Luther – ein Nachtrag

Der OVZ-Ausgabe vom 23.5.17 war eine 12seitige Anzeigen-Sonderveröffentlichung der evangelischen Kirche zu „500 Jahre Reformation“ beigefügt. Neben lauter Grußworten von Oberbürgermeisterin, Kardinal und anderen Honoratioren bis zu Niedecken und Jürgen Becker krampfhafte Verrenkungen, um Luther und die Reformation mit Köln zu verbinden.

Da Luthers Verdienste landauf landab unablässig kommuniziert werden, brauche ich hier nicht auch noch darauf einzugehen.Der große Reformator erreicht in der Verehrung und Anbetung locker den Status katholischer Spitzen-Heiliger; er wird so auf den Altar gehoben, dass nichts Negatives an ihm haften bleibt. Deshalb soll hier das Bild ein wenig vervollständigt werden.

Die zentrale Botschaft des „Lutherjahrs“ findet sich im „Doppelinterview“ mit Präses Rekowski und der „offiziellen Botschafterin der Reformationsjubiläums“ Käßmann.

Luthers glühender Antisemitismus, seine hetzerischen Ausfälle gegen Juden, die Aufrufe, mit Gewalt und Terror gegen sie vorzugehen, das wird mal eben abgetan mit der Bemerkung, die Evangelische Kirche habe sich ja neuerdings von Luthers „Antijudaismus“ distanziert und seine „antijüdischen Hetzschriften“ verurteilt. Wohlweislich wird der Begriff „Antisemitismus“ peinlich vermieden, obwohl dies die korrekte Bezeichnung für viele von Luthers Tiraden wäre. Sein Vernichtungswahn richtete sich ja nicht nur gegen die religiösen Juden, sondern gegen „das Volk der Juden“ und deren „verdorbenes Blut“ ( modern: verdorbene Gene). Der spätere rassistische Antisemitismus knüpfte nahtlos daran an. Aber der stellt ja eine unangenehme Verbindung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung und zu Auschwitz her; er könnte peinlicherweise daran erinnern, daß die Nazis sich bei der Vernichtung der Juden durchaus auch auf den Reformator berufen konnten.Nicht zufällig brannten am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, die Synagogen. Der schlimmste Nazihetzer und „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher verteidigte sich im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess nicht ohne Grund mit der Behauptung, wenn der noch leben würde, „säße Dr. Martin Luther heute an meiner Stelle auf der Anklagebank.“

Deshalb beim Interview schneller Themenwechsel und Hinwendung zu positivem Luther-Gedenken. Deutlich mehr Raum im Interview nehmen z.B. „Playmo“-Lutherfiguren ein , von denen 750 000 bereits verkauft seien und die z. B. dem Erzbischof von Guatemala viel Spaß bereitet hätten.

Nach solcherart politischer Verschönerung kann dann der Superintendent Köln-Süd, Dr. Bernhard Seiger in seinen „9,5 Thesen zum Reformationsjahr 2017“ folgendes zum Besten geben:

„Christen …treten stets für die Würde ein, über die jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts, welcher Herkunft, Religion oder Lebensorientierung verfügt.“

Gerade im oberbergischen Südkreis lässt sich studieren, dass der Luthersche Judenhass, gepaart mit seinem Obrigkeitsdenken, eine Grundlage des mörderischen Nationalsozialismus bildeten. Kirche und Nazis zogen an einem Strang. Bis heute wird nicht offen darüber geredet, die lokalen Täter sind bis heute tabu, es herrscht Schweigen.

Besonders peinlich führt sich in diesem Zusammenhang die oberbergische Christlich-Jüdische Gesellschaft auf, die beim Kirchenkreis an der Agger angesiedelt ist. Bis vor kurzem noch konnte man auf der Homepage die ungeheuerliche Geschichtsklitterung lesen, dass die „Mitläufer und Mittäter“ „ehrenwert und gutwillig“ gewesen seien. Erst nach jahrelangen Protesten wurde kürzlich diese Reinwaschung von Nazimitläufern und Tätern(!) durch ein Zitat des ersten Nachkriegs-Landrats Dresbach (CDU) ersetzt und abgeschwächt: … aber ich bin nicht geneigt, über all die politisch ungeschulten Menschen den Stab zu brechen, die damals glaubten, es sei eine neuere und bessere Welt entstanden. Der Fluch gilt den politisch Wissenden, die sich diesem System zur Verfügung gestellt haben.“

Demnach konnte ein Christ erst nach „politischer Schulung“ erkennen, daß Entrechtung, Ver-folgung, Deportierung und Ermordung von Mitmenschen, seien es Juden,Zigeuner, Behinderte oder Kommunisten, Unrecht und „schwere Sünde“ war? Obwohl doch die zentrale Botschaft des Jesus von Nazareth unmißverständlich Toleranz, Barmherzigkeit, Nächstenliebe und sogar Feindesliebe verlangte? War „Du sollst nicht töten“ außer Kraft?

Anscheinend haben sich die „Ungeschulten“ weniger an der einfachen Lehre Jesu orientiert, sondern mehr an den Hassorgien und dem Vernichtungswahn des christlichen Schulmeisters Luther.

Wer diese christlichen Wurzeln von nationalsozialistischem Terror und Massenmord leugnet oder unter dem Teppich hält, verhindert eine ehrliche Aufarbeitung und schwächt das „Immunsystem“ gegen die neue braune Gefahr und überlässt die Opfer dem Vergessen.

Kürzlich stieß ich in Ernst Klees Buch „Euthanasie im NS Staat“ auf einen Hinweis, daß in Waldbröl alle Insassen eines Behindertenheims nach Polen deportiert und dort in einem Vernichtungslager ermordet wurden. Ich habe als alter Oberberger zeitlebens aber nie davon gehört oder gelesen. Ist es nicht eine Schande, daß auch 73 Jahre später dieser Massenmord an oberbergischen Mitbürgern totgeschwiegen wird, dass er in keiner Gedenkrede erwähnt wurde? Was sind denn demgegenüber die Trauerbekundungen wert, die zu den offiziellen Gedenktagen regelmäßig wiederholt werden?

Wird es nicht Zeit, uns endlich ehrlich zu machen? Auch im Zusammenhang mit den Feiern zu „500 Jahre Reformation“?