letztlich als einzige Alternativen zu den bestehenden zerstörerischen Bewirtschaftungsweisen zur Verfügung stehen, wenn die Klimawandel-Folgen deren Aufgabe nach und nach erzwingen. Das ist unausweichlich, weil hier psysikalische Gesetze wirksam sind, denen wir bedingungslos unterworfen sind.

Da wir Ursachen setzen, treten die Folgen unweigerlich ein. Die Dürre 2018 ist für uns ein Vorgeschmack, anderswo auf der Welt zeigt sich der Klimawandel längst in Form von Hunger,Elend, Vertreibung, Mord und Totschlag, zumeist bei an ihm völlig unschuldigen Mitmenschen.

Es brauchte auch wieder den Mut und die Konsequenz des „sozialrevolutionären“ SSK, gegen die politischen, ökonomischen und ökologischen Zerstörungsstrukturen vorzugehen, die ja besonders die Armen in den Ländern des Südens und die Armen bei uns treffen. Klimawandel droht daher auch weltweit zur größten sozialen Katastrophe zu werden.

Dieser Mut fehlt heute anscheinend sowohl bei SSK, SSM Porz und auch bei uns Ex-SSKlern. Gegen diese globale Bedrohung hilft es ja nicht, auf dem Oberdeck der Titanik die SSK oder SSM-Kabine wasserdicht zu machen. Wenn der Dampfer unten bereits auf den Eisberg trifft, ist es zum Überleben nötig, ins Steuer zu greifen und den ganzen Kurs zu ändern. In dieser Hinsicht wären die mutigen Baumbesetzer im Hambacher Wald vielleicht die wahren Nachfolger des „sozialrevolutionären“ SSK.

Die westlichen Regierungen gehen längst Schritt für Schritt zur Wohlstandsabsicherung in Richtung Neofaschismus, wenn auch möglichst hinter den Kulissen der Öffentlichkeit. Es zerbröseln unsere Fassaden als Kulturnationen und zivilisierte Gesellschaften, es braucht nur noch der nächste Finanzcrash mit Arbeitslosigkeit etc. zu kommen, den einige Experten erwarten, dann steht auch das neue „modernisierte“ 33 bald wieder vor der Tür.

Wenn es doch bloss wieder zwei, drei, viele „sozialrevolutionäre“ SSKs gäbe!