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„Nicht der allerschlimmste Nazi“?

Anmerkungen zu dem Buch: „Friedrich Wilhelm Goldenbogen – Ein Leben für den Oberbergischen Kreis“, mit dem der Kreis ihm 1979 zu seinem Ruhestand Dank abstatten möchte „für seine Arbeit, für seine Treue und für seine Pflichterfüllung“.

Dieses Buch ist eine außergewöhnliche Ehrung mit 20 Beiträgen verschiedenster Honoratioren vom Regierungs-präsidenten Antwerpes bis zum Banker Herrmann Josef Abs: Lauter Huldigungen, in denen nur ab und zu mal leise Kritik aufscheint an seinem autoritären Regierungsstil.

Heute wissen wir, dass Goldenbogen ein belasteter Nazi war, nicht nur Mitglied in der NSDAP, sondern auch in der SA, im NS Rechtswahrerbund und der NS-Altherren. Im Buch ist davon in keiner Zeile die Rede, auch nicht in dem langen Interview, in dem Goldenbogen quasi eine Bilanz seines Lebens seit März 1945 zieht. Da tauchte er als Wehrmachtshauptmann mit seiner Truppe im Oberbergischen auf und der Pommer schaffte es, den 8.Mai nicht als Kriegsgefangener, sondern mit neuen Papieren als frisch gebackener Oberberger in einer Anstellung als Regierungsassessor zu erleben. Ein halbes Jahr später begann seine Karriere als Oberkreisdirektor, zuerst von der Militärregierung auf Empfehlung von August Dresbach eingesetzt, später gewählt.

Ich habe das Buch und insbesondere das lange Interview mit Goldenbogen daraufhin angeschaut, in welcher Weise sich die Beteiligten und Goldenbogen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Und so gut wie Nichts gefunden! Durchgängig wurde der 8.Mai als „Zusammenbruch“, „totaler Zusammenbruch“ oder immer wieder als „Stunde Null“ bezeichnet. Als hätte man an diesem Tag eine Lösch-Taste gedrückt und alles, was davor existierte, verschwand spurlos. Natürlich ist viel die Rede von Kriegsfolgen, Not, Flüchtlingen usw, aber es gibt nicht die geringste Andeutung deutscher Kriegsschuld oder der Naziverbrechen. Alles gelöscht! Das Interview fand aber nicht 1946 oder Anfang der 50er statt, als man sich rundum gegenseitig versichern konnte, von nichts gewußt zu haben, sondern 1979, als der Holocaust, der Vernichtungskrieg im Osten, die Verbrechen der SS, SA, Gestapo etc. allgemein bekannt waren. Aber der SA-Mann und Wehrmachtshauptmann findet kein einziges Wort des Bedauerns oder gar der Reue und auch für den Interviewer ist das kein Thema.

Einmal wird das Wort „Jude“ erwähnt:

Als ich hier anfing,wurde überall erzählt: ‚Jetzt sind die Juden gekommen‘. Man hielt mich auf Grund meines Namens für einen Juden! Ich habe darüber gelächelt. Schwierigkeiten gab es deshalb aber nicht.“

Auch Zwangsarbeiter kommen einmal vor:

Bei seinem Marsch zur Unterkunft beim Unternehmer Schmidt sei ihm „mulmig“ geworden, als er am Stahlwerk von Schmidt & Clemens vorbeikam. „Die Fabrik war mittlerweile zum Ausländersammellager geworden. Es wimmelte von Russen, Polen und anderen Männern aus aller Herren Länder, die als Zwangsarbeiter ins Oberbergische gekommen waren. Alle waren bewaffnet, kein schönes Gefühl für mich.“

Mit einem Juden verwechselt, wie komisch. Zwangsarbeiter, eine bedrohliche Zusammenrottung von Ausländern. Er wußte natürlich von den Verbrechen an beiden, aber in seiner Lebensbilanz war deren Schicksal keiner Erwähnung wert. Man könnte daraus schließen, dass er völlig gefühlskalt und empathieunfähig war. Doch weit gefehlt, denn an anderer Stelle zeigt er tief empfundenes Mitgefühl:

„… wenn wir nicht weiterkamen in dieser Notzeit, sind sie zu den Alliierten gegangen und haben für Hilfe gesorgt. Herr Hurtz (Dechant) und Herr Fach (Superintendent) haben damals manches menschliches Schicksal positiv beeinflusst. Dies betrifft vor allem Leute, die in der NSDAP waren.

Die beiden Geistlichen haben in solchen Fragen nie die politische, sondern immer die menschliche Seite in den Vordergrund gestellt. Das war außerordentlich wichtig, in dieser Zeit Menschlichkeit zu zeigen.“

So sieht die „Menschlichkeit“ eines in meinen Augen unverbesserlichen Nazis aus, der sein früheres Leben für Führer, Volk und Vaterland zwar unter dem allgemeinen Teppich des Verschweigens entsorgt hat, in dem aber nach wie vor offensichtlich eine Art emotionaler Antisemitismus und Rassismus fest verankert blieb: Morde und Folter an den Untermenschen lösen beim Herrenmenschen kein sonderliches Mitempfinden aus, sind ihre Opfer doch lange genug durch Propaganda entmenschlicht worden, indem sie z.B wie die Juden ständig als Ratten dargestellt wurden und immer wieder vor ihnen als existentielle monströse Bedrohung gewarnt wurde. Schließlich waren die seelisch deformierten Täter in der Lage, die ausgegrenzten Menschen so ungerührt zu quälen und töten wie der Bauer die „Schädlinge“ auf dem Feld. (Das Zyklon B in Auschwitz war ja auch eigentlich ein landwirtschaftliches „Schädlingsbekämpfungsmittel“).

Ganz anders sieht es aber für den Herrenmenschen aus, wenn einem der seinen „Böses“ zugefügt wird, und sei es auch nur eine drohende Entlassung aus dem Öffentlichen Dienst wegen einer Nazi-Belastung. Gegen solche „Unmenschlichkeit“ eilt ihm sogar die Geistlichkeit zu Hilfe.

Liegt es denn nicht nahe, diese krasse Diskrepanz in Goldenbogens Gefühlswelt der gespaltenen „Menschlichkeit“ auf ein innerliches Fortwirken des Nazirassismus zurückzuführen?

Bei Goldenbogens SA- und Hauptmann-Kameraden Klausa ist genau dasselbe festzustellen: Einerseits sensibel und gefühlvoll der Familie oder der adeligen Sekretärin gegenüber, andererseits vollkommen gleichgültig und untätig gegenüber dem jahrzehntelangen Elend der Insassen seiner Psychiatrien und Heime, die er vor der „Stunde Null“ noch als „Entartete“ bezeichnet hatte.

Es gibt verblüffend viele weitere Parallelen mit Klausa, der ja ohne Goldenbogens Unterstützung kaum Landesdirektor geworden wäre. Der nordrhein-westfälische Landkreistag fungierte dabei wie ein informelles Netzwerk, über das hochrangige NS-Funktionsträger mit Spitzenjobs im öffentlichen Dienst versorgt wurden.

Der LVR-Kulturdezernent und Hofliterat Hartung schrieb zu Klausas Verabschiedung, dass der („ein Rassepferd unter Ackergäulen“) sich „schwer tat mit der Demokratie“. Klausa schlug allen Ernstes in den 60ern ein „Ver- waltungsplanspiel“ vor, wonach das Parlament alle Gesetzesvorlagen zuerst der Verwaltung hätte vorlegen müssen, um es vor der Verabschiedung auf seine Durchführbarkeit hin zu prüfen. Von wegen Gewaltenteilung! In dem Buch zu Goldenbogens Abschied findet sich folgende Passage aus der Feder dieses begnadeten Elogen-schreibers, die ein – sicherlich unbeabsichtigtes – Schlaglicht auf das Demokratieverständnis des Geehrten wirft:

Goldenbogen war stets frei von kleinlichen Bedenken, Ängsten und Zaudern. Was ihm vernünftig erschien, boxte er durch.

Freilich, die Art seiner Verhandlungsführung als Ausschussvorsitzender hat ihm nicht nur Freunde gemacht. Bei jedem Zusammentritt eines neuen Ausschusses muckten die „jungen Leute“ auf; sie waren oft ahnungslos und fühlten sich „verschaukelt“, wenn langes Palavern kurzerhand erstickt wurde. Dem Vorsitzenden ging es weniger um langatmige Diskussionen als um Entscheidungen. Kleinkariertheit im Denken, wie es oft in Diskussionen deutlich wird, war ihm ein Greuel.“

Die von den Nazis gezeigte Verachtung des Parlaments als „Schwatzbude“ und „Weimarismus“ scheint bei beiden Herren also durchaus noch akut gewesen zu sein. Bei beiden war die Effizienz reibungslos funktio-nierender Verwaltungsapparate die oberste Maxime, darauf beruhten ihre Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet, für die sie über die Maßen geehrt wurden.

Diese Effizienz war auch den Nazis eigen, sie kann vielen Herren dienen und ist kein Wert an sich. Klausa hat die früher so genannten “Ballastexistenzen“ in Heimen und Psychiatrien jahrzehntelang menschenunwürdig, aber kostengünstig weggesperrt, Goldenbogen schreckte bei der rücksichtslosen Durchsetzung von Wirtschafts- und Unternehmerinteressen nicht einmal vor strafbaren Handlungen zurück.

Dazu werde ich eine Dokumentation über die Geschichte der Othetaler Spinnerei vorlegen, die von Ende der 40er bis in die 70er keinen einzigen Tag legal gearbeitet hat, ungehindert Schwarzbauten errichten konnte und unter den Augen der Behörden durch ungeklärte Abwässer den Othebach vergiften durfte bis dieses Umweltverbrechen in den 70ern durch eine Bürgerinitiative gestoppt wurde. Goldenbogen war rundum zuständig: Als Chef der Baubehörde für die Duldung der Schwarzbauten, als Chef der Unteren Wasserbehörde für die Duldung der Gewässervergiftung, als Vorsteher des Aggerverbands für die Manipulation der Gewässerproben durch dessen Labor, als Polizeipräsident für die Nichtverfolgung schwerer Umweltstraftaten. Diese Miß- und Verachtung des Rechtsstaats gipfelte darin, dass er anläßlich der Gründung der Bürgerinitiative durch den Leiter der Unteren Wasserbehörde mit dem Gewässervergifter vereinbaren ließ, die stinkende Giftbrühe nur noch „ nachts abzulassen“. Der Unternehmer wurde dank Bürgerinitiative bestraft, die Verfahren wegen Strafver-eitelung im Amt gegen die Beamten zögerte die Staatsanwaltschaft so lange hinaus, bis die absolute Verjährung eintrat.

Goldenbogen hatte sämtliche wirtschaftlichen Machtpositionen – sicher mehr als 20 – in Oberberg besetzt, bei Agger- und Abfallverband, Sparkasse, OVAG, LVR, Rheinischer Sparkassen- und Giroverband, usw. usw, an ihm kam keiner vorbei. Sein Wirken als RWE Aufsichtsrat lobte Big Boss Abs in höchsten Tönen, so bei der Erweiterung des Braunkohletagebaus. Nur ein einziges Gross-Projekt sei ihm mißlungen, bedauerte Goldenbo-gen, nämlich die oberbergischen Abfälle in der Braunkohlegrube zu „entsorgen“.

So wie der Altnazi Klausa die Menschenrechte der Anstaltsinsassen systematisch verletzen ließ, so hebelte der Altnazi Goldenbogen die Umweltgesetze zugunsten des Industriellen einfach aus. Wäre es nicht angebracht, diese Vorgänge daraufhin zu untersuchen, ob hier nicht noch im Verborgenen eine Rechtsordnung wirksam war, in der vor 45 eben nicht alle Menschen vor dem (völkisch ausgerichteten) Gesetz gleich waren und in der es erklärtermaßen Vorrechte für „Herrenmenschen“ gab ?

Dass sicherlich sehr viele Menschen das Durchgreifen dieser „starken Männer“ auch gegen die Gesetze gut fanden, wenn es um wirtschaftliche Vorteile ging, macht es nicht besser. Es beweist ja nur, dass hinter den demokratischen Kulissen noch weitgehend sowohl das „Führerprinzip“ als auch der zugehörige „Unter-tanengeist“ herrschte. Und noch herrscht?

Der anwachsende Rechtsradikalismus zeigt, dass es höchste Zeit ist, die unterlassene Aufarbeitung nachzuholen.

Lesung, Vortrag, Diskussion „Eine kleine Stadt bei Auschwitz“

EINE KLEINE STADT BEI AUSCHWITZ

So lautet der Titel des Buchs der englischen Historikerin Mary Fulbrook aus dem sie lesen wird. Es befaßt sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Udo Klausa, der von 1954 bis 1975 (der erste) Direktor des Landschaftsverbands Rheinland war und als solcher die schweren Missstände in den Erziehungsheimen und Psychiatrischen Anstalten zu verantworten hatte.

Frau Fulbrook ist ein außergewöhnlich tiefer Einblick in die Persönlichkeitsstruktur eines deutschen Bildungsbürgers gelungen, der dem Dritten Reich in der Verwaltung als Landrat gedient hat, an den Nazi-Verbrechen und dem Holocaust beteiligt war und im Nachkriegsdeutschland davon unbeschadet und unbeirrt als Führungskraft im Rheinland seine Karriere fortsetzen konnte.

Der Historikerin ist deshalb ein so einzigartiger Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Nazivergangenheit gelungen, weil ihr bei diesem Forschungsobjekt nicht nur die wissenschaftlichen Mittel des universitären Elfenbeinturms zur Verfügung standen, sondern auch Erkenntnisse, die aus der persönlichen Beziehung zur Familie Klausa herrühren. Klausas Ehefrau war zeitlebens eine enge Freundin von Fulbrooks Mutter.

Die Geschichte des Udo Klausa ist hochaktuell, weil man an ihr nachvollziehen kann, wie ein humanistisch gebildeter Akademiker in seiner Karriere nach und nach zivilisatorischen Boden verlässt und als Zuarbeiter der rassistischen Barbarei endet. Am Prototyp Klausa hat Mary Fulbrook auch gezeigt, wie die Anfänge aussehen, deren wir uns heute wieder – oder immer noch – erwehren müssen.

In dem Zusammenhang wird Frau Fulbrook auch über ihr neuestes Buch sprechen. Es befasst sich mit den langfristigen Folgen der Beteiligung an Naziverbrechen. Die Nachkriegsjustiz hat die Schuldigen nur sehr unzureichend vor Gericht zur Verantwortung gezogen und private Erzählungen haben die Vergangenheit umgedeutet. Viele Familien – nicht nur die Kinder der Überlebenden, auch die der Täter – müssen die emotionellen Folgen tragen.

(Das Buch erscheint 2018 bei OUP unter dem Titel „Reckonings: Legacies of Nazi Persecution“)

 

Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3, Köln – 6. Dezember 20 Uhr

Anmerkungen zu „Die Stadt, das Land, die Welt verändern“

Nachdem ich das fette „Revolutions“-Kompendium* teils gelesen, teils durchgeblättert habe, drängt es mich als Akteur der 7oer und 8oer Jahre zu einer kritischen Stellungnahme.

Zunächst aber will ich die enorme Fleissarbeit durchaus würdigen und auch zugeben, daß ich nach Kenntnisnahme des Inhaltverzeichnisses auf dröge ideologische Abhandlungen gefaßt war und zum Teil doch positiv überrascht wurde.

Leider ist aber auch streckenweise eben das eingetreten, was ich als ursprünglich wohl vorge-sehener Podiumsteilnehmer verhindern wollte: Dass das Buch und die Veranstaltung in der Feuerwache zu einer Art linkem „Heldengedenktag“ abgleiten könnte. Ein (selbst) kritischer Rückblick auf die früheren „Weltrevolutions“-Ziele angesichts unserer heutigen Lebenswirklichkeit ist anscheinend nicht erwünscht. Ist solche Kritikempfindsamkeit nicht ein Kennzeichen aller dogmatischen Organisationen von der römischen Kirche bis hin zu diversen KPs?

Titel und Untertitel des Buchs erheben ja den Anspruch, umfassend, also objektiv über das links-alternative Köln der 7oer und 8oer Jahre zu berichten. Genau das ist aber das Problem, denn aus meiner Sicht wird dieser Anspruch nämlich nicht eingelöst. Weiterlesen