Anmerkungen zu „Die Stadt, das Land, die Welt verändern“

Nachdem ich das fette „Revolutions“-Kompendium* teils gelesen, teils durchgeblättert habe, drängt es mich als Akteur der 7oer und 8oer Jahre zu einer kritischen Stellungnahme.

Zunächst aber will ich die enorme Fleissarbeit durchaus würdigen und auch zugeben, daß ich nach Kenntnisnahme des Inhaltverzeichnisses auf dröge ideologische Abhandlungen gefaßt war und zum Teil doch positiv überrascht wurde.

Leider ist aber auch streckenweise eben das eingetreten, was ich als ursprünglich wohl vorge-sehener Podiumsteilnehmer verhindern wollte: Dass das Buch und die Veranstaltung in der Feuerwache zu einer Art linkem „Heldengedenktag“ abgleiten könnte. Ein (selbst) kritischer Rückblick auf die früheren „Weltrevolutions“-Ziele angesichts unserer heutigen Lebenswirklichkeit ist anscheinend nicht erwünscht. Ist solche Kritikempfindsamkeit nicht ein Kennzeichen aller dogmatischen Organisationen von der römischen Kirche bis hin zu diversen KPs?

Titel und Untertitel des Buchs erheben ja den Anspruch, umfassend, also objektiv über das links-alternative Köln der 7oer und 8oer Jahre zu berichten. Genau das ist aber das Problem, denn aus meiner Sicht wird dieser Anspruch nämlich nicht eingelöst.

Einerseits tauchen im Buch Projekte, Aktivitäten und Personen, welche großes Veränderungs-potential entfaltet haben, gar nicht auf; andererseits werden Parteien, kommunistische Sekten, Debattierzirkel und Minigrüppchen enorm aufgeblasen und schließlich wird schamhaft verschwiegen, daß die allermeisten von uns letztendlich doch ein warmes Plätzchen im Kapitalismus gesucht und gefunden haben, was durchaus unangenehme Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit des damaligen Engagements erlaubt.

Nachfolgend versuche ich , wenigstens ein paar notwendige Ergänzungen und Korrekturen anzubringen und entschuldige mich schon vorweg für meine eventuellen Einseitig- und Ungerechtigkeiten.

Einerseits: Große Lücken

Beispiele zu „Häuserkampf“: Die „Porzer Selbsthilfe gegen Wohnungnot“ wird nicht einmal erwähnt, obwohl sie ein bis heute lebendiges, beispielhaftes, linkes Erfolgsprojekt ist. Für drei 10 Jahre alte Wohnblocks mit 36 kleinen Sozialwohnungen hatte der Stadtrat den Abriß beschlossen. Die Häuser störten ein Villen-viertel, welches der FDP-Ratsherr Faber auf seinem Fabrikgrundstück nebenan bauen und ver-markten wollte. Obdachlose, Studenten, Ex-Heim- und Psychiatrieinsassen, Roma und andere haben 1981 die Häuser besetzt, nach 1 Jahr ohne Strom und Wasser den Abriss verhindert, einen Erbbauvertrag erkämpft und diese Gemeinschaft behauptet sich widerständig auch heute noch: Keines Beitrags würdig?

In Pulheim gab es eine Bürgerinititaive gegen die geplanten Abrisse von ca 80 Häusern für eine Fußgängerzone im Rahmen des Konjunkturprogramms „Städtebauförderungsgesetz“, dem bundesweit massenhaft preiswerter Wohnraum zum Opfer fiel. Die meist „proletarischen“ Bewohner wandten sich an den SSK um Hilfe, weil sie dessen Plakate gelesen hatten. Nach harten Auseinandersetzungen und einem heftig umstrittenen Fernsehfilm („Gegen Bagger kämpfen“) wurde die geplante Abrissorgie des Planungsdezerneten Jürgen Rüttgers vom NRW- Verfassungsgericht (RA Detlef Hartmann) gestoppt. Es ging um die Grundsatzfrage, ob der Staat für seine Wirtschaftsförderung Gesundheit und Leben der betroffenen Menschen opfern darf. Peter Stankowski von der „Ambulanz im SSK“ hatte nämlich 12 Pulheimern schwere Gesundheitsschäden bis hin zur Lebensgefahr bescheinigt, deren Ursache die Angst vor der Vertreibung sei. Die Ärztekammer drohte ihm daraufhin mit dem Entzug der Approbation.

(Die Ambulanz im SSK, lange Jahre die einzige Kölner Einrichtung, in der Menschen ohne Krankenversicherung und „Illegale“ kostenlos behandelt wurden, findet im Buch auch nicht statt)

Anfang der 70er besetzten Schüler und Lehrlinge in Refrath in völliger Eigenregie das „Haus Margarethe“ und hielten es ein halbes Jahr, ein sehr seltener Fall von Selbstorganisation junger Arbeiter und Schüler.

Der „Südstadtwiderstand“ umfaßte längst nicht nur BISA und Stollwerk: Das Haus Rolandstraße 92 hatte der Kölner Maler Peter Abelen für notleidende Künstler gestiftet, die Stadt verkaufte das Haus aber klammheimlich an den reichen Architekten Neufert, nachdem sie die Mieter rausgesetzt hatte. Ein“Whistelblower“ gab dem SSK einen Tipp, der rief den Verein Notleidender Künstler ins Leben und nach Besetzung und monatelanger Kampagne wurde der sittenwidrige Verkauf annulliert und ein Erbbaurechtsvertrag mit dem Künstlerverein abgeschlossen. Im letzten Sommer feierte der 35jähriges Besetzungsjubiläum mit offenen Ateliers, immer noch mit ursprünglichen Besetzerinnen. Im Unterschied zum „Stollwerck“ z.B. hat nicht nur die Besetzung geklappt, sondern auch das viel schwierigere Zusammenleben im Kollektiv. Nicht der Rede wert?

Es fehlt auch ein Beitrag zum Beschwerdezentrum für Psychiatriepatienten und seine Zeitung „Unbequeme Nachrichten“, eine einmalige, höchst erfolgreiche Institution für die Durchsetzung der Menschenrechte in den psychiatrischen Anstalten mit bundesweiter Auswirkung: Sicher eine der stärksten linken Erfolgsgeschichten der 70er und 80er, wenn auch ohne die üblichen Marxismus-Leninismus–Plattitüden und ohne jegliches Zentralkomitee.

Zum kümmerlich geratenen Anti-Atom/ Ökokapitel:

Es gab 1980 eine höchst erfolgreiche, sehr mutige Umwelt-Aktion Kölner Initiativen, die bundesweit Aufsehen erregte: nämlich die Blockade der Leverkusener Bayerwerke gegen die „ Verklappung“ der Dünnsäure in der Nordsee. Tagelang verhinderten Kölner Aktivisten mit einem Floß das Abpumpen der Säure, zelteten auf der Hafenanlage und leiteten somit gemeinsam mit Greenpeace das spätere Verbot dieser kriminellen Meeresvergiftung ein.

Mit dem Unterschlagen dieser Aktion haben die Herausgeber ihre Inkompetez beim Thema Um-weltschutz unter Beweis gestellt. Sehr schade!

Für mich ist es unerklärlich, warum Maria Mies nur mal am Rande erwähnt wird, obwohl sie doch nicht nur das Frauenhaus ins Leben gerufen, sondern als Feministin und Umweltaktivistin auch international viel bewegt hat, oft gemeinsam mit der alternativen Nobelpreisträgerin Vandana Shiva. Der „Ökofeminismus“ geht auf beide zurück und vor allem die Entwicklung der „Subsistenz-perspektive“, die auch für unsere öko-sozialen Projekte im Bergischen richtungsweisend war. Gerade heute gewinnt sie in dem Diskurs um eine Postwachstumsökonomie zunehmend an Bedeutung.

Andererseits: Elefantöse Mücken

Während solche vorbildlichen linken, solidarischen Projekte unter den Tisch fallen, werden in aller Breite sämtliche linksradikalen Parteien, Komitees und Grüppchen vorgestellt, selbst wenn sie nur wenige Jahre als Disputierzirkel existierten und außer ein paar Flugbättern nichts Reales zustande brachten. Getreulich werden deren uferlose Auseinandersetzungen um Kaiser Marxens Bart, die immer neuen Kritiken, Analysen oder Solidaritätsadressen an die eine oder andere Freiheitsbewegung dokumentiert.

Auch “linke“ Kneipen haben für die Herausgeber offenbar einen höheren revolutionären Stellenwert als die unterschlagenen Projekte, oder auch etwa eine ganz banale gemeinsame Wohnung von 3 Frauen für 6 Monate, ohne jegliche Aktivitäten nach außen. Der 20 Jahre währende Lernprozess des Kölner DKP-Chefs Petersen bis zu seiner überraschenden Erkenntnis, daß seine Partei ein diktatorischer Verein engstirniger, bürokratischer Krawattenträger war: Hat er die Stadt verändert? War die locker-flockige Südstadtliebelei nebst Abtreibung vielleicht Teil einer linken Kulturrevolution? Es gibt mehr solcher Beispiele.

Es fällt auf, daß in anderen Kapiteln hauptsächlich solche Projekte auftreten, in denen wieder die K-Gruppen- Angehörigen tätig waren. Daher erklären sich die zahllosen Hin- und Her- Querverweise.

Das Buch erweckt somit den Anschein, als hätten alle die verbalradikalen Kämpfe auf dem Felde der Theorie tatsächlich zu irgendwelchen Veränderungen in der kapitalistischen Realität geführt oder zumindest dazu beigetragen. Tatsächlich wurden jedoch weitgehend die ideologischen Auseinandersetzungen unserer Großväter neu aufgeführt, zum Teil als Farce. In meiner Wahr-nehmung haben sich die gewaltigen Rede- und Papierschlachten vollständig verflüchtigt, ohne irgendwelche sichtbaren Spuren zu hinterlassen.

Praxisauge: Blind

Nun frage ich mich, warum das Buch so einseitig und partiell blind geraten ist, obwohl ich ja den Herausgebern gar keine böse Absicht unterstelle.

Bei der Erklärung helfen können vielleicht zwei Ereignisse, an die ich mich erinnere:

Einmal kamen Jugendliche von der SDAJ zum Salierring und halfen mit bei der Instandsetzung eines besetzten Hauses für obdachlose Arbeiter. Nach ein paar Wochenendeinsätzen blieben sie weg. Einer von ihnen kam später und erzählte verlegen, die Kölner DKP-Leitung hätte ihnen das verboten, weil es sich bei den SSK-Leuten um „Lumpenproletariat“ handele. Andere linke Geistesgrößen erkannten in der SSK–Arbeit nur „karitative Scheiße“.

1970 wurde der SSK in den Republikanischen Club „vorgeladen“. Wir hatten eine leere Villa in Marienburg besetzt und zwar – so war auf einem Stadt-Anzeiger Foto zu lesen – für „obdachlose“ Jugendliche. Der Vorwurf von Otker Bujard, IGO und RC war, wir würden den Begriff „obdachlos“ politisch mißbrauchen und wir sollten ihn nicht länger für die aus brutalen Heimen oder Eltern-häusern geflohenen Jugendlichen verwenden. In Behörden und in den Sozialwissenschaften wurden diese offiziell nämlich nicht als „obdachlos“ bezeichnet, sondern unter dem diskriminierenden Begriff „Streuner“ geführt.

Diese Beispiele zeigen, wie abgehoben und arrogant die diversen „Avantgarden der Arbeiterklasse“ auftraten und wie oberlehrerhaft sie sich gegenüber „Abweichlern“ und der Arbeiterklasse aufführten. Für letztere war das allerdings nicht weiter schlimm, weil sie mit dem unsäglichen, akademisch-marxistischen Kauderwelsch sowieso nichts anfangen konnte.

SSK, Porzer Selbsthilfe, „Mütze“, die Bürgerinitiativen gegen die Häuserabrisse von Pulheim oder Bergneustadt, Antipsychiatrieinitiativen u.a. bestanden aber mehrheitlich aus Arbeitern. Deshalb mußten sich all diese Gruppen ( auch die Rolandstraßenkünstler) in einer für das „einfache Volk“ verständlichen Sprache äußern, die aber im linksradikalen Milieu nicht als politisch korrekt galt. Dort mußte man mindestens Abitur haben, um den Polit-Slang überhaupt zu verstehen.

In der Schrift „ Gegen den Parteischematismus“ erkennt sogar der Große Vorsitzende himself in solch elitärem Sprachgebrauch eine Verachtung der Arbeiterklasse.

Doch siehe da, diese formalistischen Kriterien für „politisch“ oder „nicht politisch“ scheinen in dem Buch immer noch fort zu wirken, ebenso wie der gewöhnliche bürgerliche Akademikerdünkel.

Die weggelassenen linken Projekte äußerten sich allesamt aus den erwähnten Gründen nicht akademisch-politisch (Setzen: Sechs!), anscheinend wirkt immer noch unterbewußt die „karitative Scheiße“ fort. Dazu paßt, dass andererseits jedes formal korrekte Theoriefürzchen für so bedeutend gehalten wird, dass es auftritt wie ein wind of change.

Was wir wollten , was wir wurden

Das war der Titel eines rororo-Buchs von 1977 über die „Studentenrevolte, 10 Jahre danach“, in dem sich ein Kapitel mit dem SSK befaßt. Leider hat sich hier auf 600 Seiten kein Platz für ein Kapitel mit dieser Überschrift gefunden, welches die heutige Lebenswirklichkeit der damaligen Aktivisten ebenfalls an ihren damals so apodiktisch geäußerten Zielen mißt. Dabei wäre es doch gerade heute bitter nötig, Lehren aus unseren vormaligen Kämpfen und Aufbrüchen, Erfolgen und Niederlagen zu ziehen. Leben wir doch in hochdramatischen Zeiten des Umbruchs, Ratlosigkeit allerorten, keine Gewißheiten mehr, nirgends.

Deshalb versuche ich hier, das fehlende Kapitel aus meiner Sicht zu skizzieren:

Was geworden ist aus unserer Revolution

Die Stadt, das Land und die Welt verändern sich rasant, bedauerlicherweise aber nicht in unsere frühere Richtung. Umso wichtiger wäre eine ehrliche Bilanz: Welche Rolle können heute unsere (damaligen) Versuche zur Gesellschaftsveränderung für die Zukunft spielen, wo können unsere Erfahrungen bei der Bewältigung der Zukunftsprobleme helfen, wo zeigen sie Irrwege auf? Und vor allem: Wo ist er denn geblieben, der revolutionären Impetus??

Aus gutem Grund wird diese Frage erst gar nicht gestellt. Denn am Personenregister läßt sich ablesen, daß wir uns fast alle mehr oder weniger mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem arrangiert und daß viele von uns sich sehr bequem darin eingerichtet haben . So wie z.B. Rolf Henke, der sich von ganz links unten so sehr hochgedruckt hat, daß er dann als zwischen Köln, Berlin und Uckermark pendelnder „Biobauer“ 3000 ha Bauernland aus Junker- bzw. Treuhand befreien konnte. ( Sonst hätte es sich im Zuge des weltweiten „land-grabbing“ bestimmt ein übler Kapitalist angeeignet!) Kabarett pur!

Fakt ist, dass der Finanzkapitalismus seine wirklich brutale Fratze längst nicht mehr hierzulande zeigt, sondern in den armen Abteilungen der neoliberal beherrschten Welt. Dort macht bekanntlich die Unterdrückung bei Berufsverboten nicht halt, die hier einen so breiten Raum bei der Darstellung kapitalistischer Grausamkeiten einnehmen.

Während sie dort die Menschen mit Krieg, Mord, Folter, Hunger und Entwürdigung überziehen und gefügig machen, haben die Beherrscher der globalen Wachstumswirtschaft in den westlichen Geld-Schein-Demokratien die große Mehrheit der Menschen erfolgreich mit der Geisteskrankheit des Konsumismus infiziert. Leider weisen auch die meisten von uns Linken die Krankheitssymp-tome auf und auch wir betäuben uns bereitwillig mit den „Psychopharmaka“ der ständig fließenden, obszönen Warenströme. Natürlich die einen mehr, die anderen weniger.

Ganz bösartig ausgedrückt: Endlich haben wir uns mit der damals so vergeblich umworbenen Arbeiterklasse vereint, nämlich im gemeinschaftlichen, nihilistischen Konsumismus der Gesellschaften der westlichen Industrieländer. So lassen auch wir Exkommunisten, Ex-Sozialisten, Ex- Anarchisten etc. die Sklavenarbeiter in den armen Ländern für 38 Euro monatlich unsere Kleidung nähen, in den als „Sonderwirtschaftszonen“ bezeichneten Arbeitslagern unsere elektronischen Geräte bauen, landlos gemachte Indiobauern für unseren maßlosen Fleischkonsum in den giftigen Futtermittelplantagen schuften, in menschenschinderischen Bergwerken unsere Rohstoffe abbauen, uns in „Urlaubsparadiesen“ und Kreuzfahrtschiffen devot bedienen usw,usw.

Doch findet man uns deshalb etwa untergehakt auf der Straße, („Hoch die internationale Solidarität“), um den Mindestlohn von 8.50 Euro auch für diese Kollegen und Mitmenschen durch-zusetzen? Gleiche Arbeit, gleicher Lohn? Es rührt sich dafür auch keine „linke“ Hand.

Könnte vielleicht diese politische Enthaltsamkeit daran liegen, daß solche globale Gerechtigkeit auch unseren persönlichen Lebensstandard zwangsläufig enorm absenken würde?

Auf konsumistische Weise sind wir tatsächlich dabei, die Welt radikal zu verändern: Z.B. als Hauptverursacher der globalen Klimaveränderung, die wir mit unserem Lebenstil, auch dem alternativen, gnadenlos bis in die Katastrophe treiben. Warum versinken wir denn nicht vor Scham im Boden, wenn wir heute feststellen müssen, wie locker unzählige damalige großmäulige „Weltrevolutionäre“ der verschiedenen Internationalen in der Kapitalistischen Einheitspartei Deutschlands und ihren Blockflöten Grüne und Linke (da muckt noch ein Flügel auf) ihre Karrieren machen und alles, aber auch alles über Bord schmeißen, was einstmals angeblich doch so heilig war?

Heute sind es Millarden Arme in anderen Kontinenten, die nichts mehr zu verlieren haben als ihre Ketten. Wir hingegen sind mehr oder weniger zu Nutznießern und Mitläufern der neoliberalen Ausplünderung der Welt geworden.

Da muß ein als Papst verkleideter Argentinier daherkommen, um Tacheles zu reden (mag er sonst auch dumme Sprüche machen): Daß wir Profiteure sind einer „Wirtschaft, die tötet“, daß eine weltweite „Tyrannei des Geldes“ errichtet wurde und daß wir das Elend der andern in unserem materiellen Wohlleben kalt und achsel- zuckend hinnehmen, erfaßt von einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Fast schon ein Aufruf zu gewaltsamem Umsturz!

Allen unseren politischen Beteuerungen und Verlautbarungen zum Trotz geht uns das weltweite Elend letztlich am Arsch vorbei. Oder etwa nicht? Den „Arsch huh“ kriegen wir gerade noch, wenn wir zu den gleichnamigen Veranstaltungen gehen, scharfe Reden gegen Fremdenfeindlichkeit, Kögida und Rassismus beklatschen, die dazu gehörige kölsche Rockmusik genießen, um dann als gefühlt die Guten zum Italiener oder nach Hause zu gehen: kostet nix, billig, Gratismut!

Eine – entscheidende – Frage stellen wir wohlweislich nicht, wenn wir eine „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge verlangen: Ob diese „Kultur“ auch für uns zahlenmäßig begrenzt ist und ab wann auch für uns vielleicht das Boot voll ist.

Wir könnten ja bei echtem Mut und Mitgefühl noch etliche Millionen Flüchtlinge mehr aufnehmen, etwa so wie es nach 1945 geschah: Auf Grund einer Wohnraumzwangsbewirtschaftung wies das Wohnungsamt überall dort Flüchtlinge ein, wo Platz war.

Doch Flüchtlinge bei mir zu Hause, das geht mir zu weit, wenn ich ehrlich bin, und ich nehme an, den meisten von Euch auch. Obwohl wir genau wissen, daß sie fast alle Opfer unseres extrem verschwenderischen Lebensstils und unserer räuberischen Wirtschaft sind. Als Verfolgte der westlichen Wirtschaftspolitik hätten sie eigentlich alle Anspruch auf Asyl. Doch lieber Augen zu und weiter so, sonst müßten wir ja vielleicht sogar noch zugeben, daß´auch wir die mörderische Frontex-Grenze brauchen, wenns an unser Eingemachtes geht.

War es nicht eben diese egoistische, satte Mitläufer-Haltung, die wir unseren Nazi-Vätern und – Müttern zu Recht vorgeworfen und im Grunde nie verziehen haben ?

Heiliger Che Guevara, erbarme dich unser!


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„Die Stadt, das Land, die Welt verändern“, KiWi-Köln, ISBN: 978-3-462-03840-8